》Kapitel 44《

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Es war wie ein harter Tritt in die Magengrube, wenn man schon am Boden liegt. Der Tritt, bei dem die meisten zu wimmern beginnen und um Gnade flehen und zu schwach sind von selbst wieder auf die Beine zu kommen. Doch anstatt sich von Lydias Drohung noch weiter runterziehen zu lassen, wurde Jasmin von ihrem vorherigen Problem schon fast wieder abgelenkt. Sie hätte einfach zusammenbrechen können, nach dem was sie erfahren hatte, aber das tat sie nicht. Sie wurde nicht schwächer, sie wurde einfach nur wütend und feuerte ihr Handy in Marcus Richtung. 
„Diese verdammte alte Hexe!", fluchte sie und eine kleine Stimme in ihrem Kopf fügte „Und diese dumme  Maya", hinzu. Ihr war bewusste, dass Lydia sie damit nur ködern wollte und sie würde es vermutlich auch schaffen. Auch wenn Maya in den letzten Monaten nicht besonders freundlich gewesen war, ehrlich gesagt war sie sogar ziemlich abscheulich, war sie doch über Jahre hinweg Jasmins beste Freundin gewesen und wenn sie ein wenig Glück hatte, war das hier ja auch nur eine Phase. Eine ätzende Phase. 

„Es bringt nichts sich jetzt aufzuregen, wir können im Moment sowieso nichts unternehmen.", versuchte Jonathan sie zu beruhigen, leider wenig erfolgreich. 
„Du hast Recht. Wir können nichts unternehmen, weil du nicht in die Sonne kannst. Ich hingegen kann hingehen wo ich will.", erkannte Jasmin, stand auf und hatte schon beinahe die Türklinke berührt, da stellte sich Jonathan ihr in den Weg. Sie hatte schon fast vergessen wie schnell er war. 
„Du gehst da nicht alleine hin, was kannst du da schon anrichten?"
Ohne groß darüber nachzudenken drückte sie ihre Hand gegen Jonathans Brustkorb und es fühlte sich so an, als wenn sie etwas greifen könnte. Sie bewegte ihre Hand zu Seite und sah, wie Jonathan in genau dieser Richtung zu Boden fiel. Überrascht und dennoch begeistert, schaute Jasmin ihre Hand an. „Anscheinend kann ich mehr anrichten, als ich gedacht habe.", stellte sie lächelnd fest und verschwand durch die Tür. Es hatte sich anders angefühlt als sonst, irgendwie frei und richtig. So schnell sie konnte, sammelte sie ihre Sachen zusammen und stellte dabei fest, dass es im Apartment erstaunlich ruhig war. Sie schrieb einen Zettel für Chloe, dass sie mit Jonathan und Marcus nachkommen sollte und klaute einen von Marcus Autoschlüsseln. Auf dem Weg in die Garage sah sie Chloe gerade durch die Eingangstür kommen. Ohne groß zu überlegen packte sie die junge Hexe am Arm und erklärte ihr die Situation, bis sie schließlich beide in einem Auto saßen, von dem Jasmin nur hoffte, dass sie es nicht zu Schrott fahren würde. 
„Darfst du überhaupt Auto fahren?", fragte Chloe unsicher, nachdem Jasmin eher sportlich, als vorausschauend aus der Garage fuhr. 
„Nein, aber das bedeutet nicht, dass ich es nicht könnte.", gestand Jasmin und gab Gas. 
Nach einer langen und für Chloe sehr nervenaufreibenden Autofahrt, stellte Jasmin den Wagen bei Jonathan ab und die beiden gingen ins Haus, da Chloe Jasmin davon überzeugen konnte, dass  ihr Vorhaben ohne einen vernünftigen Plan noch eher zum Scheitern verurteilt sei, als es das ohnehin schon war. 
„Also gut, hast du eine Idee?", fragte Jasmin. Während der Autofahrt musste sie sich zu sehr darauf konzentrieren, niemanden tot zu fahren, als dass sie einen Schlachtplan hätte aushecken können. 
„Ehrlich gesagt würde ich auf Jonathan und Marcus warten.", begann sie, sah aber sofort, dass Jasmin von dieser Idee nicht überzeugt war.  „Andererseits geht in einer Stunde die Sonne unter und dann könnten sie in zwei ein halb Stunden hier sein und uns unterstützen wenn wir bis dahin noch nicht tot sind.", schlug sie daraufhin vor. Es war nicht zu übersehen, dass sie der ganzen Sache pessimistisch entgegensah. Chloe hatte sich eigentlich vorgenommen Lydia nie wieder gegenüber zu treten. Während sie darüber nachdachte, wie sehr sie Lydia nicht sehen wollte fiel ihr auf, dass Jasmin noch gar nicht gesagt hatte, was sie mit ihr vorhatte. 
„Ist das hier eigentlich ein Himmelfahrtskommando um dieses Mädchen zu retten, das dich soweit ich weiß wie ein Stück Dreck behandelt, oder hast du vielleicht vor...", sie wagte es kaum das auszusprechen, was ihr auf der Zunge brannte. „Hast du vielleicht vor Lydia zu...", aber bevor sie ihren Satz zu Ende sprechen konnte wurde sie von Jasmin unterbrochen.
„Ich werde sie nicht töten. Dann wäre ich ja nicht viel besser als sie."
Es erleichterte Chloe, dass Jasmin anscheinend doch so etwas wie Gnade kannte, andererseits verunsicherte es sie auf eine ziemlich gemeine Art und Weise. 
„Aber was werden wir dann mit ihr machen?", hakte sie nach. 
„Das gleiche was sie mit mir gemacht hat. Ich nehme ihr die Magie weg, dann ist sie Machtlos."
„Auch wenn dieser Plan an sich sehr gut ist, brauchst du dazu ihren Geburtsstein und den wird sie nicht so einfach herausrücken."
Ein Geburtsstein ist das erste was eine Hexe nach ihrer Geburt bekommt. In ihm wird die Magie des Kindes so lange aufbewahrt, bis es diese von alleine bewältigen kann. Eine Praxis, die aus der Zeit hervorging, in der Hexen anfangen mussten sich vor den Menschen zu verstecken. In diesen Stein kann die Magie jederzeit zurückgeführt werden. 
„Sie versteckt ihn in der untersten Schublade ihrer Kommode.", bemerkte Jasmin und blickte kurz darauf in das ungläubige Gesicht von Chloe. „Ich habe sehr lange bei ihr gewohnt, da findet man das ein oder andere heraus.", erklärte sie lächelnd. 
„Okay, also wenn wir den Stein finden, dann brauchst du trotzdem den abnehmenden Mond, um den Zauber zu sprechen.", versuchte Chloe Jasmin wieder auf den Boden der Tatsachen zurück zu holen. So gut der Plan auch war, sie mussten trotzdem warten. 
„Na gut, dann gehen wir eben sobald die Sonne untergegangen ist." 

Die Pforte zum Morgan Manor stand weit geöffnet, als Jasmin und Chloe  in der Dunkelheit hindurchtraten. Es war für beide kein gutes Gefühl an diesem Ort zu sein. 
„Ich hatte mir geschworen nie wieder hier her zu kommen.", erzählte Chloe auf dem Weg zur Eingangstür. Jasmin nahm ihre Hand. „Wenn wir hier fertig sind, musst du das auch nie wieder.", sagte sie zuversichtlich. Chloe wusste, dass Jasmin es ihr versprechen wollte, aber sie wussten ja beide nicht was passieren würde. 
Die Tür ließ sich einfach öffnen, sie war weder verschlossen, noch verzaubert. „Es gefällt mir nicht, dass wir hier so einfach rein kommen.", bemerkte Chloe. Vorsichtig betraten die beiden das Atrium, in dem eine Totenstille herrschte. Die Villa schien wie leergefegt, ein seltsamer und beunruhigender Zustand. Es war verlockend einmal laut „Hallo?", zu rufen und zu sehen, ob jemand antwortete, aber Jasmin erkannte schnell, dass es besser gewesen wäre nicht zu schnell erkannt zu werden. 
„Schläft Lydia immer noch im selben Zimmer?", flüsterte Jasmin und bekam als Antwort ein Nicken. Langsam und so leise wie möglich schlichen die beiden eine der Treppen hinauf in den ersten Stock und liefen den Flur entlang, an dessen Ende sich ein großer Raum befand - Lydias Schlafzimmer. Jasmin war nur ein paar Mal dort gewesen und konnte sich an nicht so viel erinnern. Auf dem Weg kamen sie an der Tür vorbei zu dem Zimmer, das einmal Jasmin gehörte, als sie noch jünger war und gleich daneben war Daniels Zimmer gewesen. Sein Namensschild hing immernoch an der Tür und sein Handabdruck, den er mit roter Farbe an die Wand gepresst hatte war auch immer noch dort. Jasmins Finger fuhren an der mit Fingerabdrücken verzierten Wand entlang, als sie immer weiter auf die Tür am Ende des Flures zuging. Ihr Herzschlag wurde schneller, je näher sie der Tür kam. Vorsichtig drehte sie den Knauf und hörte das Klicken des Schlosses - auch diese Tür war nicht abgeschlossen. Langsam stieß sie die Tür auf und sah  in das leere Zimmer. Chloe stürzte in den Raum. Sie wollte dort keine Sekunde länger verbringen als es unbedingt notwendig war. Zielstrebig ging sie auf die Kommode zu, von der sie vermutete dort den Stein zu finden. 
„Unterste Schublade, oder nicht?", flüsterte sie und wühlte durch Schichten von Blusen und Pullovern. Jasmin nickte und sah dabei zu, wie Chloe vergeblich suchte. 
„Vielleicht hat sie ihn ja wo anders versteckt.", murmelte Jasmin leise. Chloe suchte wie verrückt weiter und stellte fast das ganze Zimmer auf den Kopf.
Jasmin schaute verwirrt auf die Kommode, die sie anders in Erinnerung hatte. Sie hatte den Stein kurz nachdem ihr Vater sie zu Lydia gegeben hatte gefunden und damals sah der Schrank wesentlich größer aus. Während Chloe das Zimmer weiter durchforstete, schaute Jasmin sich die Kommode genauer an. Sie war sich so sicher, dass Lydia ihn immer noch hier versteckte. Ihre Hand strich über das lackierte Holz, an den Seiten vorbei bis auf den Boden. „Ostende in occultatum.", flüsterte sie, unsicher, ob es helfen würde. Kurz darauf erkannte sie eine Unebenheit im Boden unter der Kommode. Sie hob ein Bett an und erkannte darunter einen Stein liegen, der genau so aussah wie der, den sie vor vielen Jahren schon einmal gefunden hatte.  
Noch bevor Chloe von Jasmins Entdeckung erfuhr hörten sie einen Schrei. Beide fuhren erschrocken Richtung Tür und Jasmin ließ schnell den Stein in ihre Hosentasche sinken. „Das ist Maya.", stellte Jasmin fest. „Im Keller.", wurde sie durch Chloe ergänzt. Jasmin war schon fast aus dem Zimmer gerannt, als Cloe sie festhielt. „Es bringt nichts, wenn wir beide da runter laufen. Ich hole Maya da raus und du kümmerst dich um Lydia.", wandte sie ein und bekam ein zustimmendes nicken als Antwort. Kurz darauf war Chloe in den Flur verschwunden und ihre Schritte auf der Treppe waren zu hören.

𝐓𝐡𝐞 𝐩𝐚𝐜𝐭Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt