Fußgetrappel weckte mich.
Ich konnte nicht allzu lange geschlafen haben, denn es war –bis auf einen schmalen roten Streifen am Horizont- noch dunkel.
Ich stand auf.Mehrere Männer kamen an mir vorbei und gingen auf ein dunkles Schiff, das am Ende des Anlegers lag.
Zunächst interessierten sie mich nicht großartig, doch dann sah ich Caept'n Ruthless, der die Männer anhielt, sich zu beeilen.
Wenig später ging auch James an mir vorbei.
Hastig sprang ich auf. Das war meine Chance.
Ich blieb ein paar Meter hinter James und hoffte, dass es nicht sofort auffallen würde, wenn ein Mann mehr an Bord war.
Über eine Strickleiter kletterte ich an Bord. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Ich zog mich über die Reling auf das Schiff.
Neugierig sah ich mich um. Jeder schien irgendetwas zu tun. Ein Mann rollte ein Fass über das Deck und ein anderer stapelte Kisten. Ein weiterer knotete ein Tau neu und vier weitere schrubbten das Deck.
Der Kapitän stand mit Kompass und Fernrohr am Heck, das über eine Treppe zu betreten war, und sah auf den Ozean vor ihm. James kletterte am Mast hoch und zog sich in den Korb der oben hing.„He, Junge!"
Ich sah mich um, denn schließlich konnte ja nur ich gemeint sein. Die anderen Piraten gingen alle auf die 40 zu. Ein Mann mit trüben Augen sah mich an.
„Hilf mal, das Segel zu hissen." Sofort hatte ich panische Angst. Noch war ich auf einem Schiff mitgefahren. Woher sollte ich wissen, wie man ein Segel hisste?
„Ich hab keine Ahnung, wie das geht", gab ich zu, sprach dabei aber in einer tieferen Stimmlage als sonst.
„Zieh einfach an einem der Seile", sagte der Mann und zeigte auf vier Taue, die vom Segel zum unteren Teil des Masts liefen. Na gut, dass sollte ich schaffen können.
Ich ging hinüber zum Mast und packte entschlossen eines der Taue. Der Mann nahm ein anderes und zwei weitere Crewmitglieder packten die anderen.„Auf drei", sagte einer von ihnen, „Eins... Zwei... Drei!"
Ich hängte mich mit meinem gesamten Gewicht an das Seil. Oben bewegte sich etwas und dann rauschte das Segel nach unten. Ging doch.
„Ich bin übrigens Albert", stellte sich der Mann mit den trüben Augen vor.
„Henry", sagte ich, einfach weil es der erste Name war, der mir einfiel. Und vielleicht auch, um mir vor Augen zu halten, warum ich das hier alles machte.
Die anderen beiden stellten sich als Big Foot und Earl vor. Earl war ziemlich groß, während Big Foot kleiner als ich war. Aber er hatte riesige Füße.„Ah, das mag ich", seufzte Earl und sah auf den Horizont. Dort ging gerade die Sonne auf und tauchte alles in rosa Licht.
Das Schiff setzte sich in Bewegung. Vorher hatte ich mich geirrt: jetzt gab es kein Zurück mehr.
Ich ging zur Reling und sah, wie wir den Hafen verließen.
Sanft glitten wir über das Wasser und ich begann mich zu fragen, warum ich noch nie mit einem Schiff gefahren war, obwohl wir in einer Hafenstadt lebten. Gut, ich war ein Mädchen und wir waren nie verreist. Das reichte wohl als Grund.
Nach einiger Zeit wandte ich den Blick von der See ab und sah mich stattdessen auf dem Schiff um. Die meisten Piraten hingen jetzt nur dumm rum, einige schliefen auch, nur die vier, die den Boden putzten waren noch immer bei der Arbeit.
In nüchternem Zustand wirkten sie doch ein wenig kompetenter. Ich sah nach oben; James hing lässig am Mast und sah sich um.
„Wer bist du und was machst du am Bord meines Schiffes?"
Ich fuhr herum und sah in die Augen von Johnny Ruthless. Schnell trat ich einen Schritt zur Seite und wandte den Blick ab und blickte einfach nur starr nach vorne.
Hoffentlich hatte er mich noch nicht erkannt.„Mein Name ist Henry und ich bin auf der Flucht. Hab was gestohlen. Das Schiff war gerade günstig gelegen", erklärte ich kühl und möglichst arrogant.
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My way down
Historical Fiction1763, Karibik: Victoria Smith, 20, lebt in einer kleinen Hafenstadt, die des Öfteren von Piraten überfallen wird. So auch diesmal. Aber etwas ist anders: nicht nur, dass der gutaussehende Pirat James White ihr eine rätselhafte Nachricht hinterlässt...