Kapitel 37

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Wir wollten gerade auf den Parkplatz fahren, als Tyler angstvoll schrie: "Jasper, pass auf!"

Erschrocken drehte ich meinen Kopf nach vorne. Ich schrie. Alles in mir schrie. Ich schloss die Augen und suchte nach Tylers Hand. Aber da war nichts. Es ging so schnell. Das Auto krachte in unseres, und alles was ich hörte war das zerquetschen von Metall. Jasper riss das Lenkrad nach links, doch es war bereits zu spät. Das Auto vor uns traf noch auf die rechte Seite unseres Autos. Wir überschlugen uns und ich fühlte, wie sich Glasscherben in meine Haut bohrte und der Gurt in meinen Hals schnitt. Doch es interessierte mich nicht, alles was ich wollte, war, aus diesem Auto rauszukommen. 

Plötzlich stand der Wagen still und ich löste den Gurt. Das Auto blieb verkehrt auf der Straße liegen, weshalb ich einige Probleme hatte auszusteigen. Tränen rannen über meine Wangen, als ich zu Tylers Tür rannte. Aber er hatte die Augen geschlossen und bewegte sich nicht.

"Tyler! Tyler! Wach auf!", schrie ich verzweifelt und rüttelte an seiner Schulter, obwohl ich wusste, dass man das nicht tun sollte. 

Ich wollte nicht, dass er starb. Nicht jetzt. Nicht so wie Dad. Ich schluchzte noch lauter, und versuchte noch mal Tyler zu wecken. "TYLER, VERDAMMT! WACH. AUF! BITTE!" 

Ich wollte, dass er seine Augen öffnete und mich anlächelt. Das er mir sagt, dass alles wieder gut wird und mit einen seiner blöden Sprüche den Moment versaut. Aber nichts passierte. Sein Gesicht blieb regungslos. War er überhaupt noch am Leben? Schnell packte ich seine Hand. 

Ich wartete.

Eine Sekunde.

Zwei.

Da! Da war der Puls! Unter Tränen lächelte ich, aber es verging mir schnell wieder.

Denn er bewegte sich nicht, genauso wie Jasper. Im anderen Wagen öffnete jemand die Tür, aber ich nahm es kaum war. Ich rannte zur Fahrertür und öffnete Jaspers Tür.

Ich wollte gerade ebenfalls nach seinem Puls fühlen, als er leicht seinen Kopf zu mir drehte. Seine Augen ließ er jedoch geschlossen, als er flüsterte: "Hol...Hilfe." Die Anstrengung war dabei nicht zu überhören und ich merkte, wie viel Kraft ihm diese zwei Wörter kosteten.

Hilfe! Natürlich! Schnell drehte ich mich um und schaute zum zweiten Auto. Die Fahrertür war geöffnet, aber es war niemand zu sehen. Ich ließ meinen Blick weiter über das Auto wandern und bemerkte einen Mann, der gerade versuchte, eine zweite Person aus dem Auto zu ziehen. Irgendwie kam er mir bekannt vor, doch ich kümmerte mich nicht weiter darum. Stattessen machte ich einen Schritt nach vorne, um Hilfe aus dem Krankenhaus zu holen, als ich in etwas klebriges trat. Blut. Erst nach einigen Sekunden realisierte ich, dass es mein Blut war.

Plötzlich hörte ich Stimmen. Ich sah, wie einige Ärzte aus dem Krankenhaus in unsere Richtung stürmten und mir etwas zuriefen, bevor alles schwarz wurde.

_

Alles war so friedlich, so schön. Ich fühlte mich, als würde ich schweben. 

Aber eigentlich fühlte ich gar nichts. Und das war auch gut so. Denn ich wollte nicht aufwachen. Aus irgendeinen Grund wollte ich nicht, aber ich wusste nicht mehr warum. Ich sollte mich erinnern, aber ich wollte nicht. Es war so schön hier.

"Komm schon, Lydia. Wach auf." Schon wieder diese Stimme. Ich hörte sie täglich, zusammen mit anderen, aber ich konnte sie nicht zuordnen. Die Stimmen hörten sich an, als würde jemand durch eine Glaswand mit mir sprechen.

"Ich brauche dich. Wenn soll ich den sonst in den Ohren liegen?" Diesmal eine andere Stimme. Höher, eindeutig ein Mädchen.

"L." Tiefer, männlich. Er sagte immer nur das selbe, wenn er mit mir redete.

Jemand nahm meine Hand und strich darüber. Ich hörte ein schluchzen, etwas Nasses tropfte auf meine Hand. Tränen, jemand weinte.

Meine andere Hand wurde gedrückt, als jemand sagte: "Öffne deine Augen Lydia. Bitte." 

Die Stimme wurde klarer und ich spürte wie ich in die Realität zurückgezogen wurde. Verzweifelt versuchte ich irgendwie wieder zurückzukommen, aber es war bereits zu spät. Die Erinnerungen trafen mich mit voller Wucht: Der Umzug. Lucas. Livs Besuch. Der See. Mein Geburtstag. Die Gasse und das Geld. Die Hütte. Das Hotel. Der beinahe-Kuss. Der Sturm. Der Stromausfall.  Die Kerzen. Das Flaschendrehen. Finn. Der Aufzug. 

Der Unfall.

Tyler, Finn und Jasper.

Ging es ihnen gut? Was war mit ihnen? Ich öffnete meine Augen, aber schloss sie gleich wieder, da das Licht in meinen Augen schmerzte. 

Wieder wurde meine Hand gedrückt und Gemurmel entstand.

"Lydia? Bist du wach? Sag doch was, bitte."

Ein Stein fiel mir vom Herzen, als ich Tylers Stimme hörte. "Ty...ler...", flüsterte ich. Ich drehte meinen Kopf und öffnete nochmals meine Augen. Diesesmal schaffte ich es sogar, sie offen zu halten.

"Finn? Jasper?",fragte ich besorgt und schaute in das lächelnde Gesicht meiner Mutter. Sie weinte, genau wie Liv. Lucas war ebenfalls hier.

"Es geht mir gut.", antwortete Finn, als er durch die Tür kam und stellte seinen Kaffee auf einem Regal ab. Danach zog er einen Stuhl an mein Bett, während Lucas telefonierte und gleichzeitig Liv glücklich an sich drückte und mich anlächelte, und fragte: "Wie gehts dir?"

Ich runzelte die Stirn. Finn trug einen Kopfverband, aber das war nicht das, was mich irritierte. Lucas war nämlich der einzige hier, der nicht unverletzt war. Meine Mum trug einen Verband am Oberarm und hatte einen Kratzer an der rechten Schläfe, aber sonst war sie ok. Tyler hatte ebenfalls eine Kopfverletzung und sein rechter Arm lag in einem Gips.

Tyler hatte seine Verletzungen vom Autounfall, und Finns Verband konnte ich ebenfalls erklären. Aber was war mit Mum?

Sie schien meinen Blick bemerkt zu haben, denn sie erklärte mir mit einer gedämpften Stimme: "John und ich waren im anderen Auto. Aber keine Sorge, uns geht es gut." Mum versicherte es mir mit einem Lächeln.

"Tut mir leid.", murmelte ich, während mir die Augen wieder zu fielen. Ich war so müde.

Mum und Tyler wollten beide etwas erwiedern, aber ich sprach ihnen dazwischen: "Wo...ist Kira?"

Doch ich hörte gar nicht mehr was sie antworteten, sondern bemerkte nur die besorgten Blicke die alle miteinander tauschten, bevor ich einschlief.

Carpe diem, LydiaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt