19. Angst gestört

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Ich werfe noch einige Stifte in meine Umhängetasche und ziehe dann endlich den Reißverschluss zu. Ein prüfender Blick auf meinen Radiowecker, dann springe ich die knarzenden Stufen ins Erdgeschoss herunter. Meine Sorge, die Stufen könnten irgendwann einbrechen, habe ich zwar noch nicht ganz abgelegt, aber so wie ich meine Brüder hier immer runterpoltern höre, werden sie wohl doch einiges aushalten.
„Brook, bist du das?" Meine Mutter streckt ihren Kopf aus der Wohnzimmertür, rückt ihre Brille auf der Nase zurecht und wirkt erstaunt, als sie mich mit meiner Tasche über der Schulter entdeckt. „Wo willst du denn schon wieder hin?"
„Zu Juli. Ich kann jetzt auch nicht mehr lange hier bleiben, sonst beschwert sie sich wieder, dass ich zu viel Zeit liegen gelassen habe." Ich schnappe mir meine Jacke vom Haken und schlüpfe mithilfe eines alten Schuhanziehers in meine Sneakers, die inzwischen nicht mehr ganz so sauber wirken, wie sie sollten.
„Aber du bist doch gerade erst aus der Schule gekommen. Was ist denn mit Hausaufgaben?" Ich nehme einen der vielen Schlüssel vom Brett und stopfe ihn zu den anderen Dingen ins Hauptfach meiner Tasche.
„Die mache ich mit Juli gemeinsam, keine Sorge." Es wundert mich, dass meine Mutter sich um meine Hausaufgaben Sorgen macht, denn eigentlich überlässt sie das uns selbst. Denn wer faul ist, den holt es so oder so irgendwann ein. Ich kann mich nicht einmal erinnern, ob sie das Wort Hausaufgaben vorher jemals wirklich in den Mund genommen hat.
„Ich meine ja nur. Willst du dir keine kurze Pause gönnen?" Ich muss bei ihrer Aussage fast lachen.
„Nein, keine Pause. Juli will, dass wir pünktlich anfangen. Pause mache ich später genug." Ich finde es etwas befremdlich, wie einfach es mir fällt, Julis Standartaussage auf meine Frage ‚Wann machen wir eigentlich Pause?' zu rezitieren und meiner Mutter vorzuwerfen.
„Ah, okay...", murmelt sie und zuckt ratlos mit den Schultern. „Dann viel Spaß, nehme ich an. Und sei bitte bis spätestens halb acht wieder hier, ich hatte für heute Abend vor, Empanadas zu machen."
„Klar, hab euch lieb, bis heute Abend!" Ich winke meiner Mutter zum Abschied und habe dann auch schon die Haustür hinter mir zugezogen. Mein Fahrrad, das Dank Mamas Pflege in altem Glanz erstrahlt und nun Dank Papas altem Werkzeugkasten auch einen optimal eingestellten Sattel hat, wartet schon auf mich, an die Hauswand unterm Carport gelehnt. Die blaue Farbe des Rahmens glitzert in der Sonne und verteilt überall kleine Sterne im Nachtblau.
Ich schiebe das Rad aus unserer Einfahrt, werfe einen kurzen Blick die Straße herunter, der mehr aus Gewohnheit passiert und steige schließlich auf. Mit kräftigen Tritten sause ich den Feldweg entlang. Der Fahrtwind bildet einen angenehmen Kontrast zu vorherrschenden Sommerhitze, denn anscheinend hat meine Lieblingsjahreszeit noch nicht so ganz aufgegeben.
Mit einem ernüchterndem Blick auf die Weide stelle ich fest, dass Flashlight wohl immer noch in Gewahrsam ist. Viel länger, als Sebastian mir versichert und ich geglaubt hätte. Julis Familie wird ihre Gründe dafür haben, das Pferd länger bei sich zu lassen, aber das aufkommende flaue Gefühl in meiner Magengegend kann ich nicht ganz unterdrücken. Aber wirklich Zeit mir Sorgen um Flashlight zu machen habe ich nicht, schließlich haben meine Gedanken mehr damit zu tun, sich auszumalen, wozu Juliane mich heute verdonnern wird. Erneutes im Kreis laufen steht bis jetzt zumindest weit oben auf der Liste.
Als die Hofeinfahrt in Sichtweite kommt, beobachte ich wieder einmal mit forschendem Blick die Wiesen und Pferde an den Seiten. Aber wieder nur eine Mischung aus verschiedenen Braun- und Schwarztönen, nirgends so ein strahlendes Weiß, wie ich es gewohnt bin.
Vor Betreten des Grundstücks steige ich wie gewohnt ab, lasse den großen kläffenden Hund jedoch links liegen und steuere direkt auf den Stall zu. Scheriff (der Name des Hundes, so viel hatte ich inzwischen über den Fellberg gelernt) verliert dann auch sein Interesse an mir, als er meine Ignoranz zu Kenntnis nimmt und verzieht sich zurück in den kühlen Schatten des Wohnhauses. Allerdings kann ich noch immer hören, wie er mir leise nachknurrt. Ich stelle mein Fahrrad an die rauen Steine, als ich den Stall erreiche und schlüpfe durch die geöffnete kleine Tür im großen grünen Stalltor in das kühle Gebäude.
„Hey, Juli, ich bin da!" Keine Antwort. Als sich meine Augen an die gedämpften Lichtverhältnisse gewöhnen, sehe ich gähnende Leere. Die Boxen sind leer, wie immer, aber auch in der Stallgasse steht nichts und niemand.
„Hallo?", rufe ich erneut in die Stallgasse hinein, aber ich bekomme keine Antwort außer das aufgeregte Zwitschern einiger Schwalben, die sich oben in ihren Nestern durch mein Rufen belästigt fühlen. Mit einem Schulterzucken verlasse ich den Stall wieder und bleibe unsicher vor der Tür auf dem Kiesplatz stehen. Denn zugegeben, ich habe keine Ahnung, wo ich nach Juli suchen könnte. Also eine andere Wahl, als wie bestellt und nicht abgeholt hier stehen zu bleiben, habe ich nicht wirklich. Oder ich geistere hier über das Gelände auf der Suche nach jemandem, der mir weiterhelfen kann. Beim dem Gedanken daran, wird mir schon unwohl. Ich umklammere meinen Schultergurt und werfe einen Blick über den Innenhof, der wie leergefegt wirkt. Eine leise Stimme in meinem Hinterkopf bemerkt aber, hier wie Falschgeld rumzustehen, kann aber auch nicht das Wahre sein.
Also ziehe ich los. Ich weiß zuerst nicht so recht wohin, aber bald darauf finde ich mich auf dem Weg wieder, der hinten zum überdachten Sandplatz führt. Ich schlängle mich den ausgetretenen Pfand entlang, auf dem sich deutlich die Abdrücke von Pferdehufen in der trockenen Erde abheben.
Doch als ich bei dem Platz ankomme, erneute Ernüchterung. Einige bunt angemalte Stangen liegen in der Mitte des Platzes, aber von einem Pferd oder Reiter keine Spur.
„Na klasse", murmle ich und umfasse den Gurt meiner Tasche fester. Also weiter. Unsicher taste ich mich an der Außenwand des überdachten Platzes weiter. Ich kann die Rückseite des Stalls sehen, wo neben unordentlich gestapelten Heuballen auch vieles anderes Zeug rumsteht, dem ich keinen Namen geben kann.
Beim Laufen fahre ich mit meinem Finger die obere Kante der niedrigen Außenwand des Platzes entlang und lasse meinen Blick etwas über den hinteren Teil des Grundstückes schweifen. Weiter hinten kann ich eine andere Weide sehen, auf der weit im Hintergrund einige Pferde stehen und grasen. Ich gehe um die Ecke des Platzes (schließlich kann sich Juliane auch dahinter verstecken) und bin eigentlich schon wieder auf dem Weg zurück zum Vorplatz, als ich ihn sehe. Sein leuchtendes Fell würde ich überall wieder erkennen.
„Flashlight", hauche ich und meine Schritte werden schneller. Er steht ebenfalls auf der großen Wiese bei den anderen, doch ich sehe, dass ein mickriger Zaun, aus weißen Bändern und Plastikpfosten gespannt, ihn vom Rest der Pferde trennt. Als ich am Holzzaun stehe, der eine Seite seines kleinen Gefängnisses abgrenzt, kann ich das bedrohliche Knacken des weißen Zaunes hören. Einen Stromzaun also.
Flashlight steht mit hochgerecktem Kopf in der hintersten Ecke und hat die Ohren nach hinten gedreht. Seine ganze Haltung wirkt verkrampft. Es scheint ihm schlecht zu gehen.
„Hey, Flashlight." Als er meine Stimme hört dreht er ruckartig den Kopf zu mir und seine Ohren zeigen kurzzeitig zu mir. Mit eiligen Schritten nähert er sich und schiebt seinen großen Kopf über den Zaun. „Na, Großer? Was hast du denn?" Er atmet mir kurz ins Gesicht und schaut mich dann verzweifelt an. Er wirft den Kopf hoch und seine Ohren bekommen wieder diese angespannte Haltung. Etwas ungestüm drückt er seine Nase gegen meine Schulter, als wolle er mich zu irgendetwas bringen. Aber ich habe absolut keine Ahnung, was er von mir wollen könnte. Außerdem bin ich zu überrumpelt, als mich über die Berührung seinerseits zu freuen.
„Es tut mir leid, Flashlight, aber ich habe heute nichts dabei." Erneut wirft er den Kopf hoch und drängt sich deutlich gegen den Holzzaun. Er stampft mit seinem Vorderhuf ungeduldig auf und schaut mich erneut an. „Was willst du denn?" Ich weiche etwas vom Zaun zurück, denn das Pferd beginnt mir Angst zu machen. Irgendetwas an seinem Verhalten macht mich stutzig.
„Brooklyn, komm da weg! Du hast dahinten nichts zu suchen." Ich reiße den Kopf herum und sehe wie Juli, mit Halfter und Strick bewaffnet, auf mich zu geeilt kommt. „Mann, ich habe den ganzen Hof nach dir abgesucht. Ich dachte schon, Scheriff hätte dich erwischt!" Sie ist nicht mal ansatzweise in meiner Nähe und ruft einfach über den gesamten Platz. Um ihre Füße tänzelt schon wieder der graue Hund, der laut Juli Wolf heißt und praktisch ihr gehört, weswegen er sie auch überall hin begleitet.
„Was hat er?" Ich deute auf Flashlight, der sich wieder nach hinten verzieht. In der hinteren Ecke seiner abgezäunten Wiese bleibt er stehen, nimmt den Kopf wieder etwas höher und verdreht die Ohren. „Warum ist er so drauf?" Juli ist inzwischen fast bei mir und drosselt für die letzten Meter ihr Tempo.
„Er ist nervös und angespannt. Und du machst es bestimmt nicht besser."
„Aber warum, Juli? Können wir nicht -"
„Nein, können wir nicht. Du schon gar nicht!" Sie kommt mir entgegen und will mich am Arm packen, um mich vom Zaun wegzuziehen, aber ich weiche ihr aus.
„Erklär es mir, Juliane", erwidere ich heftiger, als ich wollte, und der Hund zu Julis Füßen stellt sich sofort zwischen mich und sein Frauchen. Juli beißt sich auf die Unterlippe und atmet tief ein. Sie wendet den Blick von mir ab und deutet schließlich hinter sich auf den Weg, den sie gekommen ist.
„Ich erkläre es dir, aber versprich mir jetzt einfach, dass wir hier weg gehen. Wir machen Flashlight nervöser als er eh schon ist." Ich packe den Gurt meiner Tasche und mustere sie abschätzend. Dann nicke ich. Langsam machen wir uns wieder auf den Weg zurück. Der Hund läuft schwanzwedelnd voraus.
„Also, was hat er jetzt?" Juli schaut mich nicht an und legt ein ordentliches Tempo vor. Sie steuert eine kleine graue Tür an, die ich zuerst in der Steinfassade des Stalls nicht wirklich erkannt habe und öffnet sie mit einem Ruck. Sie wartet nicht auf mich, sondern geht direkt weiter durch ins Gebäude. Die Tür ist schwer und ich habe Probleme, sie gut aufzuhalten. Der Hund nutzt die Gelegenheit und schlüpft hinter Juli her, ich hingegen versuche mir nicht meine Finger einzuklemmen.
„Ihr solltet wegen dieser Tür echt was unternehmen, da kann schnell mal was passieren...", murmle ich vor mich hin und klopfe mir meine Hände an der Hose ab. Da schaue ich auf und entdecke Juli mitten in der Stallgasse stehen. Wo auch immer wir reingekommen sind, es muss der Stall sein, aber diese Ecke sieht anders aus, als der Bereich, wo wir uns sonst immer aufhalten.
„Er hat eine Angststörung."
„Bitte was?" Ich bin noch zu sehr damit beschäftig, mich zu orientieren, dass ich bei Julis Aussage nicht ganz mitkomme. Sie bleibt an einer Box stehen und lehnt sich gegen das Holz. Der graue Hund kommt mit leicht wedelndem Schwanz zu ihr und sie nimmt eines seiner Stehohren in die Hand.
„Flashlight hat höchstwahrscheinlich sowas wie eine Angststörung, ein psychisches Problem." Juli wirft mir einen fast mitleidigen Blick zu. In meinem Gesicht scheint sie nach einer Reaktion zu suchen. Aber ich starre nur zurück.
„Gibt es sowas denn... bei Pferden?" Juliane lacht höhnisch auf und klopft ihrem Hund auf den Hals, woraufhin er etwas von ihr wegspringt und uns beide auffordernd anschaut.
„Anscheinend ja schon. Zumindest wüsste ich nicht, was er sonst hätte", meint sie herablassend und schüttelt anschließend über meine in ihren Augen vermeintlich dumme Aussage den Kopf. „Er hat panische Angst vor seinen Artgenossen. Schon ihr Geruch löst bei Flashlight Panikattacken aus und machen ihn für uns unkontrollierbar. Anders wie die anderen Pferde hier steht er immer alleine auf der Weide, das ist dir ja bestimmt vorher schon aufgefallen." Ich nicke, auch wenn es eigentlich komplett sinnlos ist. „Wir können nur vermuten woran es liegt, aber ich und Papa denken, dass er nie richtig sozialisiert wurde und nie gute Erfahrung mit anderen Pferden gemacht hat. Deswegen hat er Angst vor ihnen." Der Hund kommt zu Juli zurück und stupst sie gegens Knie, doch sie schiebt ihn sanft wieder zurück.
„Hat er sie sich nicht langsam an sie gewöhnt? Zumindest im Stall?" Juli seufzt und schüttelt den Kopf.
„Nein, leider nicht. Wir haben es mit allen Pferden probiert. Die ganze Gruppe, einzelne Tiere, die Verträglichen und auch mal ein dominanteres Tier, was ihn ein bisschen unter die Fittiche hätte nehmen können. Aber keine Chance. Und seine Box haben wir mit schwarzen Tüchern zu den Seiten und teils nach vorne abgehangen, damit er die anderen zumindest nicht sehen muss. Aber eigentlich hätten wir das Teil auch komplett zuhängen können, der streckt den Kopf nie raus." Frustriert kickt Juli einen kleinen Dreckklumpen vor sich her und sofort springt ihr Haustier hinterher, um schließlich schnüffelnd in einem anderen Teil des Stalls zu verschwinden.
„Könnt ihr nichts dagegen tun?" Juli stößt sich von der Außenwand der Box ab, sodass die Tür in der Schiene anfängt zu scheppern.
„Wir haben schon alles probiert, was uns eingefallen ist. Vielleicht..." Sie geht auf eine andere Box zu und rückt die Decke vor dessen Tür zurecht und wendet mir den Rücken zu. „Vielleicht wenn sich jemand intensiv um ihn kümmern würde, er eine richtige Bezugsperson hätte, die ihm zeigt, dass er keine Angst zu haben braucht. Pferde sind Herdentiere und brauchen einander. Sie können nicht ewig alleine sein. Ängstliche Tiere wie er brauchen jemanden, dem sie vertrauen und der ihnen hilft, wenn sie nicht mehr weiter wissen. Und wenn man reitet, ist man dieses Herdenmitglied, dass dem Pferd helfen muss, verstehst du?" Ich nicke und drücke mit meiner Schuhsohle einen Strohhalm platt, der in der Gasse liegt.
„Und ihr habt die Zeit nicht, euch so intensiv um ihn zu kümmern, wie er es bräuchte?", schlussfolgere ich und Juli seufzt.
„Exakt..." Sie beißt sich auf ihre Unterlippe und betrachtet das Halfter, was sie immer noch in der Hand hält, als hätte sie das total vergessen. „Es tut mir leid, jeden Tag, den er hier ist, um das Geld, was Papa damals für ihn bezahlt hat und das Flashlight ihn jetzt kostet", höre ich sie murmeln und sofort bin ich hellwach.
„Wie meinst du das?" Juliane schaut auf, aber ihr Blick wandert irgendwo neben mir auf den Boden.
„Weißt du, Brooklyn, wir kaufen die meisten unserer Pferde auf Auktionen oder Messen. Und es gibt Pferde dort, denen siehst du an, dass wenn sie keinen Käufer finden, nach der Auktion nicht zurück in den heimischen Stall fahren und dort auf die nächste Verkaufschance warten." Ich bekomme eine Gänsehaut, von der Art, wie Juli das erzählt. Ihre Stimme ist traurig, aber hat etwas nüchternes, dass mich erschreckt. Sie muss nicht sagen, was mit den Pferden passiert. Ich kann es mir denken.
„Flashlight wäre also... er wäre -"
„Ich habe meinen Vater damals auf dieser Auktion dazu überredet, ihn zu kaufen. Er hatte einen tollen Gang, war noch jung und hatte viel Potential. Das habe ich zumindest geglaubt. Ich dachte, ich könnte ihn zu dem perfekten Pferd ausbilden. Er könnte den Reitschülern zur Verfügung gestellt werden oder vielleicht sogar auf Turnieren starten. Aber ich hab mich wohl geirrt." Juli nimmt von meiner Aussage nicht mal Notiz und atmet schwer durch den Mund aus. „Das ist jetzt zwei Jahre her und wir schieben ihn nur von A nach B. Papa hätte ihn gern schon weiter verkauft, aber ich weiß, dass er dann definitiv direkt bei der Endstation landen würde. Ein unreitbares und nicht kontrollierbares Pferd nimmt keiner." Ein Schauer breitet sich auf meinen Armen, den Schultern und dem Rücken aus.
„Und keiner kann sich um ihn kümmern?", frage ich vorsichtig und Juli schaut auf und mir direkt ins Gesicht.
„Von uns keiner. Wir haben alle schon genug mit den Schul- und Privatpferden zu tun, um Personalkosten zu sparen. Wir können auch nicht verantworten, dass einer der Reitschüler sich um ihn kümmert, die sind zu jung dazu und zu unerfahren. Und die meisten anderen die hier hinkommen, die haben bereits ein Pferd zu pflegen. Das ist für die meisten genug Arbeit." Sie zuckt entschuldigend mit den Schultern. „Daran können wir nichts ändern. Und langsam müssen wir uns entscheiden, er oder wir..." Sie verzieht die Mundwinkel und wendet sich schließlich ab. Mit schnellen Schritten läuft sie die Stallgasse entlang und dann merke ich, sie läuft vor mir weg.
„Juli?" Ich falle in den Laufschritt, um den Abstand wieder einzuholen. Sie wirft einen kurzen Blick über ihre Schultern und ich bilde mir ein, ihre Augen glänzen zu sehen. „Alles okay?" Zu der einen Seite grenzen uns die Pferdeboxen ein und zu anderen Seite bunt beklebte Metallschränke. Hier scheinen einige Lieblinge zu stehen. Am Ende der Gasse macht das Gebäude einen Knick und dem folgen wir. Nun befinden wir uns in dem Teil, den ich kenne. Ich sehe bereits das Licht am Ende, das durch die offene Tür fällt und ein sonniges Quadrat auf den Boden malt.
Und dann sehe ich auch die Box, die Flashlight gehören muss. Und irgendwie wundert es mich, dass sie mir vorher nicht aufgefallen ist.
Vor den Gitterstäben hängen staubige schwarze Decken, die sie zu allen Seiten undurchsichtig machen. Auf der angebrachten Schiefertafel steht wenig und auch auf dem Halter an der Tür hängt keine Decke. Durch das Feld ohne Gitter kann ich einen kurzen Blick in die dunkle Box erhaschen. Es sieht aus wie die Kammer eines Strafgefangenen. Die glatte unbeklebte Oberfläche des Schranks gegenüber schimmert schwach vor sich hin.
Juliane stoppt immer noch nicht, aber ich mache mir da keine Gedanken mehr. Wann würde sie jemals auf mich hören?
Dann steuert sie einen der Metallschränke an, den ich bereits kenne, öffnet die Tür und hängt Halfter samt Strick an einen der Haken an der Tür. Dann bleibt sie am offenen Schrank stehen und starrt hinein, als könne es sich um das Tor nach Narnia handeln. Ich bleibe in sicherer Entfernung im Gang stehen, denn ich habe eine ungute Vorahnung.
„Ihr werdet jemanden für ihn finden, bestimmt", versuche ich sie aufzumuntern. Sie schnieft leise und schließt schließlich den Schrank.
„Danke, Brook, aber ich bezweifle es trotzdem." Juli schaut mich nicht direkt an, aber ich kann ein Lächeln sehen. Wenn auch ein wehmütiges. Sie klopft gegen die Außenwand, sodass es metallisch scheppert. Es bellt von draußen. „Aber jetzt an die Arbeit. Heute habe ich mir etwas Besonderes für dich überlegt." Sie stößt sich vom Schrank ab und wandert zielsicher auf die Leiter hoch zum Zwischenboden zu. Doch statt nach oben zu klettern, holt sie dahinter etwas hervor, was Juliane als den Feind jedes Stadtkindes bezeichnen würde.
„Oh nein, bitte nicht...", flehe ich, doch Juli hat nichts außer ein freches Grinsen für mich übrig. Ihre Augen glänzen immer noch, aber sie scheint sich im Griff zu haben. Sie stellt die Schubkarre vor einer offenen Box ab und hebt zwei Mistgabeln sowie einen Ballen Stroh herunter, von dem ich mir sicher bin, dass er schwerer ist, als es bei ihr gerade aussah.
„Was denkst du denn? Pferde pflegen ist ein vielseitiges Hobby. Und vielseitig bedeutet auch unschöne, aber wichtige und nötige Seiten. Wir wollen schließlich nicht, dass unsere vierbeinigen Freunde krank werden, nicht wahr?" Ich komme missmutig näher und nehme die Mistgabel, die sie mir hinhält, etwas unwohl in die Hand. „Stell dich nicht so an, das wird nicht lange dauern und danach darfst du dich ja revanchieren." Sie geht an mir vorbei in die geöffnete Box und beginnt direkt mit den Zinken ihrer Mistgabel in das dreckige Stroh einzustechen. Ich stehe dümmlich davor und schaue ihr zu.
„Was jetzt? Komm und hilf mir gefälligst!" Juli wirft ihren braunen Zopf nach hinten, doch er rutscht ihr sofort wieder über die Schulter, als sie nach unten schaut. Sie kippt die erste Fuhre Pferdeäpfel samt dreckigem Stroh in die Schubkarre.
„Wenn's sein muss..." Ich folge Juli in die Box. Unsicher suche ich mir eine Ecke und steche ins Einstreu. „Für das Wohl der Tiere, richtig?", murmle ich vor mich hin und auf Julis Lachen hin, beginne ich tatsächlich die Box auszumisten.

Mit Herz und Huf - GefundenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt