Kapitel 10

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Eiskalte Angst übermahnte mich und saß felsenfest in meinem Nacken. Ich versuchte mich aus dem eisernen Griff zu befreien, doch stattdessen trieben wir immer weiter nach unten. 
Schwarze Flecken bildeten sich bereits am Rand meines Gesichtsfeldes, als ich plötzlich losgelassen wurde. Doch anstatt mich frei zu lassen, wurde ich wieder zurückgezogen und an den Handgelenken festgehalten. Ein zweiter legte mir seine Hände um den Hals, was unnötig war, da ich unter Wasser sowieso keine Luft bekam. Wer war das? Ich bezweifelte, dass Lucas in diese Sache verwickelt war. Auch den anderen konnte ich so etwas nicht zutrauen. Sie waren keine Mörder oder Kriminelle. Doch was wusste ich schon? Ich kannte diese Leute gerade mal einen Tag! Ich war selbst schuld. Aber als ich nach unten gezogen wurde, stand meine ganze Mannschaft vor mir am Ufer.
Ich hatte schon längst aufgehört, mich zu wehren. Meine Kräfte verließen mich allmählich, und mein Bewusstsein war fast schon zur Gänze von der Dunkelheit verschluckt worden.
Ich bekam nur am Rande mit, dass die Hände an meinem Hals lockerer wurden und ich nach oben gezogen wurde. Danach verschlang mich die Schwärze.

„…gestohlen!“
„…noch eine verpassen!“
„…miese Schlampe…Kiste…!“ Einzelne Gesprächsfetzten drangen zu mir durch und ich öffnete die Augen. Olivia saß vor mir und strich mir beruhigend durchs Haar. Neben ihr saßen Kira, Annabel und Dawn.
„Lydia, du bist wach!“, schrie Olivia erleichtert.
„Liv.“ Ich lächelte sie an. Das Gespräch wurde sofort abgebrochen. Tyler, Lucas und Jason ließen sich neben mir fallen. Tyler drückte meine Hand und fragte: „Wie geht’s dir?“
Ich schloss die Augen und setzte mich mit ganzer Kraft auf. „Ging mir schon mal besser.“ 
Zu meiner Verwunderung zog Lucas seine Jacke aus und legte sie mir um die Schultern. Ich lächelte dankbar; Lucas grinste glücklich zurück, und Liv schnaubte nur spöttisch.
Erst jetzt bemerkte ich zwei Gestalten, die einige Meter hinter den Jungs standen.
„Was ist passiert? Wer ist das?“, krächzte ich.
„Du elende Diebin, du hast uns beklaut!“ Ein Mädchen in meinem Alter trat in mein Sichtfeld. Violette Locken umrahmten ihr ovales Gesicht und betonten ihre vollen Lippen. Sie hatte große Augen und trug einen gestreiften Bikini. Erst beim genaueren Hinsehen, bemerkte ich ihre blasse Haut, die vor Kälte zitterte. Die Augen des Mädchens waren blutunterlaufen, und sie tänzelte nervös von einem Fuß auf den anderen. 
Ich starrte sie nur verwirrt an, worauf der Junge neben ihr anklagend mit den Finger auf mich zeigte und behauptete: „Du hast uns den Schlüssel gestohlen, die Kiste geöffnet und wolltest mit unseren Sachen abhauen.“ Der Junge war ebenfalls zwischen sechzehn und siebzehn, hatte blonde kurze Haare und braune Augen. Seine Muskeln wirkten furchteinflößend und ließen mich frösteln. Auch er trug nur eine Badehose und starrte wütend auf mich herab. Aus seiner Nase floss Blut, das er sich mit der Faust wegwischte.
Ich schaute an mit herunter und bemerkte, dass das Kleid total dreckig und zerfetzt war.
„Tut mir leid. Ich hab den Schlüssel nur zufällig gefunden, und hab gedacht, hier werden alle Sachen aufbewahrt, die jemand verloren oder vergessen hat. Mir war kalt, also hab ich mir das Kleid angezogen. Ich ersetz es dir natürlich.“
Es war außer Frage, dass ich von denen nicht angegriffen wurde. Ich wusste, dass ich eigentlich die sein sollte, die wütend mit der Polizei drohen sollte. Der Junge und das Mädchen würden dann die Rolle der ängstlichen Teenager spielen und verzweifelt um Gnade winseln. Der Gedanke brachte mich zum Schmunzeln.
Aber ich wollte nicht schon an meinem zweiten Tag Ärger haben. Das hier sollte ein Neuanfang werden, und dass waren eben Startschwierigkeiten. Ich beschloss, es diesmal dabei zu belassen. Falls so etwas nochmal vorkam, würde ich die Polizei anrufen. Gerade wollte ich meinen Entschluss den anderen mitteilen, doch der Violette- Lockenkopf kam mir zuvor.
„Ich. Will. Mein. Kleid. Zurück. Sofort!“ Das Mädchen stapfte bedrohlich auf mich zu, was Lucas dazu brachte, aufzustehen und sich schützend vor mich zu stellen.
„Keinen Schritt weiter, oder dein Freund ist nicht der einzige mit einer blutigen Nase. Es ist mir egal, ob du ein Mädchen bist oder nicht.“
Das Mädchen zögerte, blieb aber stehen.
Seufzend stand ich mit etwas Hilfe auf und wollte aus dem Kleid schlüpfen, als mir nochmals die Taschen am Kleid auffielen. Ich griff hinein – und zog Kiras Kette heraus. Doch das war noch nicht alles. Eine Tüte Kokain lag in meiner Hand. 
Ich drehte meinen Kopf zu den Pärchen, doch sie waren weg. Sie mussten weggelaufen sein, als ich die Drogen gefunden hatte. 
Ich drückte Kira das Medaillon in die Hand und sagte zu Tyler: „Tja, ich schätze, Aufgabe erfüllt, oder?“ Tyler lachte kurz, starrte aber dann wie alle anderen auch auf das Päckchen in meiner Hand.
„Du ziehst den Ärger ja richtig an, was, L?“, meinte Lucas scherzhaft

Carpe diem, LydiaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt