Chloe hatte sich geschworen nie wieder einen Fuß ins Dartmoor zu setzen bis sich ihr Problem mit Lydia erledigt hätte. Sie hatte den Faktor „Marcus" in ihrem Plan allerdings nicht mit eingerechnet. Dieser schubste sie geradezu durch die weißen Flure des Krankenhauses in Exeter, ein Ort, der Chloe zu nah am Dartmoor lag. Es roch nach Desinfektionsmittel und Krankheit. Eine Mischung, die in Krankenhäusern nun mal nicht unüblich war. Aus jedem Zimmer an dem sie vorbeiging konnte sie das Piepen der Überwachungsmonitore hören, kein schönes Geräusch. Marcus packte sie an der Schulter und drückte sie in Richtung einer Tür, hinter der sie nichts Gutes erwartete.
Marcus sah aufgebracht aus, als er sie aus der Bar in Cardiff geholt hatte, er sah auf der Fahrt nach Exeter angespannt aus und auch jetzt wo er die Türklinke herunterdrückte sah er mehr als aufgeregt aus. Er hatte Chloe erzählt was passiert war, trotzdem war es für sie bis zu diesem Augenblick nicht wirklich real gewesen. Er führte sie in das Zimmer mit nur einem Bett, stellte sie davor ab und zog den Vorhang zur Seite. Blankes Entsetzen machte sich auf Chloes Gischt breit, als sie Jasmin ansah. Ihre Haarspitzen und die eine Hälfte ihres Gesichts waren komplett verbrannt. Auch ihre Arme und ihr Hals sahen nicht viel besser aus. Chloe wollte gar nicht erst nachsehen, wie der restliche Körper unter der Decke aussah.
„Du kriegst das wieder hin, oder?", fragte Marcus, ausnahmsweise mehr zögerlich als fordernd.
Chloe sah auf den Intubationsschlauch, auf den Monitor, der Jasmins Herzschlag aufzeichnete und die Infusion, die sie vor einem Schock bewahrte. Sie nickte. Sie war es Jasmin schuldig das wieder in Ordnung zu bringen. Allerdings würde es nicht einfach werden und ihr viel Kraft abverlangen. Vorsichtig hob Chloe die Decke, welche die Brandwunden auf Jasmins restlichem Körper verdeckte. Die Ärzte schienen das gemacht zu haben was sie konnten. Aber was sollen die schon groß anrichten, bei einem Feuer, das nicht natürlich war?
„Ich brauche dein Blut. Sehr viel von deinem Blut. Und du solltest jetzt schon mal anfangen zu beten, was ich da machen soll wird nicht einfach sein."Jonathan suchte in den Ruinen des Hauses, zu dem Jasmins Mietwohnung einmal gehörte, nach Überresten von irgendwas, das sie noch gebrauchen könnte. Er hatte sie gesehen, kurz nachdem sie wieder stabil war. Ein paar Sekunden mehr und Lydia hätte wirklich bekommen was sie wollte. Marcus hatte eine beträchtliche Summe dafür bezahlt, dass Jasmin von der Verbrennungsklinik nach Exeter verlegt wurde. Jonathan mochte sich gar nicht vorstellen wie viel beträchtlicher die Summe gewesen sein musste, mit der Marcus die Klinik für eine Chefarztbehandlung bestach.
Unter einem verbrannten Schrank, fand er schließlich etwas, das nicht restlos zerstört war. Es schien ein altes Buch zu sein, vermutlich ein verzaubertes Grimoir. Er strich die Asche von dem leicht verkohlten Umschlag und erkannte, dass die Seiten des Buches noch sehr gut erhalten waren. Danach suchte er noch weiter, aber alles was er fand war ein altes Familienfoto und eine Armband aus Silber. Gerade als er die Sachen in seinen Wagen packen wollte, klingelte sein Handy, es war Marcus.
„Hat sie es geschafft?", fragte er sofort. Er wusste, dass Marcus Chloe davon überzeugt hatte ihnen zu helfen. Eine andere Hexe aufzutreiben hätte vermutlich auch zu lange gedauert.
„Sie braucht erstaunlich große Mengen meines Blutes. Ich wäre dir wirklich sehr verbunden, wenn du mir was zu trinken bringst, sonst trinke ich gleich das ganze Krankenhaus leer.", erklärte Marcus mit einer ungewöhnlich schwachen Stimme.
„Funktioniert es?"
„Es sieht ganz gut aus. Aber das kann ich ja auch erwarten, bei dieser riesen Menge an...", Jonathan ließ ihn nicht ausreden. Er hatte keine Lust sich Gejammer auf höchstem Niveau anzuhören.
Marcus Plan schien aufzugehen, das war die Hauptsache. Jonathan hasste die Tatsache, dass Marcus als Erster bei Jasmin war. Er hasste es, dass Marcus eine Hexe hatte, die Jasmin helfen konnte und noch mehr hasste er es, dass es Marcus' Blut war, welches Jasmins Leben wieder in Ordnung bringen sollte. Allein die Tatsache, dass Jasmin ihn hereingebeten hatte lenkte ihn von dem Gedanken ab Marcus den Kopf abzureißen. Und jetzt gab es keine Wohnung mehr, in die sie ihn einladen könnte.Im Krankenhaus klaute Jonathan ein paar Blutbeutel und brachte sie mit auf das Zimmer, in dem Jasmin lag. Es fiel ihm schwer die Tür zu öffnen und herein zu treten. Das erste was er sah, war Marcus der wie ein nasser Sack auf einem Stuhl saß und seinen Arm über einen Eimer hielt, in welchen er unentwegt hinein blutete. Dieses Bild gefiel Jonathan zur Abwechslung mal. Dass Chloe Marcus fast ausbluten ließ, war fast so gut wie ihm den Kopf abzureißen, vor allem weil Jonathan wusste, dass er letzteres niemals schaffen würde.
„Na endlich! Bitte sag mit du hast B positiv für mich mitgebracht.", stöhnte Marcus und sah Jonathan mit müden Augen an.
„Ich hätte dir ja einen Menschen mitgebracht, aber ich dachte das würde Chloe verärgern.", erklärte Jonathan und lächelte die Hexe dabei an.
„Versuch dich nicht bei mir einzuschleimen.", entgegnete sie schroff und kam mit einem Tuch hinter dem Vorhang hervor, um dieses in dem Eimer mit Blut zu tränken. Jonathan wollte einen Blick hinter den Vorhang werfen, aber Chloe stellte sich sofort vor ihn. „Etwas Privatsphäre, wenn ich bitten darf.", sagte sie und verschwand mit dem Tuch. Sie war erstaunlich tough dafür, dass sie so jung war. Jonathan hörte sie ein paar keltische Wörter flüstern und sah wie sie immer wieder eine Kerze entzündete und löschte. Er erkannte, wie Chloes Silhouette im Vorhang Jasmins Haare schnitt und verbrannte, roch Marcus Blut auf ihrer Haut und hörte einen schwachen Herzschlag. Es war seltsam, dass ein so junges Mädchen eher in der Lage war ein Leben zu retten, als er.Marcus nuckelte an seinem Blutbeutel, wie ein kleines Kind und verzog jedes Mal das Gesicht, wenn Chloe den Schnitt in seinem Arm erneuerte. Irgendwann hörte sie damit auf. Sie schien wohl genug Blut zu haben, auch wenn Jonathan nicht ganz klar war was genau sie damit anstellte.
„Warum tust du das?", fragte Jonathan um die lästige Stille los zu werden. Marcus war der egoistischste Mann, den Jonathan kannte. Er war sich sicher, dass Marcus nicht aus Nächstenliebe blutete, sondern weil er Jasmin für irgendwas brauchte.
„Ich habe schon mal versucht einen Menschen zu retten und bin gescheitert. Dieses Mal werde ich es schaffen.", antwortete Marcus selbstsicher, während er seinen Ärmer herunter krämpelte. „Und jetzt habe ich noch etwas zu erledigen, bevor die Sonne aufgeht.", erklärte er und machte sich aus dem Staub.
Jonathan zog die Vorhänge der Fenster zu, setzte sich auf einen unbequemen Holzstuhl und hörte dabei zu wie Chloe all ihre Fähigkeiten in die Heilung von Jasmin legte. Er konnte einen kurzen Blick auf Jasmin erhaschen, doch was er sah beruhigte ihn nicht wirklich. Sie sah aus wie eine Mumie, eingewickelt in Blutgetränkten Tüchern. Chloe ließ sich nicht von ihm stören und merkte bald das Jonathan eingenickt war. Sie hatte keine Angst vor ihm und auch nicht vor Marcus. Sie hatte zu viel Zeit in Cardiff verbracht, um sich vor Vampiren zu fürchten. Dafür hatte sie gelernt wie sie sich vor ihnen verteidigen konnte. Auch wenn sie Jasmin für eine kurze Zeit dafür gehasst hatte, sie in dieser Vampirbar zurückzulassen, musste sie sich eingestehen, dass ihr wohl nichts Besseres hätte passieren können.
Als sie fertig war, tippte sie Jonathan vorsichtig auf die Schulter. Er zuckte kurz zusammen, war aber sofort hellwach. „Was ist los? Ist was passiert?", schoss es sofort aus ihm heraus.
„Du kannst ihr jetzt dein Blut geben, dann wird sie bald aufwachen.", erklärte sie mit ruhiger Stimme und reichte Jonathan ein Infusionsbesteck. „Direkt in den Kreislauf, dann wirkt es schneller."
Unsicher nahm Jonathan die Nadel in die Hand, damit könnte er seine Haut nicht durchstechen. Er nahm das Silbermesser, welches Chloe schon für Marcus verwendet hatte und machte einen Schnitt, durch den er dann die Nadel schob. Der Schlauch daran füllte sich sofort mit Blut und Chloe konnte in den Verweilkatheter in Jasmins Hand anschließen. Jonathan konnte hören wie Jasmins Blut anfing schneller zu fließen und wie ihr Herz nach ein paar Minuten wieder schneller schlug.
Chloe nahm vorsichtig eines der Tücher von Jasmins Gesicht - von den Verbrennungen war fast nichts mehr zu sehen.
„Das ist unglaublich.", staunte sie über ihr eigenes Werk, zog die Nadel wieder aus Jonathans Arm und schloss die Infusion an den Katheter an. Sie musste das Blut und die Tücher loswerden, bevor einer der Ärzte kam, um Jasmin den Schlauch aus dem Hals zu ziehen. Sie hatte das Zimmer zwar bisher so verzaubern können, dass sämtliches medizinisches Personal dessen Existenz vergessen hatte, aber genau diese Menschen brauchte sie jetzt damit Jasmin das Krankenhaus wenigstens halbwegs unauffällig verlassen konnte.
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𝐓𝐡𝐞 𝐩𝐚𝐜𝐭
Paranormal"Von Anfang an, bis jetzt und in alle Ewigkeit ist unser Blut mit seinem verbunden und so soll die Tradition weiter geführt werden.", las die Hohepriesterin vor. So hatte Jasmin sich den weiteren Verlauf ihres Lebens ganz sicher nicht vorgestellt. A...