》Kapitel 39《

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Alexandra stand vor der riesigen Glasfront und starrte auf die Exe herab. Eine ihrer Hände stützte sich gegen das Glas, die andere zitterte bei dem Anblick der modernen Welt. Das hatte Jasmin nicht bedacht. Wie sollte jemand, der vierhundert Jahre unter der Erde verbracht hatte in ihrer Zeit zurechtkommen? Sie gab Alexandra etwas Zeit und stellte sich neben sie, nachdem die die Blutbeutel zu Jonathan und Marcus gebracht hatte. 
„Wie lange?", fragte Alexandra schließlich und sah Jasmin dabei verbittert an. In diesem Moment konnte man ihr ansehen, wie alt sie war. 
„Vierhundert Jahre.", antwortete Jasmin so knapp und deutlich wie möglich. Es war seltsam mit Alexandra zu sprechen. Wenn sie überhaupt Englisch gelernt hatte, dann war es altes Englisch und dazu sprach sie auch noch mit Akzent. Sie hielt vier Finger in die Luft, zu Sicherheit, falls Alexandra sie nicht verstanden hatte. Aber sie hatte verstanden, das konnte Jasmin in ihren Augen lesen. 
Es musste ein Schock für sie sein, aber dafür verhielt sie sich erstaunlich gut. 
„Kannst du mich verstehen?", fragte Jasmin unsicher, denn Alexandra schien nicht so als hätte sie begriffen was vierhundert Jahre wären. Sie nickte.
„Warum willst du Marcus töten?", versuchte Jasmin herauszufinden und traute sich kaum die Hexe dabei anzusehen. Alexandra schüttelte den Kopf. 
„Nicht töten.", antwortete sie.
„Willst du Jonathan umbringen?", fragte Jasmin weiter. Alexandra lachte kurz auf und lächelte Jasmin kopfschüttelnd an. 
„Nicht umbringen.", erklärte sie mit einem funkeln in den Augen.  Jasmin verstand nicht. 
„Was willst du dann?"
Das Lächeln verschwand aus Alexandras Gesicht. Sie schaute wieder auf die Stadt vor ihr hinab und überlegte, wie sie ihre Gedanken zum Ausdruck bringen könnte. 
„Gerechtigkeit.", sagte sie schließlich und ließ Jasmin mit diesem Wort alleine. 

Es war schwer mit Alexandra zu sprechen. Chloe schaffte es erstaunlich schnell ihr die einfachsten Dinge zu erklären. Jasmin fragte sich warum Alexandra nicht versuchte wegzulaufen, andererseits fiel ihr auch kein Ort ein, wo sie hingehen könnte. Sie sprach sicherheitshalber einen Zauber, der die Hexe daran hinderte das Apartment zu verlassen. Alexandra hätte sicherlich einen Weg gefunden den Zauber zu brechen, aber es wirkte nicht so, als würde es sie sonderlich interessieren hier festgehalten zu werden. Eine Sache jedoch schien ihr Interesse geweckt zu haben - Marcus Weinvorrat. Sie schlenderte schon bald mit einer Flasche in der Hand durch die Wohnung und bemerkte dabei nicht mal wie immer wieder Männer von Marcus die Wohnung betraten. Ein paar holten den Mann ab, der den Morgen glücklicherweise überstanden hatte. Wieder andere brachten Blutkonserven und Lebensmittel. Alexandra setzte sich mit ihrer Weinflasche an einen ruhigen Ort und trank. Als Chloe den Fernseher einschaltete, vermutete sie erst Zauberei, nahm dann aber einfach hin, dass es eine neue Erfindung war, die sie nicht verstand. Sie machte nicht den Eindruck als würde sie begriffen haben in welcher Zeit sie sich befand. Das Klingeln von Jasmins Handy, beeindruckte sie gleich viel weniger, als sie erfuhr, dass auch dieses keine Zauberei war. Viel beeindruckender fand sie eine weitere Flasche Wein und das warme Wasser einer Badewanne. 

Jasmin betrat verzweifelt das Zimmer, in welchem Jonathan und Marcus verharrten bis die Sonne wieder unterging. Bis vor ein paar Stunden war es noch ein stilvoll eingerichtetes Gästezimmer gewesen. Jetzt war es völlig zerstört und der Boden war mit Blut beschmiert. Marcus lag auf dem Bett, das Alexandras Wutausbruch überlebt hatte und döste, um die Zeit zu vertreiben. Jasmin hätte einfach eines der Beine, des zerstörten Tisches nehmen können und es ihm direkt ins Herz rammen. Es wäre so einfach gewesen und hätte wenigstens eins ihrer Probleme gelöst. 
„Ich weiß was du denkst.", machte sich Jonathan bemerkbar, der gegen die Wand gelehnt auf dem Boden saß. „Und ich kann dir nur dringend davon abraten."
Er hatte ja Recht. Wahrscheinlich hätte Marcus ihr bereits die Kehle herausgerissen bevor sie überhaupt nach dem Tischbein gegriffen hätte. Jasmin seufzte und ließ sich neben Jonathan auf den Boden sinken. 
„Ich dachte sie soll dir zeigen die Blutmagie zu kontrollieren.", fragte Jonathan, um herauszufinden was Alexandra tat. 
„Ich denke nicht, dass ich sie jetzt schon darauf ansprechen kann. Sie trinkt grade Marcus Weinvorrat aus.", erklärte Jasmin die Situation. Erschwerend dazu wusste Jasmin noch nicht mal wie sie dieses Thema denn ansprechen sollte. „Ich glaube nicht, dass sie besonders gut damit klar kommt so lange unter der Erde gelegen zu haben. Ich kann es ihr nicht verübeln."
Jonathan nickte nur und wusste nicht recht was er dazu sagen sollte. 
„Was denkst du, wie sehr sie mich umbringen möchte?", fragte er schließlich, um dieses Thema endlich abzuhaken. Jasmin musste lachen, was ihn aufatmen ließ.
„Sie sagt sie will euch beide nicht umbringen. Sie will bloß Gerechtigkeit, was auch immer das in ihren Augen sein mag."
Jonathan schmunzelte. Er kannte Alexandras Sinn für Gerechtigkeit und der war äußerst eigenartig. Jasmin allerdings hatte nur eine Vorahnung von dem was passieren würde.
„Was ist wenn sie dir wieder wehtun wird? Was ist, wenn in ihrem Kopf Gerechtigkeit Folter bedeutet?"
„Ich rechne damit, dass es so kommt.", gab Jonathan erstaunlich trocken zu. „Aber ich denke nicht, dass sie mich wirklich verletzen kann."

Jasmin merkte gar nicht, dass sie plötzlich wegnickte. Sie merkte es erst, als sie von einem lauten Türknallen aufschreckte und einen nackten Frauenkörper vor sich sah. 
„Marcus!", rief Alexandra und ging ein paar Schritte auf den Vampir zu. „Sol descendit. Sequere!", befahl sie, packte ihn am Handgelenk und zog ihn aus dem Zimmer. Marcus, noch völlig perplex, musste bei dem Anblick der Hexe fast lächeln. Er hatte diesen Körper wirklich lange nicht mehr angesehen und musste zugeben, dass er nach vierhundert Jahren kein bisschen gealtert war. Ihr zu folgen war in diesem Fall nicht nur eine Frage der Höflichkeit für ihn. Er folgte ihr gerne und verdrängte den Gedanken, dass sie ihn sonst vermutlich gezwungen hätte.

𝐓𝐡𝐞 𝐩𝐚𝐜𝐭Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt