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AMALIA

Stillschweigend saßen wir in dem Wohnzimmer des Hauses, in dem ich schon lange nicht mehr willkommen war. Es fühlte sich merkwürdig an in dem Wohnzimmer zu sitzen in dem ich aufgewachsen und aus dem ich geschmissen wurde. Das Atmen viel mir schwer, weil ich mich immer noch nicht willkommen fühle. Mein Bruder war nicht da, dafür aber meine Mutter und meine Schwägerin Elif. Dennoch wäre es besser gewesen, wenn auch er hier gewesen wäre. Er hatte mich am meisten verletzt und das wollte ich ihm vorwerfen und aufzeigen. Aber er mied den Kontakt, weshalb er jetzt nicht hier mit uns sitzt.

„Hoce li neko poceti? (Fängt irgendjemand an.)", brach ich die Stille. Meine Mutter sah mich kurz an und senkte dann ihren Kopf „Es fällt mir echt schwer jetzt hier zu sitzen. Nicht, weil ich dich nicht hier haben möchte, sondern weil ich als Mutter versagt habe, ich habe es nicht geschafft die Familie zusammenzuhalten. Dein Vater war viel zu streng mit uns allen. Auch dass du nicht an seiner Beerdigung teilnehmen durftest, war nicht unsere Entscheidung, sondern seine. Mein Kind, vor zwei Monaten hat er erfahren, dass er Lungenkrebs hat und vor paar Tagen war es dann so weit. Sein letzter Wunsch war, dass wir dich nicht zur Beerdigung und auch nicht zu seiner Leiche lassen sollen. Ich weiß nicht, wieso dies sein letzter Wunsch war, aber so hatte er sich geäußert. Wenn du auf der Beerdigung gewesen wärst, dann hätte er niemals seinen Frieden erhalten.", ich weinte wie ein kleines Kind. Wieso haben sie mir das angetan? Wieso haben sie diesen Wunsch zugelassen? „Ich habt nie an mich gedacht. Meinem Vater war es immer nur wichtig, was die anderen über ihn sagen und was sie von ihm halten und das sogar bis über seinen Tod hinaus. Das kann doch nicht richtig sein. Der erste Fehler war die Verlobung mit dem Idioten. Dann, dass ihr mich rausgeworfen habt. Die nächsten unzähligen Fehler waren dann, dass ihr mich kein einziges Mal ins Haus geholt habt. Als ich wie ein kleines Kind voller Trauer vor euch stand. In Demir sah ich nur einen Tyrannen, in Kenan habe ich nur einen guten Freund gefunden, aber in Dominik habe ich mein zu Hause gefunden. Doch das konnte wiederum Selim nicht akzeptieren. Euch war es lieber, dass ich mit einem zurückgebliebenen Idioten heirate, als mit einem Mann, der mich auf Händen trägt.", meine Tränen trockneten und alles was sich angestaut hatte, wandelte sich in Wut um. „Wie sprichst du mit Mutter? Hast du deinen Anstand verloren?", ich drehte mich um und sah meinen Bruder im Türrahmen stehen. „Du redest von Anstand? Hast du deinen Anstand mir gegenüber vergessen? Ihr habt euch mir gegenüber so benommen, als wäre ich ein Tier. Als hätte ich keine Gefühle. Als wäre ich ein stück Dreck. Dass ihr mich an Vaters Todestag aus dem Haus geworfen habt, hat den Verwandten nur noch einmal gezeigt, dass sie sich über uns gerne das Maul zerreißen dürfen. Wenn ihr zu mir gestanden und mich hier gelassen hättet, dann hätte niemand von ihnen auch nur irgendetwas gesagt, weil sie wissen würden, dass ihr hinter mir steht. Aber das habt ihr nicht und das tut ihr immer noch nicht. Du wolltest Dominik nicht kennenlernen, hast dir aber das Recht genommen einen auf großen Bruder zu tun und ihm zu drohen. Ich versteh dich einfach nicht. Ist es dir auch so wichtig, was die anderen von dir halten? Du hast mich einfach so aus deinem Leben geschmissen. Dir wäre es lieber gewesen, wenn ich jetzt die Sklavin von dem Idioten wäre, statt die Prinzessin von Dominik zu sein. Er liebt mir und trägt mich auf Händen. Er erfüllt mir jeden Wunsch. Ich habe alles was ich je gesucht habe, in ihm gefunden. Ich habe so oft versucht mich von ihm fernzuhalten. Meine gelogene Meinung, Monate im Ausland und die Beziehung zu Kenan haben es nicht geschafft mich von ihm fernzuhalten egal wie sehr ich das auch wollte. Ich habe das vor dir nie verheimlicht, du wusstest, dass ich es versucht habe und dass ich gescheitert bin. Ich habe dich kein einziges Mal angelogen und trotzdem hast du mich wie Luft behandelt.", ich konnte nicht mehr und wollte aus dem Haus gehen. Ich zog mir gerade meine Schuhe an, als ich kleine Schritte hörte. „Hala.", ich drehte mich um und sah meinen Neffen, welcher gerade aufgewacht ist. Meine Augen füllten sich wieder mit Tränen. Ich habe seine ersten Tage verpasst und alles, was bis jetzt passiert ist. Er ist so groß geworden. Er lief, mit seinem Schnuller und seinem Schmusetuch in der Hand, auf mich zu und sah mich mit seinen großen Augen an. „Wo gehst du?", fragte er mich. „Nach Hause.", er schüttelte seinen Kopf. „Nein. Du bleibst hier.", ich sah ihn erstaunt für seine Wortgewandtheit mit fast drei Jahren an. Ich umarmte ihn und wollte ihn einfach nicht mehr loslassen. „Bleib, bitte. Ihm zur Liebe. Er hat dich wiedererkannt. Er will dich hier haben.", ich sah zu meiner Schwägerin. „Ich liebe ihn so sehr. Ich habe alles in seinem Leben verpasst. Wie er auf die Welt gekommen ist, sein erstes Wort, die ersten Schritte. Einfach alles.", ich richtete mich mit meinem Neffen im Arm auf. „So muss es aber nicht weitergehen. Bleib hier.", sagte nun meine Mutter. „Komm mein Kind.", ich zog mir meine Schuhe aus und lief meiner Mutter hinterher. „Ich weiß wir haben dich sehr verletzt. Du hast jegliches Recht so sauer auf uns zu sein. Wir haben es verdient. Du bist unsere Tochter. Wir hätten dich über alle anderen stellen sollen. Ich weiß, dass du verletzt bist und dass es dauern wird, bis du uns verziehen hast. Aber bitte bleib eine Weile hier und lade Dominik auch zu uns ein.", mein Bruder richtete sich wütend auf. „Mutter hörst du was du da sagst?", fragte er sie. „Er ist schon fast ein Jahr lang unser Schwiegersohn, doch wir haben ihm nie die Möglichkeit gegeben sich als unser Schwiegersohn zu fühlen. Ich habe das entschieden und so wird es gemacht.", erstaunt sah ich meine Mutter an, sagte aber nichts dazu. Ich muss einfach alles sacken lassen.

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