10. Regensturm

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Es ist Donnerstagnachmittag, ich stehe im Eingangsbereich der Schule neben meiner Mutter und wir beide mustern die Wand, wo sich sämtliche Vereine, AGs und andere Vereinigungen mit bunten Zetteln verewigt haben. Entweder um Schüler davon zu überzeugen, bei ihren Sachen mitzumachen oder ihnen zu sagen, wie uncool Rauchen ist.
Mein Blick scannt das schwarze Brett ab und mein Kopf schwirrt von den ganzen Flyern und fettgedruckten Überschriften, die langsam vor meinen Augen verschwimmen.
„Was ist damit?" Meine Mutter zeigt auf einen orangenen Flyer von der Theater- AG. Als nächstes ist ‚Der Froschkönig' geplant und dafür werden noch dringend neue Mitglieder gesucht.
„Ne...", erwidere ich und suche weiter nach anderen Angeboten, die mich vielleicht mehr interessieren als Theater. Wirklich gut war ich im Schauspielern noch nie.
„Was haben Luis und Leon eigentlich angestellt, dass du hier bist?" Mama zuckt mit den Schultern.
„Stress mit irgendeinem Mitschüler, glaube ich. Aber seien wir ehrlich, irgendwas ist doch immer", seufzt sie.
Das schätze ich an meiner Mutter. Auch wenn sie diese negative Eigenschaft von den Giftzwergen nicht besonders zu leiden scheint, mag sie gerade solche Sachen besonders an uns. Denn das macht uns aus ihrer Sicht einzigartig. Und sie weiß auch, wie sie uns das zeigen kann.
„Aber zurück zum Thema, Brooklyn. Was ist den hiermit? Schach soll gut für die Konzentration sein." Ich stöhne lautlos auf.
Meine Mutter hat sich in den Kopf gesetzt, mir zu einem Hobby zu verhelfen, wahrscheinlich auch, um neue Leute kennenzulernen und nicht stundenlang alleine in meinem Zimmer zu sitzen, wie ich es derzeit mache. Und da sie einen Termin mit der Klassenlehrerin der Giftzwerge hat, hat sie die Möglichkeit genutzt, mich mitzunehmen und die Aushänge am schwarzen Brett gemeinsam zu studieren.
„Ich weiß nicht... Ich bin eine Niete im Brettspielen." Das ist nicht mal gelogen. Schon mit ‚Mensch, Ärgere dich nicht' hatte ich in der Grundschule meine gewissen Probleme.
Mamas erste Wahl ist es mich beim örtlichen Tennisclub anzumelden. Als Ultimatum für ihr Projekt ‚Brooklyn-braucht-ein-Hobby' hat sie mir den nächsten Samstag gesetzt. Denn samstags beginnen laut Aushang die Schnupperkurse für neue Mitglieder und alle, die es werden wollen.
Entweder ich finde bis dahin eine andere Alternative, oder ich verbringe meine nächsten Nachmittage zwischen junggebliebenen Rentnern. Denn welcher Jugendliche spielt heute denn bitte noch Tennis?
Also konnte ich meine noch recht kurze Sommerliste um einen Punkt erweitern: ein Hobby finden. Zumindest nimmt sie jetzt etwas Form an.
„Frau Eckert bitte." Eine Tür geht auf und eine Frau mit wirren roten Locken öffnet die Tür. Ihre Brille sitzt ziemlich tief auf ihrer Nase und ich bezweifle, dass Brillen so getragen werden, um etwas dadurch zu sehen.
„Ja, natürlich." Meine Mutter schultert ihre Handtasche. „Bis nachher, Schatz. Schau ruhig noch etwas weiter, du findest bestimmt noch was." Damit verschwindet sie im Büro der Lehrerin.
Ich schaue ihr kläglich nach, bis sie die Tür hinter sich zuzieht. Und da man an einem Donnerstagnachmittag um 16:45 in der Schule nicht mehr besonders viel tun kann, nehme ich mich Mamas Vorschlag an und gehe erneut die Aushänge der AGs durch.
Schönes-Land-AG? Bestimmt nicht. Laut ihrem Flyer machen die hauptsächlich Dinge wie Müll aufzusammeln und Bäume pflanzen. Dafür bin ich definitiv nicht gemacht.
Die Schülerzeitung Schlossgespenst. Jeden Monat eine neue Ausgabe. Naja, wohl eher nicht. Fremde Menschen interviewen, Texte darüber schreiben und dabei intelligent klingen ist nicht gerade mein Spezialgebiet.
SchülerKreativ. Eine Art Bastel-AG. Ich bin kein großer Künstler und zu meinem Glück stelle ich bei genauerem Hinsehen fest, dass dieses Angebot nicht mehr für die Oberstufe gedacht ist.
Technik- und Computer-AG. Nein, danke. Meine Medienkompetenzen sind für mich genau ausreichend, da muss ich mich nicht jeden Dienstag und Donnerstag neben kleine Achtklässler- Nerds setzen.
Hip-Hop. Vielleicht, wäre zumindest eine Überlegung wert. Janine tanzt Hip-Hop und als ich sie mal zu einer ihrer Trainingsstunden begleitet habe, sah es ganz spaßig aus. Mal sehen, ob ich nicht noch was anderes finde.
Ein blassgelber Zettel erregt meine Aufmerksamkeit. Eine kleine Gitarre im oberen Rand und kurze Zettel unten mit Nummern zum Abreißen. Eine Gitarren- AG. Ich habe mir Gitarre selber beigebracht, aber auf Dauer nur alleine zu spielen macht keinen Spaß. Und möglicherweise können diese Leute hier mir tatsächlich noch etwas Neues zeigen. Ich nehme mir einen der Abrisse und mustere ihn.

Mit Herz und Huf - GefundenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt