Die Jungs stürmen durch die automatische Eingangstür und jagen durch die engen Gänge des Zoofachhandels. Zum Glück kommen wenige auf die Idee an einem Wochentag in den Laden zu kommen.
Meine Eltern folgen den beiden und sind fast genauso aufgeregt wie Luis und Leon. Ich bleibe etwas hinter meiner Familie zurück und reibe mir unsicher über die Unterarme. Warum musste ich nochmal mit?
„Hier sind sie!" Leon winkt uns zu sich und zeigt auf einen großen Auslauf, in dem sich allerlei Kaninchen und Meerschweinchen tummeln. Als meine Brüder sich gegen das Glas drängen, verschwinden die meisten der Tiere in ihre kleinen Holzhütten.
„Das ist cool!"
„Und das da, das hat voll das schöne Fell!"
Mama und Papa stellen sich hinter die Jungs und schauen von oben auf das Gewimmel herab.
„Das sind aber viele", höre ich meine Mutter murmeln, dann zeigt sie auch auf eines der Nagetiere. „Oh, schau, wie süß." Es ist ein geflecktes Meerschweinchen, dessen Haare sich zu einem Kamm aufgetürmt haben. Es schaut zu uns hoch und ergreift die Flucht.
Während der Rest meiner Familie die Kaninchen und Meerschweinchen genauestens inspiziert, wandere ich an einem der Regale weiter und betrachte gelangweilt die Auswahl an Kaninchenfutter.
„Kann ich Ihnen helfen?" Eine überfreundliche Mitarbeiterin taucht wie aus dem Nichts auf und lächelt meine Eltern an.
„Unsere Jungen wollen sich zwei Meerschweinchen anschaffen", erklärt mein Vater und hat sein Geschäftslächeln aufgesetzt. Dabei zieht er die Mundwinkel immer etwas zu weit nach oben. „Einen Käfig haben wir schon, wir wollen jetzt nur noch nach den Tieren und Futtermittel schauen."
„Was suchen Sie denn genau?", fragt die Mitarbeiterin weiter und ich verschwinde um ein Regal herum. Das Kaufgespräch muss ich mir nicht antun.
„Zwei Böcke. Oder ein Weibchen und einen kastrierten Bock", sagt Luis sofort. „Am besten im gleichen Alter." Die Mitarbeiterin lacht.
„Da hat sich ja einer informiert. Die Böcke finden Sie da drüben, hier sind nur die weiblichen Tiere." Ich höre noch, wie meine Familie der Mitarbeiterin folgt, dann ist sie verschwunden. Alleine streune ich durch den riesigen Laden und lande schließlich, nach einigen Regalen voller Hundefutter und lebender Heuschrecken, bei der Abteilung für Pferdefutter und allen möglichen Zubehör.
Ein Regal ist mit Reithelmen gefüllt, direkt daneben befinden sich die verschiedensten Halfter in allen möglichen Farben und Größen. Ich nehme ein blaues mit glänzenden Ringen von seinem Haken und muss an Flashlights altes Ding denken. Vielleicht sollte ich ihm mal ein neues besorgen.
Ich hänge das Halfter wieder zurück und nähere mich einem Regal an der Wand. Darin stehen allerlei Bücher über Haltung, Pflege, Trainingsmethoden und Bodenarbeit. Manche Autoren scheinen sich auch besonders auf ängstliche Pferde zu konzentrieren. Ich nehme ein Buch über Bodenarbeit heraus. Auf dem Cover sieht man eine lächelnde, junge Frau, die neben ihrem Pferd eine Allee entlangläuft. In geschwungenen Lettern hat man den Titel über sie geschrieben: Basiswissen Bodenarbeit – Abwechslungsreiche Übungen für Pferd und Reiter
Ich stelle es zurück ins Regal und greife nach einem anderem Buch. Auf dem Cover kuschelt eine junge Frau mit einem großen schwarzen Pferd. Wenn Pferde Angst haben... Ich schlage es auf.
Im Buch wird der Umgang mit ängstlichen Pferden erklärt und verschiedene Übungen zum Stärken des Vertrauens vorgestellt. Überall Bilder von Pferden, die über Plastikplanen laufen oder vor ihrem Besitzer stehen.
„Brook." Ich klappe das Buch zu und lasse es schnell wieder im Regal verschwinden. Meine Mutter stellt sich zu mir und schaut kurz auf die Auswahl an Literatur, bevor sich mich von der Seite mustert.
„Willst du nicht mit Meerschweinchen gucken? Da sind ein paar wirklich süße dabei."
Ich schüttle den Kopf. „Nein, danke."
„Ich dachte, du wolltest dir vielleicht auch eines aussuchen. Oder zumindest ein Mitspracherecht haben", sagt Mama und gemeinsam schauen wir uns weiter die Buchrücken der Ratgeber an. „Als frühes Geburtstagsgeschenk, weißt du." Wieder schüttle ich den Kopf. Wie kommt meine Mutter nur auf sowas? Die Zeiten, wo ich mir ein Haustier zum Geburtstag gewünscht habe, sind längst vorbei.
„Du hast noch gar nicht gesagt, was du dir wünschst", fährt Mama fort.
Bei dem Gedanken an meinen Geburtstag nächste Woche habe ich ein ungutes Gefühl in der Magengegend. Eigentlich sollte ich mich auf meinen 16. Geburtstag freuen. Aber irgendwie bleibt die Vorfreude aus. Mit wem soll ich denn in ein paar Tagen feiern? Maggie hat mir bei ihrem letzten Anruf nicht versprechen können, das sie kommen wird. Viel in der Uni zu tun und so.
Von Janine bekomme ich gar keine Reaktion mehr, seitdem ich sie am See weggedrückt habe. Früher haben wir uns unseren 16. Geburtstag immer in den buntesten Farben ausgemalt, doch jetzt bin ich mir sicher, dass sie nicht hier runterkommen wird, selbst wenn ich sie noch so sehr bitten würde.
Und Kilian und Juli wissen nicht einmal, wann ich Geburtstag habe. Mal abgesehen davon, dass ich nicht sicher bin, ob sie überhaupt mit mir feiern wollen würden.
Den Rest der Klasse kenne ich noch schlechter. Wenn ich mit denen feiern würde, könnte ich auch genauso gut völlig fremde von der Straße einladen.
Als Antwort zucke ich nur mit den Schultern. Meine Mutter schiebt ihre Brille zurecht und seufzt.
„Du darfst dir hier im Laden natürlich gerne etwas anderes aussuchen, Brook. Ich weiß ja nicht, ob du vielleicht etwas für die Pferde mitnehmen willst." Sie wirft einen Blick hinter sich in die Regalreihen mit den Leckerlis und den Halftern. Dann seufzt sie erneut und streicht mir über die Schulter.
„Ich weiß, das ist alles noch etwas schwierig, aber das wird wieder. Maggie hat mir heute geschrieben und gesagt, dass sie zu 90 Prozent kommen kann." Ich verziehe den Mund zu einem schiefen Lächeln.
„Und die anderen zehn Prozent?"
„Autounfälle und herabstürzende Meteoriten", sagt Mama und muss selber lachen. Sie lächelt mich noch einmal an und nickt dann auf das Bücherregal.
„Such dir was Schönes aus, Schatz. Wir sind drüben bei den Nagetieren, wenn du uns suchst." Dann dreht sie sich um und geht. Ich schaue ihr nach. Was schönes aussuchen...
Ich widme mich wieder dem Bücherregal. Vielleicht ist es nicht so blöd, wenn ich mir etwas Lektüre mitnehme. Wer weiß, was noch alles auf mich zukommen wird. Mit einigen der Sachen würde ich Flashlight später bestimmt helfen können.
Ich greife nach einem Buch über Bodenarbeit für Einsteiger und nach dem Buch über ängstliche Pferde. Unsicher mustere ich meine Auswahl eine Weile, bevor ich mir die Bücher gegen die Brust drücke und zu den Halftern zurückkehre. Ohne groß zu überlegen greife ich nach dem blauen Halfter. Heute wird der Tag sein, wo ich Flashlight helfen werde, auch ohne ständig auf ein Einverständnis zu warten.

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Mit Herz und Huf - Gefunden
Roman pour AdolescentsBrooklyn ist ein Kind der Stadt, das ist sie seit ihres ersten Tages und das wird sie auch immer bleiben. Davon ist sie zumindest immer stark ausgegangen. Doch wie es das Schicksal will, kommt ihrem perfekten Leben ein Umzug dazwischen. Und ausgerec...