Victoria Porter
Ich hatte diese Einladung einfach nicht ausschlagen können. Vielleicht war es das kleine Mädchen in mir, das immer von prachtvollen Bällen wie im Märchen geträumt hatte, das mich hatte zusagen lassen. Jedenfalls hielt ich es vor der Crew geheim, wohin ich diese Nacht gehen würde. Die meisten hatten sich ohnehin bereits in Pubs oder die Arme williger Frauen geflüchtet. Mir sollte es recht sein. Vorsichtig nahm ich das Kleid aus seiner Truhe und zitterte bereits vor Aufregung. Es war von so dunklem Rot, dass es beinahe schwarz wirkte. Am Boden der Truhe lag die Maske. Sie war mit schwarzen Rabenfedern bestickt und verbarg die Hälfte meines Gesichts. Langsam kämmte ich mir die Haare und achtete darauf, sie so zu stecken, dass sie das Brandmal am Hals bestmöglich verdeckten. Ich glaubte zwar nicht, dass ausgerechnet hier die gesetzestreusten Bürger erscheinen würden, die mich sofort an den Galgen lieferten, aber man musste es auch nicht darauf anlegen. Dann stieg ich in das Kleid. Es war das erste Mal, dass ich ein Kleid mit Reifrock tragen würde und es war mir auch nur deshalb möglich, weil man das Korsett vorne schnürte. Ich hatte diese Dinger schon immer gehasst. Nicht nur, dass man in kürzester Zeit außer Atem war, nein, zudem war so ziemlich jede Bewegung, die den Oberkörper einschloss unmöglich. Aber es war nun einmal eine gesellschaftliche Konvention. Als letztes setzte ich mir die Maske vor das Gesicht und band sie mit einer Schleife am Hinterkopf fest. Ich sah in den Spiegel und erkannte mich selbst kaum wieder. Gut so. Die freien Schultern erschienen mir nun allerdings etwas zu gewagt, doch mit einem Tuch würde ich wohl die ganze Aufmachung zu Nichte machen.
Also schob ich mir lediglich ein kleines Messer ins Dekolleté - nur für alle Fälle.Ich ging nicht auf direktestem Weg zum Ball, da ich heute nur ungern allzu viel Aufmerksamkeit auf mich zog. Wie ich es erwartet hatte, war ich jedoch bereits völlig außer Atem, als ich auf dem Anwesen ankam. Von drinnen erklang Musik. Ein Cembalo, sofern ich das erkennen konnte. Ein Mann in schicker Uniform öffnete mir die Tür. „Mylady", sagte er und deutete eine Verbeugung an. Ich neigte ebenfalls etwas den Kopf.
Die Feier war bereits in vollem Gange. Noch bevor ich den Tanzsaal erreicht hatte, kamen mir jedoch bereits zwei Musikkritiker entgegen, die sich lautstark beschwerten.
„Dass sie hier jedes Mal nur Bach spielen, fürchterlich", empörte sich der eine, „dazu hat schon mein Großvater getanzt."
„Ich bin völlig deiner Meinung", pflichtete der andere ihm bei, „Hast du schon von diesem Wunderkind in Europa gehört. Dieser kleine Mozart. Er ist noch ein Kind und soll schon selbst komponieren. Ihn würde ich zu gern einmal spielen hören. Guten Abend, die Dame", grüßte er mich, dann verschwanden sie um eine Ecke.
Mit Musik kannte ich mich nicht sonderlich gut aus. Wie auch? Schmiede werden im Allgemeinen eher selten zu Bällen eingeladen. Ich betrat den Ballsaal und die Pracht aus bunten Farben, sanfter Musik und tanzenden Leuten schien mich zu erschlagen. Zudem hätte man gut mal etwas frische Luft hineinlassen können. Offenbar musste ich ein wenig geschwankt sein, denn jemand hielt mich am Ellenbogen fest. Es war ein väterlich wirkender Mann, kaum größer als ich, der mich besorgt musterte. „Ist alles in Ordnung?", fragte er mich.
„Ja, ja", murmelte ich, „mir ist nur etwas schwindelig." Sofort erschien ein Mädchen neben mir, wohl seine Tochter, die mir ein Fläschchen vor die Nase hielt. Augenblicklich hielt ich die Luft an. Die versuchten Attentate in letzter Zeit, hatten mich skeptisch gemacht. Es war jedoch ein Fehler gewesen, nicht mehr zu atmen, denn allmählich wurde mir schwarz vor Augen. „Atmet!", befahl das Mädchen, „Es ist Riechsalz. Das wird Euch helfen." Als ich drohte umzufallen, atmete ich schließlich doch ein. Tatsächlich war der Geruch so intensiv, dass die schwarzen Schlieren fast augenblicklich verschwanden. „Ihr solltet Euch dennoch etwas setzen", sagte das Mädchen sanft und geleitete mich zu einem sehr zierlich wirkenden Sofa, auf das sie mich mit sanfter Gewalt niederdrückte. Sie trug, wie mir nun auffiel, ein marineblaues Kleid, das ihre Schultern vollständig bedeckte, und eine blaue samtene Maske.

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My way down
Historical Fiction1763, Karibik: Victoria Smith, 20, lebt in einer kleinen Hafenstadt, die des Öfteren von Piraten überfallen wird. So auch diesmal. Aber etwas ist anders: nicht nur, dass der gutaussehende Pirat James White ihr eine rätselhafte Nachricht hinterlässt...