Kapitel 10

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Ich hörte noch das Echo meines Schreis, als ich die Arme über meinen Kopf hielt. Doch es passierte nicht das, was ich erwartet hatte. Nein, es passierte gar nichts!

Ich hob die Arme, vorbereitet darauf, dass mich ein Paar dunkler Augen finster anblitzte und die Hand eines widerlichen Menschen eine Waffe auf mich richtete. Die Hand des Menschen, der mich beobachtete und wollte, dass ich ihm in dem Moment, in dem mein Leben sein Ende fand, in die Augen sah.

Ich öffnete die Augen und presste mich so fest gegen den Baum, dass ich die Konturen der rauen Rinde an meinem Rücken spürte.

Doch dann atmete ich vor Erleichterung so tief aus, dass ich aus meiner Verkrampfung in mich zusammensank und den Kopf nach hinten legte, um wieder zu Atem zu kommen.

Es war ein Mädchen. Ein Kind, wenn es hochkam vielleicht zehn Jahre alt. Sie trug ein weißes Kleid und ihre schwarze Haarmähne war zu zwei Zöpfen gebunden, die ihr über die Schultern fielen. Grüne Augen sahen erschrocken auf mich herab und ihre kleinen Hände umklammerten einen Strauß bunter Blumen.

"Habe ich dich erschreckt?" piepste sie.

Ich stand auf und klopfte mir die Kleider ab. "Das kann man wohl sagen." lachte ich. "Ich hatte nicht damit gerechnet, hier jemanden zu treffen, weißt du."

Sie schwieg.

Ich lächelte. Sie erinnerte mich so sehr an mich selbst. Ich war als Kind genau so schüchtern gewesen (obwohl, eigentlich hat sich das nie wirklich geändert). Ich hatte mich immer hinter meiner Mutter versteckt und sie reden lassen, wenn mich jemand etwas fragte.

Ich ging in die Knie. "Ich bin Milena. Tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe."

Sie lächelte.

"Sagst du mir, wie du heißt?" fragte ich sie.

Ihr fester Griff um den Blumenstrauß lockerte sich. "Aleen. Aber meine Mama sagt immer Ally zu mir."

"Das ist aber ein schöner Name." sagte ich. "Und was machst du hier alleine im Wald?"

Ally sah auf ihre Blumen. "Ich wollte Blumen pflücken, für mein Zimmer, aber dann hab ich mich verlaufen." erzählte sie. "Ich hab dich gesehen und wollte dich fragen, ob du weißt, wo ich langgehen muss, damit ich wieder zurück komme."

Oh nein. Jetzt tat mir die Kleine leid. Sie hatte sich verlaufen und wollte nach Hilfe fragen und dann lief ich vor ihr weg.

"Da hast du Glück gehabt, ich kenne den Weg." sagte ich. "Sollen wir zusammen zurückgehen?"

Sie nickte eifrig. "Oh ja!"

Ich stand wieder auf. Jetzt war es mir wichtig, dass sie ins Hotel zurückkam. Ich hatte nämlich nicht vergessen, vor wem ich eigentlich geflohen war. Und so ein kleines Mädchen war ein leichtes Opfer für Leute wie ihn.

"Du, Milena?" fragte Ally und zupfte an meinem T-Shirt.

Ich sah zu ihr runter. "Hm?"

"Nimmst du mich an die Hand?" bat sie mich.

Mir ging das Herz auf. Sie war so unendlich süß. Sie fürchtete sich, da sie nicht wusste, wo sie war. Und das konnte ich gut verstehen. Ich nickte und hielt ihr die Hand hin. "Klar."

Sie ergriff meine Hand und wir gingen in die Richtung, aus der wir gekommen waren.

"Wie alt bist du?" wollte sie wissen.

"Sechzehn und du?"

"Neun."

"Oh, dann wirst du ja schon richtig erwachsen, was?"

Spuren im SandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt