Ich versuche aus dem Chaos, was wir angerichtet haben, meine Sachen herauszusuchen. Über den gesamten Fußboden liegen karierte Blätter, sowie Bücher und Materialen verteilt, sodass man das Holzdielen kaum noch sehen kann. Irgendwo dazwischen müssen auch noch mein Taschenrechner und meine Stifte liegen.
„Für Mathe sind wir jetzt doch eigentlich ganz gut gerüstet", meint Juli und hilft mir, die Unordnung provisorisch beiseite zu schaffen. Meine Arbeitsblätter tauchen auf und ich räume sie schnell zurück in meine Tasche, bevor sie wieder verschwinden.
„Besser als für Französisch", murmle ich und reiche ihr eines der Regelbücher, die ich ihr geliehen habe. Sie verzieht das Gesicht.
„Dafür kannst du dich nicht richtig vorbereiten. Wenn wir fragen, was dran kommt, sagt sie: ‚Alles, was wir bis jetzt gemacht haben!', aber niemand das kann alles lernen. Dann soll sich die Alte auch nicht wundern, wenn keiner von uns am Ende auch nur ansatzweise über die fünf Punkte kommt." Ich seufze zustimmend.
„Und im Umkehrschluss dann alle Französisch abwählen." Ich ziehe mein Mathebuch aus einem Stapel Blätter. „Vielleicht sollten wir uns auch einfach nicht so einen Kopf machen und alle Aufgaben in der Klausur sind Leseverstehen." Juli atmet laut hörbar durch die Nase aus.
„Nur weil du den Text auf Französisch verstehst, heißt das noch lange nicht, dass ich das auch kann. Und ich bezweifle, dass du mir während der Klausur noch Spicker rüber schieben kannst." Wir grinsen, als wir die Parallele zu unserem Gespräch in der Halle erkennen. Juli wirft einen Collegeblock auf ihr Bett und setzt sich direkt daneben. „Vielleicht sollte ich mich eher auf Mathe konzentrieren. Meine Note in Franze kann ich irgendwann anders retten." Sie lässt sich nach hinten fallen und starrt an die Decke. Ich stopfe meine letzten Habseligkeiten in meine Tasche und stehe auf.
„Meinst du, dass reicht, um die Lehrer und deinen alten Herrn zu überzeugen?" Juli zuckt mit den Schultern.
„Keine Ahnung. Aber wir schreiben vier Klausuren jedes Jahr, Mathe wäre immerhin ein Anfang und Hauptsache meine Noten stimmen am Ende des Jahres. Dieses Halbjahr muss ich sie einfach nur davon überzeugen, dass ich an mir arbeite." Ich setze mich auf die Bettkante und mustere die Bilder an den Wänden. Obwohl ich jetzt schon mehrmals in ihrem Zimmer gewesen bin, entdecke ich jedes Mal ein neues Bild oder Foto. Auf einigen erkenne ich sogar Personen aus unserer Klasse. Neben der Tür hängt eine neue Zeichnung. Ein Pferdekopf; auf der Nase ruht die Hand einer Person, die auf dem Bild nicht mehr zu sehen ist.
„Soll ich dich noch runter bringen?", fragt Juli und hebt den Kopf.
„Nicht nötig", meine ich und reiße mich von den Bildern los. Juli nickt und stützt sich auf ihre Ellbogen.
„Ich melde mich, wenn ich noch was finde, was dir gehört." Ich stehe auf und grinse.
„Danke. Dann bis morgen!" Juli hebt kurz zwei Finger zum Abschied und ich verlasse ihr Zimmer. Die Tür lehne ich nur an und gehe dann den Flur der Wohnung entlang. Aus dem Wohnzimmer höre ich leises Gemurmel. Als ich vorbeikomme, springt Wolf auf und kommt in den Flur gelaufen. Er stupst mich zur Begrüßung mit seiner feuchten Nase an. Ich streichle ihm kurz über sein graues Fell. Auf dem Sofa sitzt Marie, die blonde Frau und neue Freundin von Julis Vater und schaut irgendeine Seifenoper. Sie lächelt mich kurz an.
„Auf Wiedersehen, Brooklyn." Ich verabschiede mich mit einem kurzen Nicken und schicke Wolf wieder weg. Der große Hund trottet zurück zu seiner alten Decke, die vor dem Sofa liegt und lässt sich schnaufend fallen. Dann verlasse ich die Wohnung und ziehe die Tür leise hinter mir zu.
Die Treppenstufen knarzen leicht unter meinen Schritten und ich ziehe den Reißverschluss meiner Jacke zu, bevor ich das Haus verlasse. Die Haustür fällt ins Schloss und ich vergewissere mich noch kurz, dass ich alles bei mir habe.
Der Regen hat aufgehört, aber es ist noch leicht windig. Der Regen hat die Umgebung gut um einige Grad abgekühlt. Ich fasse den Gurt meiner Umhängetasche fester und beschließe, noch einen Blick hinter das Stallgebäude zu werfen. Vielleicht ist Flashlight noch draußen.
Der feuchte Kies macht komische Geräusche unter meinen Schritten. Ich nehme den kleinen ausgetretenen Pfad am großen Steingebäude vorbei. Die Hufabdrücke in der feuchten Erde haben sich mit Regenwasser gefüllt und spiegeln die Wolkenformationen wider. Als ich wieder aufschaue, muss ich feststellen, dass Flashlight nicht mehr draußen steht. Bestimmt hat er heute nur im Stall gestanden. Es versetzt mir einen kleinen Stich.
Insgesamt wirkt der ganze hintere Platz wie ausgestorben. Doch auf dem überdachten Reitplatz dreht noch jemand seine Runden.
„Hey, Kilian!" Ich lehne mich an den Metallzaun und beobachte, wie Abacano und Kilian an der langen Seite des Platzes entlang galoppieren. Er schaut kurz zu mir auf und lässt Abacano auf mich zu laufen. Kurz vor mir bremst er ab.
„Brook, du warst aber schon länger nicht mehr hier." Er grinst.
„Ich hatte gerade Zeit. Bereitet ihr euch immer noch vor?" Abacano streckt seine Nase nach mir aus, als Kilian die Zügel etwas länger nimmt und ich streichle ihm kurz über den weißen Fleck.
„Jetzt geht es in die heiße Phase. Wir wären bescheuert, wenn wir uns jetzt nicht richtig reinhängen würden." Er klopft seinem Pferd den Hals. „Nicht wahr, Abacano? Und die Seitwärtsgänge werden jetzt auch wieder besser. Die haben wir bis Hegenlohe wieder perfekt drauf." Ich grinse.
„Und zur Not zeigt ihr denen einfach, wie toll ihr noch ganz viele andere Kunststückchen meistert", füge ich hinzu und Kilian lacht.
„Wenn Dressurprüfungen so ablaufen würden, wäre längst schon jeder Medaillenträger." Das Lachen verschwindet und er schaut nachdenklich zu mir herunter.
„Warum wart ihr heute eigentlich schon so schnell mit der Reitstunde fertig?" Ich seufze.
„Heute war nicht mein Tag, sagen wir es so..." Ich stütze meinen Kopf auf meinen Händen ab.
„Wie, nicht dein Tag?" Kilian legt die Stirn in Falten. Ich versuche mir auf die Schnelle eine Erklärung für meine katastrophale Reitstunde zusammen zu basteln, ohne dabei direkt wie ein wimmerndes Kleinkind zu klingen.
„Heute hat weder das Traben geklappt, noch hat sich mein Sitz wirklich verbessert. Ich habe einfach nichts richtig hingekriegt. Und dann sind da Juli und Picasso, das absolute Dreamteam, neben denen meine Leistungen natürlich aussehen wie absoluter Käse." Ich mustere meine Schuhspitzen, um Kilian nicht ins Gesicht sehen zu müssen. Wir schweigen für einen kurzen Augenblick.
„Das glaube ich nicht. Nur weil Juli die Halle betritt, heißt das ja nicht, dass du nichts mehr kannst, was du vorher gelernt hast." Ich schaue auf und sehe, wie irgendetwas in ihm arbeitet. Dann steigt er aus dem Sattel.
„Kilian, was machst du da?" Er nimmt Abacanos Zügel und winkt mich zu sich.
„Steig auf. Ich will sehen, wie dein Sitz ist." Ich bleibe verwundert stehen. Irgendetwas in mir sträubt sich, vor Kilian auf Abacanos Rücken zu steigen und meine miesen Leistungen zu präsentieren.
„Das geht nicht. Ich... ich habe keinen Helm mehr auf." Kilian zuckt mit den Schultern.
„Den brauchst du nicht. Ich passe auf dich auf. Und zur Not kriegst du meinen." Ich halte die Luft an.
„Und meine Schuhe... Ich habe die Reitstiefel schon ausgezogen." Wieder zuckt Kilian nur kurz mit den Schultern.
„Das ist nicht so wichtig. Komm schon, dir wird nichts passieren. Und ich lache dich auch garantiert nicht aus." Ich atme einmal tief ein und aus. Kilian sieht mich abwartend an.
„Okay...", murmle ich nur als Antwort und schlüpfe eben unter dem Metallgeländer durch. Meine Tasche stelle ich an den Rand und gehe ehrfürchtig auf Abacano zu. Er ist ziemlich groß, wie ich feststellen muss. Ich verstehe, wieso Juli mir für den Anfang Melody überlassen hat. Ich vermisse dieses kleine plüschige Pony gerade unendlich.
„Steig ruhig auf, ich halte gegen." Kilian nickt mir aufmunternd zu. Ich schlucke. Als ich versuche meinen Fuß in den linken Steigbügel einzufädeln, bemerke ich erst recht, wie krass der Größenunterschied von Melody zu Abacano ist.
„Bist du soweit?", fragt Kilian und ich schaffe es, wenn auch gefühlt mit einem halben Spagat, meinen Fuß in den Steigbügel zu stellen. Kilian reicht mir die Zügel über den Pferderücken und ich sortiere sie eben in eine Hand.
„Ich zähle runter, okay? Drei, zwei, eins!" Ich drücke mich vom Boden ab und hieve mich mit mehr Glück als Können in den Sattel. Oben muss ich frustriert feststellen, dass die Steigbügel zu lang eingestellt sind. Juli hat mir zum Glück schon einmal gezeigt, wie man das aus dem Sattel wieder richtig stellt. Kilian grinst, als er sieht, wie ich mich an der Länge der Steigbügel zu schaffen mache.
„Ich sehe schon, meine Schwester hat dich ordentlich ausgebildet." Ich verdrehe die Augen.
„Sie ist sehr gewissenhaft in ihrer Arbeit, glaub mir." Als ich die Steigbügel auf mich eingestellt habe, reicht mir Kilian seinen Helm, der mir zwar etwas zu groß ist, aber für diesen kurzen Trip soll es wohl reichen. Unsicher nehme ich die Zügel etwas kürzer. „Und jetzt?" Es fühlt sich ungewohnt an, so hoch über dem Boden zu sitzen und dazu noch ohne wirklich passenden Helm und in alten Sneakers. Kilian lächelt mich an und ich merke, wie ich mich etwas entspanne.
„Wir fangen mit Schritt an. Es reicht bei Abacano, wenn du nur ganz leicht gegen seine Flanke drückst." Ich setze mich etwas aufrechter hin, lasse die Schultern sinken und versuche, meine Füße nicht nach vorne sacken zu lassen. Nach einem leichten Schenkeldruck beginnt Abacano tatsächlich sich vorwärts zu bewegen.
Kilian läuft neben seinem Pferd her und hat eine Hand an den Zügeln. Er wirft kurz einen Blick zu mir zurück.
„Bis jetzt sehe ich nichts an deinem Sitz, was irgendwie falsch wäre." Ich merke, wie ich ein bisschen rot werde. „Reite einige Runden und zeige mir mal, wie du Zirkel reitest." Ich schaue ihn fragend an. Er beginnt schief zu grinsen. „Kreise. Wie du im Kreis reitest." Dann lässt er die Zügel los und ich reite völlig frei weiter. Als ich am Ende des Platzes dem Rand weiter folgen möchte, reagiert Abacano bereits, als ich den Druck an den Zügeln leicht verändere. Als ich mich im Sattel wende, schlägt das Pferd eine scharfe Rechtskurve ein. Erschrocken über diese steile Wendung, ziehe ich die Zügel an und Abacano bleibt stehen. Wir haben einmal komplett gewendet.
Lachend kommt Kilian auf uns zugelaufen und hält Abacano wieder an den Zügeln fest. Meine Hautfarbe schlägt um und meine Wangen werden wärmer.
„Ich hätte dich vielleicht vorwarnen sollen. Abacano reagiert sehr fein." Kilian hört auf zu lachen, kann ein kleines Grinsen aber nicht unterdrücken. Er fährt mit seiner Hand über Abacanos Hals und schaut dann wieder zu mir hoch. „Du musst dir das so vorstellen: Melody und die anderen Schulponys sind Kleinwagen. Gas, Bremse, Kupplung. Einfache Bedienung. Abacano dagegen ist ein Formel-1-Wagen. Er hat unglaublich viele Knöpfe am Lenkrad und allerlei Schnickschnack, den man eigentlich gar nicht braucht. So ein Sportwagen fährt sich anders wie ein kleiner Polo. Okay?" Ich nicke. Dieses dämliche Beispiel habe ich besser verstanden, wie das meiste, was Juli mir jeden Tag zu verzapfen versucht.
„Verstanden. Also brauche ich nur leicht an den Zügel arbeiten und auch nur leicht im Sattel mein Gesicht verlagern?" Kilian nickt und wirkt zufrieden.
„Richtig. Dein Sitz und deine Hilfen müssen dabei aber optimal sein, damit man ihn gut reiten kann. Probiere es noch einmal aus. So schwierig ist das gar nicht." Er grinst aufmunternd und ich merke, wie ich wieder zuversichtlicher werde. „Und dein Sitz bis jetzt war gut, ich weiß gar nicht, was Juli hat." Meine Mundwinkel zucken.
„Sie sagt immer, ich säße im Sattel wie in einem Fernsehsessel." Kilian lächelt. Doch seine Augen lächeln nicht mit. Er schaut weg und krault Abacano unterm Kopf.
„Das hat unsere Mutter immer gesagt. Juli benutzt ihre Sprüche gerne." Ich schlucke.
„Das Reiten verbindet sie mit ihr, oder?" Ich will diese Frage nicht gerne aussprechen, aber ich weiß, dass irgendetwas in mir sie stellen muss. Kilian nickt und sieht mich an. Die untergehende Sonne malt einen kleinen roten Schleier in seine Augen und auf Abacanos glänzendes Fell.
„Nicht nur Juli." Sein linker Mundwinkel zieht sich hoch, als er sich an etwas zu erinnern scheint. „Mutti hat es uns beiden als Kleinkinder beigebracht. Wir sind auf dem Pferderücken aufgewachsen. Wir haben es nie anders gekannt. Deswegen bedeutet es uns jetzt noch mehr wie vorher schon." Ich nicke und verstehe. Verstehe ein bisschen mehr von Juliane und auch von den anderen Mitgliedern der Familie Lichtenstein.
„Ich sollte vielleicht aufhören ständig alte Wunden wieder aufzureißen, was?" Ich setze mich im Sattel etwas bequemer hin und nehme die Zügel von der einen in die andere Hand, einfach um etwas zu tun zu haben. Kilian schüttelt den Kopf. Bestimmt nerven ihn meine Entschuldigungen inzwischen. Schließlich hat er mir in unserem letzten Telefonat genau erklärt, dass ich mich eben nicht entschuldigen soll.
„Reden ist das, was hilft, Brook. Wenn ich nicht darüber reden könnte, würde ich es nicht tun. Aber es hilft. Es hilft sich zu erinnern und alles zu verarbeiten. Mehr oder weniger..." Er nimmt einen der Zügel und beginnt loszulaufen. Abacano folgt ihm und ich gezwungenermaßen auch. Er lässt das Pferd wieder los und kommt zu mir. Er läuft neben Abacano her und beginnt sich weiter mit mir zu unterhalten. „Juli hat das nie gemacht. Deswegen... Sie hatte eine gewisse Zeit Probleme. Mit allem. Jetzt geht es ihr wieder ein bisschen besser, aber das Thema ist immer noch schwierig." Ich mustere Abacanos Mähnenansatz. Alles besser, als Kilian jetzt ins Gesicht sehen zu müssen.
„Redet sie auch nicht mit euch darüber? Euren Großeltern, eurem Vater oder wenigstens mit dir?" Kilian schüttelt den Kopf. Die Sonne scheint inzwischen genau über den Baumspitzen und den Rand des Daches in die Halle hinein und taucht alles in eine gemütliche sommerabendliche Atmosphäre. Das Thema passt jedoch irgendwie nicht in diese Szenerie.
„Mit niemandem. Zumindest nicht so wirklich. Sie ist ziemlich gut darin geworden, diesem Thema auszuweichen, du wärst beeindruckt." Ich wiege den Kopf hin und her.
„Das kann ich mir sogar vorstellen." Da fällt mir die Geschichte von Picasso wieder ein. „Sie hat heute allerdings mal von ihr erzählt. Also eurer Mutter." Kilian schaut verwundert zu mir hoch.
„Ach ja? In welchem Zusammenhang?"
„Sie hat mir die Geschichte von Picasso erzählt. Das du ihr Rad fahren beibringen musstest, weil eure Eltern und Großeltern sie nicht ständig in diesen Ort bringen wollten. Und da hat sich auch in einem Nebensatz von eurer Mutter gesprochen." Kilian fängt an zu grinsen.
„Die Geschichte von Picasso und sich erzählt sie gerne. Aber sie ist ja auch schön. Allerdings hat sie bis jetzt nie wirklich von Mutti, sondern immer nur von unseren Eltern an sich gesprochen. Hat sie wirklich das Wort ‚Mutter' in den Mund genommen?" Kilian kann es anscheinend nicht wirklich glauben, was ich ihm da erzähle. Ich nicke und schaue ihn das erste Mal wieder richtig an. Er erwidert meinen Blick.
„Hat sie. Sie hat wahrscheinlich nicht drüber nachgedacht und einfach nur erzählt. Das ist doch schon mal was. Oder nicht?" Kilian nickt langsam, lässt mich allerdings auch nicht aus den Augen. Dann beginnt er zu grinsen.
„Und du hast auch nicht drüber nachgedacht und trotzdem ist dein Sitz so geblieben, wie er sein soll." Ich schaue ihn verwirrt an. Doch tatsächlich: Mein Rücken ist gerade, meine Ellbogen bei mir und meine Füße, wie sie sein sollen. Ohne, dass ich mich weiter darauf konzentrieren musste.
„Hast du mich abgelenkt?", frage ich Kilian, doch er lacht nur.
„Ich habe dich nicht abgelenkt. Du hast mir nur gezeigt, dass du reiten kannst." Er bleibt stehen, während ich und Abacano weiter reiten und sucht sich einen Platz in der Mitte der Sandfläche. „Und jetzt zeig mir, wie du im Trab reitest." Er lächelt mich aus der Entfernung an und ich grinse zurück. Mit einem leichten Schenkeldruck wechselt Abacano in den Trab und ich nehme seinen Rhythmus auf. Etwas holprig, aber schließlich finde ich rein.
Ich folge der äußeren Bahn des Platzes und versuche mich auf meinen Sitz zu konzentrieren. Kilian beobachtet mich aufmerksam. Sobald ich versuche, ihm einen Seitenblick zuzuwerfen, komme ich aus dem Takt. Ich schaue nach unten, suche das äußere Vorderbein und komme nur mühsam wieder rein.
„Siehst du Abacanos äußeres Vorderbein?", fragt Kilian mich plötzlich. Ich schiele nach unten.
„Naja, ich kann sehen, wie sich seine Schulter bewegt", erwidere ich. Ich biege in der Platzecke ab und schaue kurz zu Kilian.
„Richtig. Du kannst es nicht wirklich sehen, stimmt's?" Ich nicke. Worauf will er hinaus?
Kilian dreht sich mit mir mit. „Beobachte jetzt mal seine Schulterbewegung und auf das, was du dabei im Sattel fühlst." Ich bin verwirrt, mache aber, was er mir sagt.
Ich reite nun auf der längeren Seite des Platzes und achte nur auf die Schulter des Pferdes und mein Gefühl. Ich gebe mir die ganze Platzseite Zeit, bevor ich Kilian antworte.
„Ich merke den Schwung von den Hinterbeinen. Das Absacken nach der Schwebe. Sowas halt." Nichts, was vorher nicht auch da gewesen wäre, stelle ich enttäuscht fest. Kilians Tipp hilft mir gerade noch nicht so wirklich weiter.
„Arbeite mal damit. Mit dem Gefühl. Du schaust immer nach unten auf die Schulter und versuchst dich krampfhaft daran zu orientieren. Wenn du beginnst anzutraben, kannst du das machen, aber später willst du ja freier reiten als jetzt. Da ist immer nach unten schielen zu anstrengend. Lass dich auf den Rhythmus ein und verlass dich auf dein Bauchgefühl." Ich werfe Kilian kurz einen misstrauischen Blick zu.
„Aber wie soll ich so zum richtigen Zeitpunkt aufstehen und wieder sitzen?" Er sagt nichts, sondern zuckt nur mit den Schultern.
„Vertrau dir doch mal. Du kannst das." Ich seufze leise und schaue wieder nach vorne. Kurz schiele ich nach unten und passe mich der Bewegung der Schulter an. Dann halte ich den Kopf oben. Ich achte, wie Kilian es gesagt hat, auf das, was ich fühle und bewege mich nach dem Gefühl aus dem Sattel raus und wieder rein.
In der Ecke des Platzes wende ich Abacano und konzentriere mich darauf, nicht aus Versehen doch nach unten zu schielen. Ich lasse das Pferd quer über den Platz laufen, wie ich es schon mal bei Juli gesehen habe und komme an Kilian vorbei der mich mit einem leichten Grinsen im Gesicht beobachtet. In der gegenüberliegenden Ecke drehe ich wieder ab und folge weiter der äußeren Seite des Sandplatzes. Ich trabe immer noch.
„Lässt du Abacano bitte einmal auf mich zukommen? Du kannst hier in der Mitte dann auch direkt halten und absteigen." Kilian winkt mich zu sich und ich pariere Abacano zurück in den Schritt. Er reagiert sofort. Gemütlich kommen wir auf Kilian zu und ich lasse Abacano neben seinem Reiter halten. Kilian greift in die Zügel und hält Abacano fest, während ich aus dem Sattel klettere. Runter geht zum Glück besser wie hoch. Erleichtert nehme ich Kilians Helm wieder ab und reiche ihn ihm.
„Und wie war ich?" Kilian lächelt mich an und nickt anerkennend.
„Dein Sitz war super. Du kannst es ja doch. Heute und mieser Tag, das ich nicht lache." Kilian grinst und ich lächle zurück. Ich merke, wie ich ein Stückchen größer werde vor Stolz.
„Hat das mit dem Fühlen denn geklappt?" Er nickt.
„Hast du es nicht gemerkt? Du warst besser im Takt wie vorher. Hier und da hakt es noch ab und zu, doch das ist kein Problem. Das sieht bei den anderen manchmal auch noch so aus. Aber ich habe nichts daran auszusetzen." Ich mustere Kilian nachdenklich.
„Danke, Kilian. Dein Tipp wird mir bestimmt helfen." Er lächelt mich an und die Abendsonne spiegelt sich noch stärker in seinen Augen wie vorher.
„Dafür sind Freunde doch da. Ich kann dir gerne weiterhin helfen, wenn du das willst. Du musst nur nachfragen. Dann kannst du Juli demnächst zeigen, was eine Harke ist." Er zwinkert mir kurz zu und ich lache.
„Das wäre sehr nett von dir. Ich werde auf dieses Angebot bestimmt noch einmal zurückkommen."
„Ich hoffe doch."
Seite an Seite verlassen Kilian und ich den Reitplatz und lachen.
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Mit Herz und Huf - Gefunden
Подростковая литератураBrooklyn ist ein Kind der Stadt, das ist sie seit ihres ersten Tages und das wird sie auch immer bleiben. Davon ist sie zumindest immer stark ausgegangen. Doch wie es das Schicksal will, kommt ihrem perfekten Leben ein Umzug dazwischen. Und ausgerec...