26. Kapitel

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26. Kapitel || Murderer

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Liam

Victoria zurücklassend verließ ich den Raum. Mein Weg führte durch die vielen dunklen Flure, bis ich vor meiner Zimmertür stand. Mit meiner rechten Hand drückte ich die kalte Türklinke herunter und betrat das Zimmer. Sofort streifte ich mir den Mantel von den Schultern und hängte ihn über die Holzlehne meines Schreibtischstuhles. Den oberen Knopf meines Hemdes öffnete ich mit einer Hand, während ich mit der anderen den  Stuhl zurück zog und mich darauf niederließ. Etwas verzweifelt fuhr ich mir durch das Haar und schaute aus dem Fenster. Meine Worte zu Victoria brachten mich selbst zum Nachdenken. Hatte ich meine Ehre wirklich behalten, trotz das mein Herz nicht in meinem Besitz war? Ich musste mir eingestehen, dass sie mir schon längst genommen wurde. Ich hatte unschuldige Menschen getötet. Victoria hatte recht. Ich war ein schlechter Mensch, wenn ich denn überhaupt noch einer war.

Meine Gedanken schweiften zu dem Kuss. Ich wusste er hatte ihr nichts bedeutet, doch mir schon. Es war ungläubig, jedoch war es so als konnte ich in dem Moment, wo meine Lippen ihre trafen, spüren, wie mein Herz schlug. Es war erschreckend für mich. Ein überwältigendes Gefühl, das ich Jahrzehnte nicht gespürt hatte. Das Gefühl, welches ich seit dem Tag an nicht mehr gespürt hatt, als mir mein Herz genommen wurde.

Wieder ein Freitagabend. Wieder ein Tag an dem ein Kind in diesem Haus sterben würde. Seit dem Besuch der Familie und dem Vorfall mit dem rothaarigen Mädchen waren drei Tage vergangen. Seit dem hatte ich nur zum essen und auf Toilette gehen mein Zimmer verlassen. Eigentlich sollte ich Angst haben. Angst davor, dass ich heute sterben müsste. Doch ich hatte sie nicht. Es war so als wäre es mir egal zu sterben, und um ehrlich zu sein war es dies auch. Mich hielt hier nichts. Meine Eltern waren verstorben und auch meine Schwester verweilte nicht mehr unter den Lebenden. Ich hatte niemanden der mich liebte oder für den es sich lohnte zu kämpfen. Würde ich sterben, wäre ich wieder bei meiner Familie und könnte sie wiedersehen.

Mit dem Blick an die Decke gerichtet lag ich auf meinem Bett. Einen Schlafanzug hatte ich mir nicht angezogen. Ich war mir inzwischen ziemlich sicher, dass sie bei mir ins Zimmer kommen würden. Draußen regnete es. Der Himmel war bedeckt von grauen Wolken und der Regen prasselte an die verdreckten Fensterscheiben. Hier und da zuckte ein heller Blitz über den Himmel, was das Zimmer kurz in ein helles Licht tauchte ehe es wieder dunkel wurde. Danach hörte man oft das Gegröll, welches durch die Nacht schallte. Ungeduldig atmete ich aus. Ich schwang meine Beine über die Bettkante und setzte mich hin. Mein Blick lag auf der Taschenuhr in meiner Hand. Sie verspäteten sich, was mich ein wenig unruhig werden ließ. Ungeduldig stützte ich meine Arme auf meinen Knien ab und verschränkte meine Hände. Meine Augen ruhten auf den Tropfen, die an dem Fensterglas herunter liefen. Gedankenlos wartete ich, bis Schritte ertönten. Ohne den Blick abzuwenden hörte ich hin. Sie kamen immer näher, bis das Geräusch verstummte. Ich war mir unsicher. Wusste nicht ob sie vor meiner Tür standen oder doch vor einer anderen. Gespannt wartete ich auf das Klicken eines Schlosses.

Eine kurze Weile geschah nichts, bis ich einen Schlüssel hörte, der sich in einem Schloss herum drehte. Nun war ich mir sicher das es meine Tür war. Seicht hoben sich meine Mundwinkel. Das vertraute Knarren meiner Tür ließ mich erleichtert aufatmen. Ich wusste es würde schmerzhaft werden, jedoch war ich dann erlöst. Erlöst von der Einsamkeit, die mich tagtäglich begleitete.

