Ich war auf der Flucht.
Vor Litus.
Der jagte uns schon seit den frühen Morgenstunden quer über die Lichtung. Will und Susanne keuchten hinter mir her. Genauso wie die anderen noch etwas neueren Mitglieder des Widerstands. Wir mussten von vorne bis hinten über die Lichtung rennen. Wenn Litus uns erwischte, mussten wir erstmal fünfzig Klimmzüge machen. Die ganze Aktion war doch etwas unfair, da Litus ja ein Elf war und in allem besser war. Jetzt hatte er es auf Susanne abgesehen. Im Zickzack flitzte sie davon. Doch er holte sie locker ein und schubste sie auf den Boden.
"Und nochmal. Fünfzig Klimmzüge." , brüllte er.
Stöhnend schleppte sie sich zu dem Ast.
"Und Ella möchte ihr bestimmt Gesellschaft leisten." , rief Litus und stürmte auf mich zu. War ja irgendwie klar gewesen. Ich raste über die Lichtung und suchte nach einer Möglichkeit ihn abzuhängen. Doch ehe ich weiter überlegen konnte, hatte er mich schon erwischt. Ich rannte aber einfach weiter. Litus packte mich im Nacken und drückte mich an einen Baum.
"Wir wollen ja nicht unfair trainieren, oder?", zischte er mir ins Ohr. Knurrend schlurfte ich zu dem Ast und hängte mich neben Susanne. Plötzlich hallte ein lauter Ton über die Lichtung. Verwirrt sahen wir uns an.
"Was ist das?" , fragte Will.
"Der Ruf. Es sind wieder Menschen hier gelandet." , erklärte Litus.
"Das Training ist für heute beendet. Ich gehe mit ein paar anderen die Neuen einsammeln, bevor die Nebelwandler sie kriegen."
Er verschwand hinter dem Vorhang und ließ und auf der Lichtung stehen. Genervt lehnte ich mich an den Baum und starrte auf den noch leicht wehenden Vorhang.
"Wie lange sollen wir eigentlich noch hier festsitzen? Ich will wieder nach Hause.", brummte ich. Susanne nickte zustimmend.
"Du hast recht. Wir müssen irgendwie einen Weg suchen, der uns zurück bringt."
"Ich hätte nicht gedacht, dass ich das mal sage, aber ich will wieder in die Schule gehen.", meinte Will trocken.
Die meisten mussten lachen. Susanne und ich grinsten uns an. Einige gingen schon durch den Vorhang zurück auf die Hauptlichtung. Wir drei blieben zurück. Seufzend ließen wir uns auf den Boden fallen. Es war wirklich richtig langweilig. Da konnte ich auch genauso gut bei Frau Seefert im Unterricht einschlafen. Die Zeit schlich dahin. Heute war das Baumhaus ziemlich leer. Wo sonst immer Leute rumwuselten, war jetzt niemand mehr. Litus war mit Nimus, Siria und ein paar anderen los um die Neuen einzusammeln. Wir standen gerade auf der Hauptlichtung, als wir über uns Flügelschläge hörten. Zwei geflügelte Pferde landeten und wirbelten mit ihren Hufen ordentlich Staub auf. Das rechte Pferd war von so reinem weiß, dass meine Augen schon wehtaten. Das linke war das genaue Gegenteil. Es war nachtschwarz und hatte eine lange wellige Mähne. Falsa eilte direkt auf die Pferde zu.
"Skorpion, Ranke. Was macht ihr denn hier?"
Der Schwarze warf den Kopf zurück.
"Wir sind aufgeflogen. Die Nebelwandler haben uns erkannt."
"Das ist nicht gut. Wo ist Wings?"
Der Schwarze sah betreten auf den Boden.
"Sag schon Skorpion!", drängte Falsa.
"Er hat es nicht geschafft. Aspero hat ihn bei unserer Flucht erwischt.", antwortete die Weiße, die dann Ranke sein musste. Skorpion drehte seinen Kopf und sah mich direkt an. Ich blinzelte überrascht. Er trabte auf mich zu und musterte uns ausgiebig.
"Ihr müsst dann Ella, Susanne und William sein, hab ich recht?"
Wir nickten langsam und starrten ihn ehrfürchtig an. Ich sah, wie die Muskeln unter seinem Fell spielten.
Klar, wie hatten schon die geflügelten Pferde der Nebelwandler gesehen. Skorpion und Ranke sahen aber im Gegensatz zu den grauen Pferden auch wirklich wie geflügelte königliche Tiere aus, so wie ich sie mir immer vorgestellt hatte.
"Ruht euch erstmal aus. Wenn der Rest wieder da ist, besprechen wir, was ihr herausgefunden habt." , schlug Falsa vor. Die beiden geflügelten Pferde neigten ihre Köpfe und schritten über die Wiese davon. Mit allem was sie taten, sahen diese Wesen super aus. Wenn ihr mich fragt: ätzend.
Langsam verging die Zeit weiter. Wir schlichen gelangweilt durch die Gegend. Das Baumhaus durften wir dank Adrogs Verbot nicht verlassen. Wenn wir schon in einer magischen Welt gefangen waren, sollte es wenigstens interessant sein. Will war nach ein paar Minuten auf den Trainingsplatz gegangen. Susanne und ich schlugen den gleichen Weg ein, gingen aber zu Falsas Hütte und halfen dabei das große Loch in der Wand zu schließen.
"Fast schon schade, das Loch sieht wirklich genauso aus wie Jarus." , witzelte ich.
Estus, der nach einem mahnenden Blick von Falsa auch angefangen hatte zu helfen, brach jetzt zusammen mit Susanne in schallendes Gelächter aus. Selbst Falsa grinste. Jarus hingegen sah mich genervt an.
"Warum haben wir dich eigentlich nicht vom Baumhaus getreten als du angekommen bist?" , knurrte er.
Erneut lautes Lachen. Schließlich musste auch Jarus persönlich mitlachen. Will wurde davon angelockt und kam zu uns.
"Was habt ihr denn?" , wollte er wissen.
"Wir vergleichen gerade Jarus mit seinem Loch." , kicherte Susanne.
"Stimmt, eine gewisse Ähnlichkeiten besteht da schon..."
"Nicht du auch noch." , stöhnte Jarus. Nachdem wir uns einigermaßen wieder beruhigt hatten, machten wir zusammen weiter. Langsam ging auch die Sonne unter und schickte ihre orangenen Strahlen durch die Blätter. Als Abendessen gab es Kaninchen. Es schmeckte erstaunlich gut. Mittlerweile flammten auch die Laternen und das Feuer in der Mitte der Hauptlichtung auf. Falsa, Jarus und Estus gingen in die Hütte. Will und Susanne machten sich auf den Weg zu den Hängematten. Ich war jetzt allein auf der Lichtung. Auch wenn wir uns nun hier eingelebt hatten und Teil des Widerstands waren, fühlte es sich immer noch komisch an. Ich vermisste meine Mutter tierisch. Was sie wohl gerade machte? Da fiel mir wieder ein, dass die Zeit auf der Erde nicht verging. Seufzend stapfte ich auf den Blättervorhang zu.
"Hast du nicht etwas vergessen?" , fragte eine Stimme hinter mir.
Ich fuhr erschrocken herum. Der Fremde stand hinter mir. Die Kapuze seines schwarzen Mantels ins Gesicht gezogen.
"Warum helfen sie mir eigentlich und bringen mir den Schwertkampf bei?"
"Die Frage darfst du stellen, wenn du mich im Duell schlägst."
Er warf mir ein Schwert zu. Ich schaffte es nicht zu fangen und es plumpste ins Gras. Ich hob es auf und stellte mich vor ihn.
"Also schön. Dann müssen sie mir gleich eine Frage beantworten."
Der Fremde lachte und zog sein eigenes Schwert.
"Das werden wir dann sehen." , meinte er und griff an.
Ich konnte noch rechtzeitig mein eigenes Schwert nach oben reißen um seinen Hieb abzublocken. Sofort folgte ein nächster der auf meinen Oberkörper zielte. Ich warf mich auf den Boden und versuchte wie schon bei Litus seine Beine zu erwischen. Er sprang schnell zur Seite und verpasste mir einen Tritt. Keuchend rollte ich mich zusammen.
"Aufstehen!" , forderte er mich auf.
Immer noch schnaufend folgte ich dem Befehl. Sofort trat er mir die Beine weg und ich krachte erneut auf den Boden. Er drückte seine Klinge an meinen Hals.
"Regel Nummer eins: Lass niemals deine Deckung fallen."
Er grinste und hielt mir die Hand hin. Ich nahm sie, er zog mich ein Stück nach oben und beförderte mich mit seiner Faust hart wieder nach unten auf den Boden.
"Was...?" , setzte ich an.
"Regel Nummer zwei: Verlass dich in einer Schlacht auf niemanden."
Knurrend stand ich wieder auf. Eine Sekunde später durfte ich dem Boden wieder Hallo sagen.
"Wo war deine Deckung?"
"Darf ich wenigstens aufstehen?"
"Nein."
Die nächste halbe Stunde verbrachte ich damit auf den Boden zu krachen.
Stöhnend lurchte ich über das Gras.
"Das reicht für heute. Wir sehen uns morgen."
Mit den Worten war er verschwunden. Mir tat alles weh. Mit schwerzverzerrtem Gesicht schlich ich zu den Hängematten.
"Was ist denn mit dir passiert?" , fragte Susanne.
"Bin über eine dieser blöden Wurzeln gefallen." , log ich. Ich wollte selbst meinen Freunden nicht erzählen, dass ich heimlich mit einem möglicherweise gefährlichen Fremden trainierte.
Ein Kichern sagte mir, dass Will auch noch wach war.
"Das hätte ich ja gerne gesehen."
"Ach Ruhe da oben." , brummte ich. Ich ließ mich in die Hängematte fallen und schlief auch sofort ein. Wenn dieser bescheuerte Kerl mit dem Gong morgen wieder an uns vorbeilief, würde ich nicht viel Schlaf haben.
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Blue Darkness
Paranormal"Heiliges Kanonenrohr!" Mich hätte gerade fast ein Drache abgefackelt! Ich hatte aber nicht die geringste Lust als menschlicher Barbecuespieß zu dienen. Die 15-jährige Ella bekommt zu ihrem Geburtstag ein mysteriöses Buch geschenkt. Ohne darüber na...