3. Das weiße Pferd

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Ich steche mit dem Messer auf den Apfel ein und versuche ihn so in perfekte Schnitzen zu schneiden, ohne mir die Finger abzuhacken. Zugegeben, es sieht aus, als würde ich das erste Mal mit einem Messer umgehen. Aber ich bin sauer. Auf meine Eltern, auf die Schule, auf Juliane... Etwas von dem Saft tropft vom Messer auf die Arbeitsplatte. Meine Eltern hassen es, wenn wir in der Küche herum werkeln und nicht hinter uns aufräumen, aber dafür habe ich jetzt echt keine Gedanken übrig.
„Die ist so eine... Führt sich auf, als würde ihr der Laden gehören... wegen einem Typen! Als ob- AU!" Ich lasse Apfel und Messer auf die Arbeitsplatte fallen und halte mir meinen Zeigefinger. Aus einem kleinen Schnitt quillt etwas Blut.
„Ach, ganz große Scheiße ist das doch!", rufe ich vielleicht etwas zu laut durchs Haus, denn keine Minute später steht meine Mutter hinter mir und schaut mir dabei zu, wie ich mit einem bedürftig mit Küchenkrepp verbundenen Finger einen Apfel ermorde.
„Komm, gib her. Ich kann mir das nicht länger ansehen, wie du den armen Apfel malträtierst." Sie nimmt mir mein Essen aus der Hand und schafft es ohne Probleme aus dem runden Obst perfekte Schnitzen zu machen. Ohne sich dabei fast die Fingerkuppe abzusäbeln. Das ist bestimmt so eine Eigenschaft, die man nur hat, wenn man Mutter ist. Ich setze mich neben ihr auf die Arbeitsplatte und starre aus dem Fenster. Irgendjemand hat die Bäume geschnitten, denn ich kann plötzlich genau die Wiese beobachten, die mit einem altmodischen Holzzaun umzäunt ist.
„Was hast du denn für große Sorgen, dass der Apfel dran glauben muss?", holt meine Mutter mich aus meinen Gedanken und reicht mir eine der Schnitzen. Innerhalb der kurzen Zeit hat sie aus dem Apfel elf gleichgroße, perfekt geformte Stücke gemacht. Sie sagt gar nichts dazu, dass ich auf der Arbeitsplatte sitze, was sie und Papa eigentlich immer in den Wahnsinn treibt. Ich werde aber nicht nachfragen, was sie davon hält.
Ich nehme ihr die Schnitze aus der Hand und beiße herzhaft davon ab und sie steckt sich ebenfalls eine in den Mund. Abwartend sieht sie mich an.
„Alles hier ist... ich meine, schau dich doch mal um! Das hier ist nicht Zuhause. Und in der Schule muss ich mein Dasein jetzt neben einer Oberzicke fristen, bis ich vergammle! Die führt sich auf, als wäre ich die Pest, weil sie es nicht ertragen kann, dass dieser Kerl nicht neben ihr sitzt. Ich meine, für wen hält die sich?!"
„Ich weiß, dass das hier nicht deinen Vorstellungen entspricht. Aber es war schon immer der Traum von deinem Vater und mir, mal aufs Land zu ziehen. Er kommt auch hier aus der Gegend, deswegen habe ich versucht einen Job in Stuttgart zu finden. Und als wir dann- " Ich unterbreche meine Mutter.
„Aber hättet ihr damit nicht warten können, bis Maggie und ich ausgezogen sind? Ich meine, auf diese zwei Jahre wäre es eh nicht angekommen. Und den Giftzwergen ist doch sowieso alles egal, solange die zusammen sind." Mama schaut mich vorwurfsvoll an.
„Du sollst deine Brüder nichts so nennen, Brooklyn."
„Wie? Zusammen?" Ich springe von der Anrichte und schiebe mir noch ein Stück Apfel in den Mund. Meine Mutter schüttelt den Kopf.
„Du weißt, was ich meine!", erwidert Mama. Ich schnaube und verschränke die Arme vor der Brust. „Das führt doch zu nichts mit dir...", murmelt sie und starrt auf die restlichen Apfelstücke. Dann wandert ihr Blick aus dem Fenster. „Brooklyn, hier! Nimm den Apfel und bring sie dem Pferd dahinten. Vielleicht kommst du dann auf andere Gedanken bei deinem Spaziergang." Ich fange an zu lachen, weil ich denke, dass meine Mutter das nur so aus Spaß sagt. Aber dann packt sie die restlichen Schnitzen in eine Plastiktüte und drückt sie mir in die Hand. Ich höre auf zu lachen.
„Das ist doch nicht dein Ernst?" Ich bin fassungslos. „Du schickst mich spazieren?" Mama schiebt sich an mir vorbei aus der Küche und ich folge ihr mit der Apfeltüte in der Hand. „Das kannst du nicht bringen."
Meine Mutter schaut mich mit einem Blick an, der mich sofort zum Schweigen bringt.
„Ich habe Maggie durch die Pubertät gekriegt und bei dir schaffe ich das dann auch. Das hat meine Mutter auch immer mit mir gemacht und ich bin sicher, es hat mir nichts Böses getan. Und Margarethe lebt auch noch. Du wirst überrascht sein, wie wirksam etwas frische Luft ist." Meiner Mutter holt meine dünne Stoffjacke von der Garderobe und drückt sie mir in die Hand, während ich immer noch perplex im Flur stehe. „Und je schneller du draußen bist, desto schneller bist du wieder hier."
Das kann sie nicht machen. Sowas ist doch keine Erziehung mehr. Bei dieser Diktatorenstimme werde ich gar nichts tun! Sie kann sehen, wer hier den längeren Atem hat.
„Das... das kannst du nicht...", fange ich an mich zu verteidigen. Sie streckt mir immer noch meine Jacke entgegen und ich halte immer noch diese doofe Plastiktüte umklammert. Ich sollte sie ihr vor die Füße werfen oder sonst was damit machen. „Du... Mama, das..."
Auf dem Gesicht meiner Mutter breitet sich ein siegessicheres Grinsen aus. Oh, nein so nicht, Alte! Nur weil du meine Mutter bist...
Ich murmle einige wilde Beschimpfungen vor mir her, reiße ihr die Jacke aus der Hand und ziehe sie mir über.

Mit Herz und Huf - GefundenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt