Der Weg zum Dressurplatz gestaltet sich für mich wie ein gelebter Albtraum. Wir scheinen nicht die einzigen gewesen zu sein, die sich nun eine gute Position zum Gucken suchen wollen. Je näher wir unserem Ziel kommen, desto mehr Menschen werden es und immer wieder taucht von irgendwoher ein Pferd auf, als sich auch einige Reiter versuchen, ihren Weg durch die Menge zu bahnen. Im Hintergrund dudelt Musik, von irgendwoher kommt immer wieder eine schnarrende Stimme und es riecht nach einer Mischung aus Stall, zu viel Parfum und Bratwurst.
„Dahinten sehen wir am besten!" Juli packt mich am Arm und zerrt mich durch die Menge. Auf unserem Weg schneiden wir eine Gruppe älterer Frauen, die uns wütend hinterher schauen. Hinter einem kleinen Holzbau wird es deutlich ruhiger.
„Ich hatte nicht erwartet, dass hier so viel los sein wird", murmle ich und Juli verdreht die Augen.
„Vor uns ist noch eine Prüfung mit jüngeren Reitern, da guckt dann gerne die ganze Familie zu. Es sind aber nur noch fünf oder so. Die sind schnell durch, dann starten unsere." Sie grinst und steigt über die Schnüre eines gespannten weißen Zeltes drüber.
Wir haben die Seite des Platzes gewechselt und haben nun einen guten Blick auf den Eingang des Dressurplatzes. Hier sind kaum Leute, während sich uns gegenüber die Menschen dicht an den Holzzaun drängen.
„Das ist immer so", erklärt Juli mir und lehnt sich gegen den oberen Balken. „Alle Leute stehen immer da vorne und nehmen sich gegenseitig die Sicht. Hier hinten sieht man dafür viel besser." Ich beobachte fasziniert das Treiben um den Platz. Die Unterhaltungen der Zuschauer erfüllen die Luft mit einem gleichmäßigen Gemurmel und in einigen Abstand hinter uns reiten sich die Teilnehmer auf einem zweiten Platz warm. Die Musik dudelt immer noch und am Kopfende des Platzes kann ich in einer Holzhütte hinter einer Glasscheibe drei Menschen aufgeregt diskutieren sehen.
„Als nächstes sehen wir Mathilda Oppermann auf Caldero MK." Die Stimme aus dem Off verschwindet wieder und Applaus brandet auf. Ein Mädchen auf einem roten Pony reitet auf den Platz, hält in der Mitte an und grüßt die drei Gestalten in der Hütte gegenüber. Währenddessen gibt der Ansager noch kurz die Wertepunkte des letzten Ritts an.
„Da sitzt das alte Schandmaul mit drin, die kann ich nicht leiden...", murmelt Juli neben mir und deutet auf die Hütte. „Da, die Richterin in der Mitte. Die lästert immer über alle Pferde und Reiter ab, als hätte sie Ahnung davon. Wenn irgendwer schlechte Punkte gibt, dann sie." Das Mädchen und ihr Pony traben an der Außenseite des Platzes entlang, während der Ansager alles begleitet.
„Hey, Juliane! Ich wusste gar nicht, dass ihr auch hier seid!"
Wir drehen uns um und drei andere Jugendliche, mit Bratwürsten und Glasflachen bewaffnet, kommen zu uns an den Zaun. Juli grinst sie breit an.
„Simon, du alter Sack!" Sie geht auf den mittleren der Jugendlichen zu und umarmt ihn. Das muss Simon sein. „Ich sehe, Nessi und Anni haben sich auch mal wieder erbarmt." Juli lacht und umarmt die anderen ebenfalls. Dann wirft sie einen Blick auf die Bartwürste im Brötchen.
„Ist das unser Catering für heute?", fragt sie und das Mädchen mit Brille antwortet.
„Wie immer, Turnierforelle. Aber sie haben auch Steaks und selbstgemachte Salate. Man kann es sich dahinten auf dem Hof richtig gut gehen lassen. Man bekommt aber halt vom Turnier nichts mit." Das Mädchen beißt von ihrer Bratwurst ab, wobei ihr die Brille fast von der Nase rutscht.
„Wer reitet bei euch?", fragt Juli und Simon nimmt einen Schluck aus seiner Flasche.
„Laura. Florian konnte heute leider nicht."
„Schade", meint Juli und scheint ehrlich betroffen. „Ich hätte Silver Lining gerne mal wiedergesehen." Ich muss mich bemühen, nicht mit den Augen zu rollen. Natürlich geht es ihr nur um das Pferd.
„Und bei euch? Nein, warte, bestimmt Kilian!" Das andere Mädchen lacht und die anderen stimmen mit ein. Ich stehe dumm daneben. So wie sonst eigentlich auch.
„Stimmt. Kilian und Viktoria. Die will heute auch mal sehen, was sie reißen kann." Juli und die anderen seufzen synchron und ich überlege, ob es wohl auffallen würde, wenn ich einfach gehen würde. Bestimmt finde ich diese Salattheke und kann wenigstens was essen, während Juli hier mit ihren Freunden quatscht.
„Sie sollte sich langsam mal entscheiden, wofür ihr Pferd gemacht ist", merkt das Mädchen mit der Brille an und die anderen nicken. „Sonst wird Prince sie irgendwann hassen." Wieder zustimmendes Nicken.
„Und wer ist das?" Okay, jetzt kann ich nicht mehr verschwinden. Julis Freunde mustern mich neugierig und sie schaut sich kurz verwundert nach mir um, als habe sie vergessen, dass ich überhaupt hier bin.
„Oh, das ist Brooklyn. Sie ist Anfang dieses Schuljahres nach Rosswald gezogen. Sie hat angefangen bei uns zu reiten und Kilian hat sie eingeladen, uns heute zu begleiten. Da habe ich sie direkt als TT mit eingespannt", stellt Juli mich vor und lacht. Simon hebt überrascht die Augenbrauen und streckt mir seine freie Hand entgegen. Zögernd nehme ich sie.
„Dann herzlich willkommen im Club der Turniertrottel, Brooklyn. Fühl dich in unserer Leidensgemeinschaft ganz wie Zuhause." Simon lächelt mich an und ich starre nur perplex zwischen ihm, seiner Begleitung und Juli hin und her.
„Turniertrottel?", frage ich ratlos und vergesse ganz, dass ich Simons Hand immer noch halte.
„Ja. TT steht für Turniertrottel. Wir sind die helfenden Elfen im Reitsport. Ohne uns läuft nichts. Hat Juli dir das nicht erzählt?" Das Mädchen mit der Brille schaut mich verwundert an. Der Blick, den ich daraufhin Juli zuwerfe, könnte töten.
Sie grinst mich nur breit an und scheint nicht mal im Entferntesten ein schlechtes Gewissen zu haben.
„Ich habe nie behauptet, dass dir die Bedeutung von TT gefallen würde. Ich habe nur gesagt, dass du es heute erfährst." Sie grinst noch breiter und ich lasse Simons Hand endlich los.
„Und wann genau wolltest du mir sagen, dass ich nun zum Trottel aufgestiegen bin?" Juli überlegt kurz und zuckt dann mit den Schultern.
„Keine Ahnung, aber irgendwann auf jeden Fall." Sie lacht und die anderen stimmen mit ein. Mir ist nicht wirklich nach Lachen zu Mute, und trotzdem schleicht sich ein kurzes Grinsen über mein Gesicht.
„Das war Mathilda Oppermann auf Caldero MK." Das Publikum applaudiert und wir alle scheinen uns zu erinnern, wo wir hier eigentlich sind.
„Wir müssen dann auch wieder. Eigentlich wollten wir auch nur eben ‚Hallo' sagen." Simon lächelt und wendet sich zum gehen. „Wir sehen uns bestimmt später nochmal. Viel Spaß noch!" Simon und die Mädchen verschwinden in der Menge und Juli winkt ihnen nach.
„Wer waren das?", frage ich, sobald sie außer Hörweite sind und Juli und ich lehnen uns erneut gegen den Holzzaun.
„Simon, Anita und Vanessa. Sie kommen von einem anderen Hof und machen dasselbe wie wir. Sie sind Freizeitreiter, die ihr Wochenende für ihren Turnierreiter opfern. Ich kenne sie schon eine Weile, eigentlich sind sie fast immer da." Wir beobachten den neuen Reiter auf dem Platz und sehen ihm und seinem Pferd hinterher, als er an uns vorbei galoppiert. „Sie sind eigentlich cool drauf, du würdest sie auch mögen."
Ich gehe nicht weiter darauf ein. Bestimmt würde ich sie mögen, aber nicht in diesem Leben. Noch mehr Pferdemensch vertrage ich nicht.
Schweigend schauen Juli und ich uns die weiteren Reiter an, wobei sie mir ab und zu etwas erklärt und zeigt. Als der letzte Reiter den Platz verlässt, schnarrt es wieder aus den Lautsprechern neben uns.
„Das war Moritz Saure auf Simplicissimus. Nun legen wir eine kleine Pause ein, bevor es mit der Siegerehrung der A-Dressur und danach mit den M-Dressuren weitergeht. Die Wertepunkte von Moritz Saure folgen in Kürze."
„Hast du Hunger?", fragt Juli, bevor die Stimme des Ansagers überhaupt vollständig verklungen ist. Ich überlege kurz, doch mein Magen ist schneller als ich. Er fängt bei dem Wort Hunger an zu knurren und Juli lacht.
„Komm, suchen wir diesen Grillstand!"
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Mit Herz und Huf - Gefunden
Teen FictionBrooklyn ist ein Kind der Stadt, das ist sie seit ihres ersten Tages und das wird sie auch immer bleiben. Davon ist sie zumindest immer stark ausgegangen. Doch wie es das Schicksal will, kommt ihrem perfekten Leben ein Umzug dazwischen. Und ausgerec...