Kapitel 11 - Die Hochzeitsnacht

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Victoria

Einatmen.
Ausatmen.
Nicht umkippen.
Nicht jetzt.

Allein stand ich vor der Kirche. Eigentlich hätte Vater neben mir gestanden, aber aus bekannten Umständen ging das nun mal nicht.

Und mit anderen männlichen Verwandten, die mich zum Altar führen konnte, sah es schlecht aus. Arthur war verheiratet und Henry war nicht da.

Es wurmte mich immer noch, dass ich ihn nicht gefunden hatte.

Dennoch hatte Arthur es sich nicht nehmen lassen einen Freund in Uniform am Eingang zu postieren, der mich im Auge behielt. Falls ich doch noch reiß aus nehmen sollte.
Um ehrlich zu sein lag er damit gar nicht mal so falsch.
Mit Angstschweiß auf der Stirn war ich heute Morgen aufgewacht und es war auch nicht besser geworden, als Susanna mich in das Hochzeitskleid gesteckt und den Mieder für meinen Geschmack zu eng zugeschnürt hatte.

Auch wenn sie mir dabei gut zugeredet hatte, wie stolz sie doch auf mich wäre. Jetzt konnte sie mir nicht mehr gut zureden, da sie mit den anderen Gästen in der Kirche saß.

Ich drehte mich um und sah über die Stadt hinweg aufs Meer. Ich war mir nicht sicher, aber es schien, als wäre da ein Schiff am Horizont, doch es war zu weit weg, um es genau sagen zu können.
Was Jim wohl von meiner Hochzeit halten würde?
Die letzte Woche über hatte ich jeden Gedanken an ihn so gut es ging verdrängt, doch da war er wieder. Mein Kopf lieferte mir eine alternative Geschichte, die besagte, dass da drinnen Jim stehen würde.
Er lächelte mich an und trug ein sauberes Hemd, die Haare zu einem Zopf im Nacken gebunden. Wir würden in der Stadt leben, die Schmiede übernehmen.
Ein Lächeln huschte auf mein Gesicht, doch es verschwand genauso schnell wieder.
Da drinnen wartete nicht James White auf mich sondern Abraham Porter. Musik erklang. Mein Auftritt.

Zähne zusammen beißen. Ich würde es schon schaffen.

Die Tür wurde geöffnet, ich zwang mir ein Lächeln auf und betrat die Kirche.
Alle Augen waren auf mich gerichtet.
Auf den Bänken zu meiner Linken saßen meine Angehörigen. Die Zahl war eher bescheiden.

Eigentlich saßen dort nur meine Geschwister mit Eheleuten und Kindern sowie Mary mit Jonathan und der kleinen Ashley im Arm.

Die rechte Seite war deutlich gefüllter, aber die meisten der Leute kannte ich nur vom Sehen.
Vorne standen der Priester und Abraham, der genauso nervös wirkte wie ich mich fühlte. Kaum das ich vorne angekommen war, verstummte die Musik. Schüchtern sah ich Abraham an, er lächelte kurz und sah dann wieder nach vorne.

„Wir haben uns heute hier versammelt", begann der Priester seine Predigt, „um Abraham Porter und Victoria Smith in den heiligen Bund der Ehe zu führen. Falls irgendjemand etwas dagegen einzubringen hat, so möge er das jetzt tun oder er schweige auf ewig. Abraham Porter, wollt Ihr die hier anwesende Victoria Smith zu Eurer Ehefrau nehmen, sie lieben und ehren in guten wie in schlechten Tagen, in Gesundheit sowie in Krankheit und keine andere haben, bis das der Tod Euch scheidet? So antwortet „ja, ich will"."


„Ja, ich will", sagte Abraham.

Nun wandte sich der Priester an mich: „Und Ihr, Victoria Smith, wollt Ihr den hier anwesenden Abraham Porter zu Eurem Ehemann nehmen, ihn lieben und ehren in guten wie in schlechten Tagen, in Gesundheit sowie in Krankheit und keinen anderen haben, bis das der Tod Euch scheidet? So antwortet „ja, ich will"."
Ich sah Abraham an und seufzte in Gedanken. Es hätte schlimmer kommen können. Viel schlimmer.

„Ja, ich will", murmelte ich. Wahrscheinlich hatte mich niemand außer dem Priester und Abraham verstanden, aber das kümmerte mich nicht.

„Damit erkläre ich Euch hiermit zu Mann und Frau. Ihr dürft die Braut jetzt küssen."
Ich drehte mich zu Abraham, der sich vorbeugte. Und dann berührten sich unsere Lippen. Bevor ich mich genauer darauf konzentrieren konnte, war es auch schon wieder vorbei. Ich hatte nichts gefühlt. Es war einfach nur ein Kuss, aber er bedeutete mir nichts.
Es war nicht schön, aber er fesselte mich auch nicht an Abraham.
Das half mir gewisser Maßen die Feier zu überstehen, auch wenn ich keinen Bissen herunter brachte. Es half auch nichts, dass mich Arthur mit ständig wachsamen Blick bedachte. Irgendwann begann es zu regnen doch wir feierten weiter, bis die Nacht hereinbrach.
War es bei jeder Hochzeit so, dass sich die Gäste mehr freuten als Braut und Bräutigam? „Lass uns gehen."

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