Kapitel 17

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Entsetzt schaute meine Mutter mich an und flüsterte: „Woher…“
Scheiße, scheiße, scheiße! Was sollte ich jetzt sagen? Ich konnte ja kaum mit der Wahrheit rausrücken. Andererseits, was sollte ich ihr sonst erzählen? In meinen Kopf ratterte es. Ich biss mir auf die Lippe und suchte verzweifelt nach einer Ausrede.
Plötzlich zog ein dunkler Schatten über Mamas Gesicht. Ich trat einen Schritt zurück, doch sie packte mich am Handgelenk.
„Ich weiß, was du denkst“, erklärte ich ruhig, „aber es war nicht Lucas.“ Ich versuchte mich aus ihrem Griff zu befreien, doch sie packte nur noch fester zu. Hinter uns wurde die Tür geöffnet. John stellte sich hinter meine Mutter und fragte, ob alles in Ordnung sei.
„Nichts ist in Ordnung!“, rief sie und warf die Hände in die Luft. Ich rieb mir mein Handgelenk, jedoch nur um nicht hilflos in der Gegend rumzustehen. Was sollte ich ihnen nun erzählen? Ich senkte meinen Blick, doch eine Hand hob sanft mein Gesicht. Meine Mutter nahm mir den Schal ab und deutete auf meinen Hals.
„Siehst du was ich meine? Ich weiß nicht mehr was ich tun soll. Sie lässt sich schon wieder von Lucas einwickeln!“ John nahm meine schluchzende Mutter in den Arm und strich ihr behutsam über den Rücken, aber er konnte den Blick nicht von meinen Malen abwenden.
Ich hörte Schritte hinter mir, drehte mich aber nicht um. Mir war egal, wer mich jetzt noch sah, spätestens in fünf Minuten würden es sowieso alle wissen. Erschreckende Laute ertönten hinter mir. Ich hörte Finn etwas murmeln. In dem Augenwinkel sah ich, wie Eren irgendetwas flüsterte und ihm eine Hand auf die Schulter legte. Derek und Kira standen geschockt daneben.
„Es. war. nicht. Lucas.“, sagte ich entschlossen.
Meine Mutter hatte sich bis jetzt auf Johns Schulter die Augen ausgeheult, als sie den Blick wieder auf mich richtete. Ihre Augen waren geschwollen, ihre Wangen glänzten im Sonnenlicht von den Tränen. Sie stellte sich vor mich und ballte wütend die Fäuste. Ihre goldenen Augen leuchteten nicht mehr vor Freude wie sonst, sondern waren zu Schlitzen zusammengezwängt und strahlten nichts als Zorn aus. Ihr Gesicht war knallrot.
„Ich glaube dir aber nicht. Woher soll ich wissen ob ich dir noch vertrauen kann?“
Jetzt war meine Geduld endgültig am Ende. Ich riss ihr meinen Schal aus der Hand und rannte aus dem Haus. Im Hintergrund nahm ich war, dass Kira und Finn mir gefolgt waren, doch ich wollte keinen von beiden jetzt sehen.
Ich beschleunigte meine Schritte und rannte um mein Leben. Ich wusste nicht wohin, aber es war mir egal. Irgendwann kam ich an einem Wald vorbei und versteckte mich schnell hinter einigen Büschen. Kira und Finn liefen direkt an mir vorbei. Ich wartete einige Minuten, bevor ich aus meinem Versteck gekrochen kam.
Ich lief zu Olivias Hotel. An der Rezeption sagte mir eine Frau ihre Zimmernummer, jedoch war sie nicht da. Also setzte ich mir in die Empfangshalle und wartete. Ich grub meine Fingernägel in die Handflächen und versuchte verzweifelt, meine Tränen zurückzuhalten.
Gerade als meine Wut die Oberhand gewann und mir die erste Träne über die Wangen rann, schlenderte Liv lachend mit Elizabeth und Marie-Ann durch die Eingangstür. Als sie mich sahen, erstarb ihr Gelächter, und Olivia rannte kommentarlos auf mich zu und nahm mich in die Arme. 
Sie zog mich in den Fahrstuhl und gemeinsam mir Liz und Marie-Ann fuhren wir in ihr Zimmer. Ich lies mich aufs Bett fallen und erzählte ihnen alles.
Marie-Ann, Elizabeth, Olivia und ich waren schon immer gute Freunde gewesen, aber mit Liv verstand ich mich am besten. 
„Hör nicht auf deine Mutter.“, versuchte Marie-Ann mich zu trösten, „Die ist nur aufgedreht wegen der Hochzeit.“
Ich stieß ein freudloses Lachen aus und schüttelte den Kopf: „Nein. Die ist schon so, seit sie John kennengelernt hat.“
Marie, Liz und Liv redeten noch eine Weile auf mich ein, bis sie zu einer Besprechung gehen mussten.
„Wir können auch einfach hierbleiben.“, schlug Liv vor.
„Nein.“, wehrte ich ab, „Ich muss auch nach Hause. Die anderen machen sich sicher schon Sorgen. Ich hab nicht mal mein Handy dabei.“
In diesem Moment klopfte es an der Tür. Marie-Ann stand auf und öffnete sie, aber ich konnte nicht sehen wer es war.
„Hey Marie, ist Lydia hier?“, fragte Ethan. Er war ebenfalls an meiner alten Schule, und seine tiefe Stimme war unverwechselbar.
Doch bevor Marie-Ann etwas erwidern konnte, quetschte Lucas sich an ihr vorbei und schaute erleichtert zu mir. 
„Lydia!“ Er rannte zu mir und nahm mich in seine Arme, was uns einige verwirrte Blicke einbrachte.
„Wir haben dich überall gesucht.“ 
Ich löste mich aus seiner Umarmung und fragte: „Wir? Wer denn alles?“
„Finn, Kira, Dawn, Annabeth, Tyler, Jason, Derek, Eren – sogar John.“
„John? Und meine Mutter?“, fragte ich zweifelnd. Ich kannte die Antwort bereits.
„Tut mir leid, Kleines.“ Er schüttelte den Kopf. „Eren hat uns erzählt, was passiert ist. Finn ist durchgedreht, als wir ihm das vom See erzählt haben.“
Hinter mir hörte ich Liv seufzen. Entsetz riss ich die Augen aus: „Ihr habt es ihm erzählt?“

Carpe diem, LydiaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt