Kapitel 8 - Der lügende Kapitän

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Earl

Wir liefen in den Hafen ein.
Gleichzeitig begann es zu reden. Das war wieder bestens gelaufen. Generell regnete es ziemlich oft in letzter Zeit.
Die Männer gingen von Bord, froh, für eine Zeit wieder „zu Hause" zu sein.
Wenn man diesen Hafen so nennen konnte.
Auch Victoria ging von Bord. Ich hatte noch nie viel von dem Glauben, dass Frauen an Bord Unglück brachten, gehalten.

Schon mehrfach war ich mit Weibern auf Schiffen gewesen und nie war etwas passiert. Jedenfalls nichts, das man als Unglück hätte bezeichnen können.

Ich ging unter Deck um meinen Mantel zu holen. Er war mein ein und alles. Zwar schäbig – ich hatte ihn einmal bei einer Wette gewonnen – aber dennoch mochte ich ihn.
Als ich wieder nach oben kam, sah ich eine Gestalt an der Reling stehen. Beim Näherkommen stellte sie sich als der junge Caept'n heraus.
Ich brauchte nur seinen Blick zu sehen um zu wissen was mit ihm los war. Wenn man so alt war wie ich, sah man so was.

„Sie liebt Euch, Caept'n", sagte ich.

„Tut sie nicht", kam es zurück.
Seine Stimme war kalt, aber er konnte mich nicht täuschen.

„Sie ist wie Ihr", begann ich von neuem. Der Regen lief mir in den Kragen und verursachte eine Gänsehaut.

„Mutig, stark. Skrupellos."
„Ich bin nicht skrupellos."

„Man muss skrupellos sein, um einen Mann von hinten zu ermorden."

Jim White stöhnte auf und vergrub den Kopf in den Händen.
„Gut, dann bin ich eben skrupellos, aber sie ist es nicht, Earl. Sie ist so anders als ich. Sie würde niemals jemanden grundlos töten", murmelte er.
Seine Stimme klang gequält zwischen seinen Händen hervor. Ich musste lachen. Die Victoria, die ich gesehen hatte, machte ihrem Namen alle Ehre.

„Glaubt mir, sie tut es", erwiderte ich, „Mindestens drei Männer sind vor zwei Tagen durch ihre Hand gestorben."

Er sah auf. Überraschung in seinen Augen.
„Dennoch liebt sie mich nicht. Wie könnte sie auch. Sie hat Recht. Ich bin ein Verbrecher. Meine Mutter hat sie vor mir gewarnt. Es ist besser so. ich könnte ihre Gefühle sowieso nicht erwidern. Selbst wenn ich wollte. Feen können niemanden lieben. Jedenfalls nicht so wie Menschen."
Trauer. Selbstverständlich liebte er sie.

„Ihr seid nur zur Hälfte Fee", warf ich ein, „Ihr solltet Euch nicht so rasch aufgeben, Junge." Er drehte sich schnell zu mir um, mit der Hand nach seiner Waffe tasten, doch diese war nicht da. Zu meinem Glück.

„Earl, ich kann nicht lieben. Es liegt nicht in meiner Natur", flüsterte er drohend. Seine Augen blitzten gefährlich. Wenn er sich stur stellte, würde ich nicht weiter versuchen, ihn von seinen Gefühlen zu überzeugen. Irgendwann würde er es schon wissen.

„Wenn Ihr meint, Caept'n."

Mit diesen Worten ging ich von Bord und ließ einen deprimierten James White im Regen an der Reling zurück.

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