"Liam?" sprach eine weibliche Stimme leise zu mir. Ich drehte meinen Kopf zu ihr und lächelte sie an. Sichtlich verwirrt runzelte sie die Stirn. Ich aber stand nur schweigend auf und lief zu ihr bis ich vor ihr stand. Meine Augen scannten ihr Gesicht. Ich kannte sie. Sie war eine der beiden Krankenschwestern in diesem Haus. Sie halfen den Kindern bei kleinen Verletzungen oder Krankheiten. Sie ging einen Schritt zur Seite, damit ich aus dem Zimmer gehen konnte, was ich ohne zu zögern tat. Auf dem Flur wartete ich. Die junge Frau schloss die Tür, bevor sie vor mir her lief. Unser Weg führte durch viele verzweigte Gänge. Flure wovon ich nicht einmal wusste, dass sie hier existierten. Am Ende eines schmalen Korridors, wo vielleicht gerade zwei Personen nebeneinander hinein passten, befand sich eine steinerne Wendeltreppe. Sie führte ins Dunkle, jedoch machte mir dies nichts aus. Meine Hand umschloss das rostige Geländer, während ich Schritt für Schritt der Dame vor mir folgte. Am Fuße der Treppe führte ein feuchter, chemikalisch riechender Gang zu einer eisernen Tür. An den nassen Wänden waren schwach leuchtende Lampen befestigt und an der Decke hing eine große Rauchschwade. Ich schluckte als die junge Frau stehen blieb und einen Schlüsselbund aus ihrer Tasche holte. Sie suchte den richtigen Schlüssel und öffnete dann die Tür. Mit einem auffordernden Blick sah sie zu mir und ich trat in den Raum. Es war dunkel, bis das Licht angeschaltet wurde und ich den Raum betrachtete. Es war aufgebaut wie ein Labor. Rechts und links standen Tische mit Reagenzgläsern, Bunsenbrennern und weiteren chemischen Instrumenten. Die Illusion eines seriösen Labors wurde jedoch durch einen silbernen Autopsietisch in der Mitte des Raumes zerstört. Getrocknete Blutflecken zierten ihn und an den Seiten hingen braune abgenutzte Lederstriemen mit rostigen Schnallen herunter. "Leg dich da drauf." kam die Aufforderung der Krankenschwester. Zögernd schritt ich auf den Tisch zu. Mit einem kleinen Sprung saß ich auf dem kalten Metall. Gleich darauf lag ich. Ein Gefühl von Ekel machte sich in mir breit und der Gedanke wie meine kleine Schwester hier blutüberströmt darauf gelegen hatte, ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Meine Hände waren auf meinem Bauch verschränkt und mein Blick war auf meine  Hände und Füße gerichtet, die mit den ledernen Fesseln befestigt wurden. Ich versuchte meine Hände zu bewegen, aber es ging nicht. Langsam wurde ich nervös. Was würde passieren? Die junge Krankenschwester verließ den Raum und ließ mich allein da liegen. Es war still. Nichts war zu hören  außer mein regelmäßiger Atem. Das schwache Licht verbreitete eine Düstere Stimmung. Ich wusste nicht wie lang ich dort lag. Still. Unbeweglich. Allein. Der chemische Gestank in der stickigen Luft ließ mich ab und zu die Nase rümpfen. Ich fragte mich wie man es eine längere Zeit hier aushalten konnte, ohne bei dem ganzen Gestank eine Verätzung zu erleiden. Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als das quietschen der schweren Tür ertönte. Ich schluckte schwer. Ich war zwar auf den Tod vorbereitet, jedoch wusste ich nicht was mich erwarten würde. Als das grinsende Gesicht von Dr. Flynt in meinem Blickfeld erschien, presste ich meine Lippen aufeinander. Sicher war mir klar gewesen, das er die vielen unschuldigen Kinder für wissenschaftliche Experimente missbrauchte, jedoch war es etwas anderes, selbst zu sehen wie sich Freude in seinem Gesicht widerspiegelte. Es war als hätte er Vorfreude auf sein unmenschliches Vorhaben.

Demon. || l.p.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt