Mit schmerzendem Rücken wachte ich auf.
Die Hängematte war mir nicht gut bekommen.
Statt halbwegs elegant aufzustehen, fiel ich aus der Hängematte. Leises Lachen.
Die anderen standen auch gerade auf. Theresia aber schlief noch.
In der Nähe der Treppe stand ein Fass, in dem sich die Männer nach und nach das Gesicht wuschen.Angewidert rümpfte ich die Nase. Auf dieses dreckige Wasser konnte ich verzichten. Stattdessen ging ich direkt auf Deck, den Degen immer noch in der Hand - ich musste mir dringend eine Scheide dafür besorgen.
Oben traf ich Jim, der allein an der Reling stand und in den blassen Morgen blickte.
Diese Ruhe die er ausstrahlte... Ich tippte ihm auf die Schulter und er drehte sich um, lächelnd. Allerdings nicht lange. Ich verpasste ihm eine Ohrfeige.
„Au! Was...?" Weiter kam er nicht. Seine Lippe war noch nicht ganz verheilt und ich schlug ihn erneut.„Du Schwein!", zischte ich, „Wie konntest du mir das antun? Du bist ein eifersüchtiger Hund und du kannst es noch nicht einmal zugeben! Ich dachte, du wüsstest, wie man Mädchen beeindruckt. Aber du bist durch die ganze Karibik gereist um mich ins Gefängnis zu bringen und aus meiner Welt zu vertreiben. Und ich weiß auch, dass ich dir damit nicht wehtun kann, also merk dir das: ich werde mich rächen und dir so wehtun, wie du mir wehgetan hast!" Meine Stimme brach und Tränen schossen mir in die Augen.
Jim sah mich an. Keinerlei Gefühl war in seinen blauen Augen zu lesen.
Ich verpasste ihm eine letzte Ohrfeige, dann kletterte ich auf den Mast. Der Mastkorb schien mein Rückzugsort zu werden.So verbrachte ich die nächsten Tage allein auf dem Mast.
Ich machte mir nicht die Mühe, die neuen Crewmitglieder kennenzulernen, sie würden es wahrscheinlich nicht mehr lange mitmachen.
Jim mied ich so gut es ging, ich konnte ihn gerade einfach nicht gebrauchen.
Theresia war die einzige Person mit der ich wenigstens ab und zu ein Wort wechselte, bis mich beim Mittagessen der Koch versuchte etwas aufzumuntern.„Du hast schon seit Tagen kaum gegessen, aber das solltest du mal. Es hebt die Stimmung", er zwinkerte mir zu und ich rang mir ein Lächeln ab. Ich sah auf den Teller, nahm den Fisch in die Hand und biss hinein. Es war wirklich besser, als ich erwartet hatte.
„Wenn ich dir sage, dass ich eine Meerjungfrau getroffen habe, dann habe ich auch eine getroffen!", erklärte eins der neuen Crewmitglieder Bill, der die Arme vor der Brust verschränkt hatte und den Kopf schüttelte.
„Zum letzten Mal: Meerjungfrauen gibt es nicht, sie entstammen der beflügelten Fantasie einiger Seeleute", widersprach Bill hartnäckig.
Offenbar diskutierten sie schon eine ganze Weile.„Wie kann ich dann eine getroffen haben? Eine Frau, zur Hälfte Fisch?"
Ich zuckte zurück. Jemand hatte eine Degenscheide vor meine Füße geworfen.
Vor Schreck sprang ich auf. Jim stand vor mir, die Augenbrauen hochgezogen und mit verschränkten Armen.„Sieh's als Entschuldigung", war alles, was er sagte, ehe er in seiner Kajüte verschwand. Ich stand da und sah ihm nach. Er ging also davon aus, dass eine Scheide für den Degen als Entschuldigung für das, was er getan hatte, reichte.
Entschuldigt hatte er sich jedenfalls, damit hatte ich eigentlich nicht gerechnet. Das hieß aber noch lange nicht, dass ich ihm verzieh.
Ich schüttelte den Kopf, bückte mich und hängte mir den Schultergurt samt Waffe um.„Alle mal herhören!"
Sharp Eye stand auf der Reling. Oha, was auch immer jetzt kommen würde, war bestimmt nichts Gutes.
„Der Caept'n hat eben durchblicken lassen, das wir bald das Herz der Karibik erreichen!"
Oh, das klang doch nicht ganz so schlimm, wie ich erwartet hatte, alle anderen jedenfalls brachen in Jubel aus. Theresia grinste mir von der anderen Seite des Schiffes aus zu.
Schnell huschte ich zu ihr hinüber.
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My way down
Narrativa Storica1763, Karibik: Victoria Smith, 20, lebt in einer kleinen Hafenstadt, die des Öfteren von Piraten überfallen wird. So auch diesmal. Aber etwas ist anders: nicht nur, dass der gutaussehende Pirat James White ihr eine rätselhafte Nachricht hinterlässt...