Victoria Smith
Wie konnte er es nur immer wieder wagen?
Und der Mann grinste mich an und musterte mich von oben bis unten. Zeit ihm Angst zu machen. Ich nahm den Degen und richtete ihn auf seinen Hals.
„Hör auf zu grinsen", flüsterte ich.„Wieso sollte ich?", fragte er zurück und grinste noch breiter.
„Deshalb", erwiderte ich und ritzte leicht die Haut über seiner Brust ein, sodass eine schmale rote Linie hervor trat. Er hörte auf zu grinsen.
Stattdessen sah er mich mit einem Blick an, der Funken zu sprühen schien.
Nicht vor Wut. Vor... Erregung? Er kam auf mich zu und senkte seinen Kopf zu meinem.
Das war jetzt nicht sein Ernst!
Ich machte einen Schritt zurück und ging dann an ihm vorbei und stand einem bekannten Gesicht gegenüber.„Earl?", fragte ich.
„Du bist es." Ich wusste nicht, wie ich seinen Tonfall deuten sollte. Er war nicht wütend, aber er freute sich auch nicht mich zu sehen. Jim kam neben mich. Er hatte mittlerweile sein Hemd wieder angezogen.
„James", begrüßte Earl ihn wenigstens ein bisschen wärmer.„Was macht ihr hier?", wollte Jim wissen.
„Der Caept'n meinte, hier könnte man nochmal ordentlich auftanken. An allem."
„Und was machst du hier?", fragte ich Earl.
„Ich bin mit der Crew hier", gab Earl zurück. Gut, ich musste die Frage anders stellen.
„Ich meine was machst du hier an diesem Strand?"„Jemand muss ein Auge aufs Schiff werfen. Und als ihr hier angekommen seid, musste ich nach sehen, wer da kommt", erklärte Earl.
Er sah mich immer noch an, als wäre ich, keine Ahnung, ein sich selbstständig machender Schatten oder etwas Ähnliches.
Jim jedoch interessierte sich wenig für das, was Earl da gerade gesagt hatte. Er starrte in die Büsche, die kurz hinter dem Strand begannen.
Bei genauerem Hinsehen, sahen sie anders aus als normale Pflanzen. Sie schienen irgendwie zu leuchten.
Plötzlich riss Jim mir den Degen aus der Hand.„He!", rief ich, aber er war schon auf dem Weg zu den Büschen. Ich rannte ihm nach.
„Was hast du denn?", fragte ich.
„Wir müssen die andern finden, bevor die Feen sie in die Finger kriegen", erwiderte Jim knapp.
Kurz blieb ich stehen. Moment, hatte er gerade Feen gesagt?
Das hier war die Feeninsel, von der er gesprochen hatte?
„Aber es gibt doch gar keine Feen!", rief ich und schloss wieder zu Jim auf. Er blieb stehen und sah mich an. Seine Augen schienen blauer als sonst.
„Doch gibt es", sagte er und hielt den Degen in die Nähe einer Pflanze. Sie ließ die Blätter hängen.„Feen sind allergisch gegen Eisen. Ebenso alle Pflanzen, die in ihrer Nähe wachsen. Glaub mir, es gibt sie. Du wirst sie noch früh genug sehen."
„Aber warum suchen wir die anderen?", fragte ich weiter. Immerhin hatten sie uns über Bord geworfen.
„Hattest du vor in einem Ruderboot durch die Karibik zu schippern?", fragte Jim, „Ich jedenfalls nicht."
Bevor ich etwas dazu sagen konnte, hatte er sich umgedreht und ging weiter. Für mich war es ein Wunder, dass ich mir noch nicht die Knöchel gebrochen hatte, so oft wie ich gestolpert oder umgeknickt war auf dem unebenen Boden. Irgendwann ging Jim langsamer. Viel langsamer und bedeutete mir leise zu sein.
Und dann hörte ich sie. Die Crew.
Sie unterhielten sich über irgendetwas und schließlich sah ich sie auch. Sie gingen kaum mehr als eine Armlänge von uns entfernt an uns vorbei.
Jim streckte die Hand nach hinten und machte eine „Mitkommen" Geste. Wir schlossen uns unbemerkt der Crew an, ließen uns aber etwas zurück fallen.
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My way down
Historical Fiction1763, Karibik: Victoria Smith, 20, lebt in einer kleinen Hafenstadt, die des Öfteren von Piraten überfallen wird. So auch diesmal. Aber etwas ist anders: nicht nur, dass der gutaussehende Pirat James White ihr eine rätselhafte Nachricht hinterlässt...