Victoria
Ich war mal wieder vollständig durchnässt, die Hufe des Pferdes trommelten auf den Boden und ich hatte Schwierigkeiten, mich im Sattel zu halten.
Aber ich wollte so schnell wie möglich Heim und mich nicht merkwürdigen Blicken aussetzen. Das Pferd hatte ich aus einem Hinterhof geborgt.
Natürlich hätte ich langsamer und bequemer Reiten können, aber ich hatte Angst, dass mich jemand überfallen könnte und das obwohl ich mehrere Tage auf einem Piratenschiff war. Tage.
Das war wenig.
Wahrscheinlich hatte ich es nicht einmal eine Woche auf dem Schiff ausgehalten. Ich war wohl doch die Falsche um Henry zu suchen.
Es war so dunkel.
Was wenn ich gar nicht auf dem richtigen Weg war? Wenn ich mich verirrte... ich begann zu weinen.Ich war müde, erschöpft.
Immer wieder streiften mir kleinere Äste übers Gesicht.
Als ich die Hoffnung schon fast aufgegeben hatte jemals wieder heim zu kommen, sah ich ein paar Lichter am Horizont.
Das musste meine Stadt sein.
Ich war zu Hause!
Als ich an die Stadtgrenze kam, verlangsamte ich mein Tempo. Es war schon spät, natürlich war niemand mehr auf den Straßen unterwegs.
Die Schmiede kam in Sicht und ich stieg ab, ließ das Pferd vor einem Pub stehen. Gedämpftes Licht kam aus der Schmiede. Vorsichtig trat ich an die Tür, eine Hand am Degen. Ich klopfte.„Es ist offen!" Das war Arthur.
Ich hätte viel darum gegeben, wenn ich nicht als erstes ihm hätte begegnen müssen, aber jetzt war es nun mal so.
Die Tür knarzte, als ich sie öffnete. So wie immer.
Eine Kerze erhellte den Raum. Zu meiner Erleichterung war Arthur nicht allein. Seine Frau, Susanna und ihr Mann waren da. Allerdings nicht die Kinder. Sie schliefen wohl schon. „Guten Abend", sagte ich in die entstandene Stille hinein.
Nichts geschah.
Wir sahen uns nur an.Susanna hatte rote Augen, als hätte sie geweint, ihr Mann hatte ihr die Hand auf die Schulter gelegt.
Arthur war aufgestanden, einen Degen in der Hand, und seine Frau saß einfach nur da und sah mich an. Ich hatte sie erst zweimal gesehen: einmal bei ihrer Hochzeit und einmal, als sie uns ihren damals neugeborenen Sohn gezeigt hatten.
Susanna rührte sich als erstes.
„Victoria", flüsterte sie.
Ich war mir nicht sicher, ob es eine Frage war. Also nickte ich.
Arthur sagte nichts, sondern ging an mir vorbei, riss die Tür auf, sah hinaus und kam dann wieder herein.
„Du bist allein?", fragte er.
Wieder nickte ich.„Wir dachten du wärst...", begann Susann, brach dann jedoch in Tränen aus. Ich hätte gerne etwas gesagt, sie in den Arm genommen, aber ich konnte mich nicht bewegen.
„Jedenfalls sind wir froh, dass du unbeschadet wieder da bist", griff Arthur ein, „Deine Kammer ist noch so, wie du sie verlassen hast. Du hast deinen Degen noch."
Ich nickte und ging dann einfach die Leiter hinauf in meine Kammer unter dem Dach. Früher hatten wir hier alle geschlafen, aber ich war als einzige in diesem Haus noch übrig.
Ich schloss die Luke hinter mir und schob den Riegel vor.
Mein unbequemes Holz Bett wirkte wie die weichsten Daunen.
Bevor ich mich jedoch hinlegte, sollte ich erst einmal die Kleidung und den Degen verstauen. Besser gesagt verstecken. Ich zog einen der Nägel aus den Holzdielen, drehte das Brett zur Seite und legte den Degen hinein.
Dann zog ich mich aus und warf die Kleidung hinterher, ehe ich alles wieder verschloss.
Ich würde nie mehr auf ein Schiff gehen, aber ich konnte hier unmöglich einen Degen aus Feensilber herumliegen lassen.
Vielleicht würde er mir irgendwann einmal etwas Geld einbringen.
Das Holz knarzte, als ich meine Kleidertruhe unter dem Bett hervorzog. Es lag nur noch ein Kleid an ihrem Boden.Gut, ich war selbst schuld, dass das andere fehlte.
Ich hatte es in der Schneiderei liegen lassen. Mit meinem Kamm, der unter meinem Kleid lag, kämmte ich mir die Haare.
Das war auch mehr als nötig nach dieser Zeit. Ich hatte das Gefühl mir die Hälfte der Haare auszureißen, aber als sie sich leichter kämmen ließen warf ich den Kamm zurück in die Truhe.
Hier stand ich nun nackt und frierend und mit einem Männer Haarschnitt in der Dachkammer unserer Schmiede und versteckte eine Waffe.
Ich, die ich alle Grenzen in den Wind geschlagen und mich mit Piraten verbündet und zur Mörderin geworden war.
Nein, musste ich gestehen, ich hatte mich nicht mit Piraten verbündet, ich war zu einer Piratin geworden.
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My way down
Historical Fiction1763, Karibik: Victoria Smith, 20, lebt in einer kleinen Hafenstadt, die des Öfteren von Piraten überfallen wird. So auch diesmal. Aber etwas ist anders: nicht nur, dass der gutaussehende Pirat James White ihr eine rätselhafte Nachricht hinterlässt...