Kapitel 24

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"Vergiss es!"

"Komm schon, du hattest es doch fast!"

"Ich hab die Schnauze voll!"

"Ach, komm schon, Jamie, jetzt gib doch nicht sofort auf!"

Seit ungefähr zwei Stunden standen wir nun schon im Wald. Jamie versuchte, in meinen Kopf zu kommen, so wie ich es am Vortag getan hatte. So wie er mich trainiert hatte, versuchte ich es mit ihm. Der Schüler wurde zum Lehrer. Allerdings stellte ich meine Fähigkeit als Lehrkraft ernsthaft in Frage, denn es lief nicht wirklich gut. Um genau zu sein überhaupt nicht. Ein Grund dafür, dass Jamie langsam sauer wurde und keine Lust mehr hatte.

Ich stand auf und drehte mich um. "Emmet! Sag du doch auch mal was!" Doch Emmet lehnte nur am Baum und lachte sich halb tot.

Ich seufzte, rieb mir die Schläfen und ging auf Jamie zu, der beleidigt einen alten Stock wegtrat. "Wir versuchen es nochmal. Gib nicht auf, ich hab auch nicht aufgegeben, als ich es gestern nicht auf die Reihe bekommen habe."

Er atmete hörbar aus. "Na gut."

Ich setzte mich wieder auf meinen Stein und strich meinen Rock glatt.

"Irgendwas musst du anders gemacht haben." sagte Jamie. "Würdest du es genau so gemacht haben wie ich jetzt, hätte es längst funktionieren müssen. Besonders deswegen, weil ich mit dem Stein schon viel mehr Erfahrung habe als du."

Ich fuhr mir nachdenklich durch die blonden Locken. "Ich weiß wirklich nicht, was wir noch versuchen können. Ich habe ja nicht einmal eine Ahnung, wie ich das gestern gemacht habe. Ich hab einfach nur an dich gedacht und dann war es passiert." Ich sah auf meine Hände, von der eine auf dem Verband der anderen unsichtbare Muster zog. Ich versuchte, mich zu erinnern, was genau in meinem Kopf vorgegangen war. Aber alles, was mein Gedächtnis hergab, waren die Schwärmereien, die sein Bild vor mein inneres Auge gemalt hatten. Ich musste ihm genau das sagen, allerdings war es schon ziemlich peinlich, zu sagen, das ich ihn heimlich angeschmachtet hatte und dann bei ihm war, besonders jetzt, wo Emmet dabei war. Nicht, dass er sich sowieso schon zu jeder günstigen Gelegenheit über uns lustig machte und Sprüche klopfte, sobald einer von uns ein Wort zu viel sagte. Also musste ich es umschreiben. Nur war das gar nicht so leicht. Ich schaute auf den blauen Fleck, der mein linkes Knie zierte und sprach mehr zu der violetten Färbung als zu der Person, an die es gerichtet war. "Du musst dich konzentrieren. Mach deinen Kopf frei und wirf alles raus, was auch nur die kleinste Zelle deines Denkvermögens in Anspruch nimmt. Ich glaube, es klappt nur, wenn du dich voll und ganz auf diese Sache konzentrierst."

"Da in deinem Kopf sowieso gähnende Leere herrscht, dürfte das ja kein Problem sein. Jetzt musst du sie nur noch anschmachten."

"Emmet!" fauchten Jamie und ich wie aus einem Mund.

"Was?" fragte er mit einer Unschuld in der Stimme, die der eines kleinen Kindes glich. Als er unsere warnenden Blicke allerdings nicht brechen konnte, hob er beschwichtigend die Hände. "Na gut, ich bin ja schon still."

Wir wandten uns wieder dem eigentlichen Problem zu. "Kopf frei machen und konzentrieren." wiederholte Jamie. "Okay. Weiter."

Ich überlegte einen Moment und sah wieder auf den blauen Fleck, als könnte er mir vorsagen, was ich Jamie erklären musste. "Dann lenk deine Konzentration auf mich um. Schließ die Augen und stell dir vor deinem inneren Auge Stück für Stück ein Abbild von mir zusammen. Angefangen mit den Augen, über das Gesicht, die Haare, bis es vollständig..."

Ich wurde von einem Aufkeuchen unterbrochen, das aus Jamies Kehle schoss. Ich sah auf und mein Blick fiel auf ihn, wie er mit geschlossenen Augen, starr wie ein Eisblock ein paar Meter von mir entfernt auf der Lichtung stand. Offenbar hatte er es geschafft. Zumindest vermutete ich das. Wissen konnte ich es nicht, da ich ihn nicht bemerkte. Ich drehte mich auf dem Stein um, sodass mein Gesicht sich zu den Bäumen richtete. Ich wusste nicht, ob es gut war, wenn man sich selbst sah. Ich schaute an den Baum, der relativ mittig vor mir stand. "Okay. Da du oder viel mehr dein Körper wie eine Statue da steht, nehme ich mal an, dass du jetzt in meinem Kopf bist. Jetzt weißt du, was mir gestern passiert ist. Du siehst durch meine Augen und du hörst durch meine Ohren. Ob du auch fühlst, was ich fühle, weiß ich nicht."

Spuren im SandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt