"Jasmin?", Maya sah ihre Freundin besorgt an. Sie hatte Jasmin noch nie so gesehen, nicht so niedergeschlagen. "Alles okay? Was steht da? Ist er von deinem Vater?", fragte sie. Wie sollte sie ihr helfen, wenn sie nicht wusste, was Jasmin so fassungslos machte. "Hallo? Erde an Jasmin, antworte mir gefälligst.", versuchte sie es nochmal und fuchtelte vor dem Gesicht ihrer besten Freundin herum.
Diese ließ den Brief endlich auf den Tisch sinken und vergrub gleich darauf ihr Gesicht in ihren Händen. "Das kann nicht wahr sein", seufzte sie. "Was ist es denn nun?", hakte Maya nochmals nach. "Es ist eine Vorladung, der Coven will mich sehen.", antwortete Jasmin und rieb sich die Schläfen. Sie wusste, dass dieser Tag irgendwann kommen würde, nur hatte sie doch irgendwie gehofft darauf mehr vorbereitet zu sein.
Maya nahm den Brief und sah ihn sich an. "Da steht aber Einladung drauf", wandte sie ein. Maya war keine Hexe. Sie war Jasmins beste Freundin seit dem Sandkastenalter und hatte daher einen Blick in Jasmins Welt erhaschen können, aber auch wenn Jasmin ihr alles doppelt und dreifach erklärte, würde Maya einige Dinge niemals verstehen.
"Glaub mir, es ist eine Vorladung. Bei einer Einladung hätte ich die Wahl, ob ich hingehen will oder nicht. Lies weiter.", erklärte Jasmin. Maya schaute angestrengt auf den Brief, die Handschrift war schlecht zu lesen und die meisten Wörter verstand sie nicht. "Was meinen die mit Tribunal?", fragte sie, denn das Wort erschien ihr mindestens tausend Jahre alt.
"Sie werden darüber entscheiden, ob ich meine magischen Fähigkeiten wiederbekomme. Wenn sie sich dagegen entscheiden, dann...das war's dann. Ich weiß nicht was ich dann machen soll."
Maya seufzte. Es wäre für sie so viel einfacher gewesen, wenn ihre beste Freundin keine Hexe gewesen wäre. Diese ganzen Geheimnisse, die sie Jasmin zuliebe hütete konnten sie in manchen Fällen wirklich fertig machen. Sie wusste warum Jasmin ihre Kräfte verloren hatte, aber sie sprach nie mit ihr darüber. Sie hatte schon so oft für sie gelogen und es strengte sie an. Es wäre alles so viel einfacher, wenn Jasmin einfach normal wäre.
Jasmin fing an zu zittern, war innerlich unruhig und sie fühlte sich so unsicher wie schon seit Jahren nicht mehr. "Das ist alles was ich von Mum habe. Wenn sie mir das wegnehmen...", fing sie an, wusste aber nicht wie sie den Satz beenden soll. Sie wollte gar nicht daran denken. "Es wird schon alles gut.", war alles was Maya dazu einfiel.
Sie war noch nie die große Trösterin, aber immerhin bemühte sie sich. "Ich kann deine Schicht übernehmen wenn du willst. Dann kannst du dich in Ruhe darauf vorbereiten.", fiel ihr noch ein, aber Jasmin lehnte dankend ab. "Ich muss mich irgendwie ablenken bis es soweit ist."
"Gib es zu, du willst du wegen deinem neuen Freund arbeiten gehen.", meinte Maya und zwinkerte ihr zu. Etwas Besseres fiel ihr nicht ein, um ihre Freundin aufzumuntern. "Er ist nicht mein Freund! Er gibt nur gutes Trinkgeld.", versuchte Jasmin zu erklären und musste sich dabei erwischen, wie es ein Lächeln in ihr Gesicht schaffte.
In der Kneipe bereute Jasmin sofort, dass sie Maya nicht hatte arbeiten lassen. Sie konnte sich nicht wirklich konzentrieren, verwechselte die meisten Bestellungen und bekam weniger Trinkgeld als üblicherweise. Etwas verzweifelt begab sie sich zu Ben an die Bar und hoffte auf ein Getränk, das sie etwas entspannen würde. "Was ist denn heute los mit dir? So habe ich dich ja noch nie erlebt.", er war besorgt, nicht nur um sie, auch um die Zufriedenheit seiner Kunden.
"Ich hab nur eine schlechte Nachricht bekommen das ist alles. Ich will nicht drüber reden.", erklärte Jasmin und gab Ben einen Zettel mit Bestellungen. Statt Drinks zu mixen gab er ihr grinsend ein Stück Zitrone und einen Salzstreuer. "Wenn du jetzt noch Tequila für mich hast bist du der Held des Abends." Noch bevor sie den Satz richtig beendet hatte, stand auch schon das gewünschte Getränk vor ihr. Während sie sich das Salz vom Handrücken leckte öffnete sich die Tür der Kneipe und Bens Blick verriet sofort, wer sich nun an seinen Stammplatz begab. "Sag nichts!", Jasmin hob drohend den Zeigefinger. "Er ist nicht mein Freund. Er gibt nur..."
"...gutes Trinkgeld. Ist mir schon klar", beendete Ben ihren Satz. "Und dabei wird es auch bleiben.", entgegnete Jasmin, kippte den Tequila runter, biss in die Zitrone, nahm ihr Tablett und lief zu ihrem Stammkunden.
"Whisky?", fragte Jasmin, obwohl sie sich sicher war, dass er seine Trinkgewohnheiten wohl nicht geändert hatte. "Das übliche.", bestätigte er ihre Vermutung."Kommt sofort.", erwiderte sie und gab Ben das Zeichen, dass sie irgendwann mal für den üblichen Drink vereinbart hatten.
"Ist dir eigentlich bewusst was es über dein Trinkverhalten aussagt, wenn ich dem Barmann nicht mal sagen muss was du bestellt hast?", fragte sie. Ein bisschen Smalltalk konnte ja nicht schaden. Er kam schon seit einiger Zeit immer mal wieder in die Kneipe und schien einen recht netten Eindruck zu machen. Jasmin mochte ihn, auch wenn er nicht besonders gesprächig war.
"Wenn Alkohol doch nur mein einziges Problem wäre.", entgegnete der Gast gedankenverloren. Eine Antwort, die Jasmin kurz zu lachen brachte. Sie ging zurück zu Ben um das Getränk zu holen, welcher ihr gleich zwei Drinks auf Tablett stellte. "Warum zwei?", wunderte sie sich. "Du weißt genau, dass er früher oder später noch einen zweiten bestellt. Oder du nimmst den zweiten und leistest ihm Gesellschaft.", erklärte Ben mit einem süffisanten Lächeln. "Ich bin mitten in meiner Schicht, ich kann jetzt nicht so viel trinken."
"Ach komm, es ist nicht viel los und du kannst dich eh nicht konzentrieren.Ich übernehme deine Tische und du machst eine Auszeit." Sie konnte Ben nicht widersprechen, er war der beste Mensch den sie kannte. "Ich revanchiere mich irgendwann."
Mit zwei Drinks auf dem Tablett ging es also wieder zum Stammgast. Sie stellte die Gläser auf den Tisch und setzte sich ihm gegenüber. "Was wird denn das?", fragte er und schaute auf das zweite Glas. "Der heutige Tag wird dir in Erinnerung bleiben, als der Tag an dem sich deine Lieblingsbedienung mitten in ihrer Schicht gnadenlos volllaufen ließ.", war ihre Erklärung.
"Na, darauf stoße ich doch an.", sagte er mit einem Lächel und hob sein Glas. "Ich bin Jonathan, aber wer mit mir trinkt darf ich Jo nennen.", erklärte er darauf und erst jetzt fiel Jasmin ein, dass sie ihn nie nach seinem Namen gefragt hatte. "Ich heiße Jasmin."
"Ich weiß, du hast ein Namensschild.", bemerkte er.„Du bist neu hier, oder?", versuchte Jasmin ein Gespräch in Gang zu bringen.
„Ja, vor ein paar Tagen hergezogen. Aber ich weiß nicht wie lange ich bleibe."
„Aus diesem Kaff sollte man verschwinden solange es noch möglich ist, glaub mir. Ich würde so einiges dafür geben von hier wegzukommen.", erklärte Jasmin und schaute aus dem Fenster auf die Straße. Von diesem Punkt des Dartmoors dauerte es etwa eine Stunde bis Exeter und die Stadt war auch nur für Touristen attraktiv."Warum bleibst du dann, wenn es hier nichts für dich gibt?" Er nahm einen Schluck von seinem Getränk und beugte sich etwas vor. Jasmin begann mit ihren Fingern auf den Tisch zu klopfen, eine miese Angewohnheit, wenn sie nervös war. Sie lachte und schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht. Irgendwas hält mich hier fest."Jonathan schaute auf Jasmins Finger, die immer noch nervös auf dem Holz trommelten. „Du bist ganz schön unruhig heute. Ist alles okay?"Jasmin umklammerte ihr Glas. Sie war sich nicht sicher was sie darauf antworten sollte. Sie würde sich ihre Sorgen gerne von der Seele reden und der Alkohol sorge dafür, dass sie sich dabei nicht mal dämlich vorkäme, aber in ihrem Fall war es doch etwas komplizierter.
"Nichts worüber man mit Fremden sprechen möchte, schon klar.", erkannte Jonathan.
"Nein das ist es nicht. Es ist nur nicht so einfach zu erklären." Sie nahm einen großen Schluck Whisky. Er brannte unter der Zunge. "Ich habe morgen sowas wie einen Gerichtstermin.", brachte sie hervor.
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𝐓𝐡𝐞 𝐩𝐚𝐜𝐭
Paranormal"Von Anfang an, bis jetzt und in alle Ewigkeit ist unser Blut mit seinem verbunden und so soll die Tradition weiter geführt werden.", las die Hohepriesterin vor. So hatte Jasmin sich den weiteren Verlauf ihres Lebens ganz sicher nicht vorgestellt. A...