Und dann begann er zu sprechen.
„Misa, es gibt etwas sehr wichtiges, das ich dir sagen muss. Ich hätte es dir schon viel früher sagen sollen... aber ich war mir nicht sicher, wie du reagieren würdest..." druckste er herum. Ich nickte ungeduldig. Er holte tief Luft.
„Sakuya war überhaupt kein Mensch." Sagte er. Ich war verwirrt, woraufhin er weitersprach. „Weißt du... mein früherer Eve, Mahiru, war sehr gut mit ihm befreundet, bis, naja... bis Sakuya einer von Tsubakis Abkömmlingen wurde." Ich traute meinen Ohren nicht. Sakuya war ein Vampir? Ich hatte es nicht bemerkt... und keiner hatte es für nötig gehalten, mir das zu sagen? Ich nickte langsam, als ich diese Information verarbeitete. Aber Kuro war noch nicht fertig. „Du hast es geschafft, ohne fremde Hilfe einen Vampir zu töten." Beunruhigt musterte er mich. Erst jetzt wurde mir klar, worauf er eigentlich hinauswollte. Mir wurde klar, warum er vorhin im Gästezimmer etwas Abstand zu mir gehalten hatte. Ich war ein Mensch. Wie hatte ich es geschafft, Sakuya zu töten? Oder war ich etwa doch kein Mensch?
„Und was heißt das jetzt?" wollte ich wissen. Kuro zuckte mit den Achseln. „Nichts. Ist doch eine ganz interessante Feststellung. Ach übrigens, es gab da mal so eine Vision von Lilly, über einen Menschen wie dich... lange ists her... dieser Mensch war eine Geheimwaffe der Menschheit gegen die Vampire und gegen feindliche Wesen wie Zyu.. aber es ist gerade zu anstrengend, darüber nachzudenken. Gehen wir." Gähnend stapfte er vor mir her in Richtung Straße. Wollte er damit etwa andeuten, ich sei in der Lage, Zyu aufzuhalten? So ein riesiges Maschinenmonster? Aber ich war doch bloß ein Mensch! Später würde ich Lilly darauf ansprechen müssen.
Lillys Sicht:
Nachdem ich die Blutpfütze aufgewischt und Sakuyas Leiche in einen dunklen Müllsack gepackt hatte, ließ ich meinen Blick ein letztes Mal durch das Gästezimmer schweifen. Sakuyas Mutter war eine sehr ordentliche Frau. Zu schade, dass sie demnächst erfahren muss, dass ihr Sohn bei einem „Motorradunfall im Wald" ums Leben gekommen ist. Auf diese Weise konnte ich gleichzeitig meine alte Schrottkiste loswerden, die ich selbst einmal gegen einen Baum gefahren hatte. Leider kannte ich mich nicht gut genug aus, um es wieder zu reparieren. Seine letzte Verwendung hatte es hiermit gefunden.
Lächelnd schlenderte ich zur Tür hinaus, die Treppe hinab in Richtung Küche. „Ah, Kuro, möchtest du jetzt doch einen Keks... Wer bist denn du?" Verwirrt musterte mich Sakuyas Mutter, mit einem Teller duftender Schokokekse in der Hand. Ich sah erst sie an, dann den Sack, den ich über die Schulter geworfen hatte. „Ich... bin der Müllmann." Stellte ich mich vor. „Wissen Sie, bei den Aktivitäten oben im Gästezimmer ist jede Menge Sauerei entstanden. Nichts zu danken." Ich nahm mir einen Keks, steckte ihn mir in den Mund und sammelte auf dem Weg nach draußen noch etwas Papiermüll auf. „Bis zum nächsten Mal!"
Wenig später hatte ich mein altes Motorrad hinter dem Busch hervorgezogen, wo ich es im Wald versteckt hielt. Misono hasste Motorräder und er hatte nie gewollt, dass ich eines besitze. Für mich war es jedoch praktisch, da ich so nicht ständig den Chauffeur beauftragen musste, mich in die Stadt zu fahren. Ich riss den Plastiksack auf, zog Sakuyas Körper hervor und platzierte ihn mit dem Motorrad in der Nähe einer größeren Baumgruppe, sodass es wie ein Unfall aussah. Ich schlug ihm noch ein mittelgroßes Loch in den Kopf und verteilte einige Blutspritzer um die Bäume herum. Perfekt. „Wie ich sehe, hast du ein neues Hobby gefunden." Ich musste nicht nach hinten sehen, um zu wissen, von wem die Stimme stammte.
Ich konnte deutlich spüren, wie sich mir die Nackenhaare aufstellten. „Was machst du hier?" Die erste Frage, die mir in den Sinn kam. „Das Gleiche könnte ich dich fragen. Du hast meinen Abkömmling getötet. Glaubst du, ich würde das nicht bemerken?" Jetzt wandte ich mich um. Vor mir stand die letzte Person, mit der ich jetzt etwas zu tun haben wollte. Tsubaki, der mit bedauernden Blicken Sakuyas toten Körper betrachtete. „Er war ein guter Vampir. Immer treu. So ergeben. Welchen Grund hattest du wohl, ihn aus seinem jämmerlichen Leben zu reißen, Bruder?" seufzte er. „Ich habe ihn nicht getötet." Antwortete ich. „Hmm, und wer war es dann?" Ich gab keine Antwort. Ich wusste, was mit Misa passieren würde, wenn er erfuhr, dass sie seinen besten Abkömmling getötet hatte. Dasselbe, was mit mir passieren wird, aber ich konnte mich wenigstens verteidigen.
Das dachte ich zumindest.
Kuros Sicht:
„Das war eigentlich nicht alles, was ich mit dir besprechen wollte, es gibt da noch etwas sehr wichtiges," setzte ich zögerlich an. Misa und ich waren noch immer auf dem Weg zu Misono. Noch waren wir alleine, ohne unerwünschte Zuhörer. Misa sah auf und warf mir einen fragenden Blick zu. Sie hatte so wunderschöne Augen. Mein Herz begann, wie wild zu pochen. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen. Ich muss es ihr sagen. Ich werde ihr von meinen tiefsten Gefühlen erzählen, jetzt oder nie.
„Misa... ich wusste bis jetzt nicht, wie ich es dir sagen sollte, aber ich halte es echt nicht mehr aus. Du kennst doch das... wenn man jemanden oder etwas so sehr mag, dass es fast unerträglich wird," Ich holte einen tiefen Atemzug.
„Ich brauche dieses neue Zelda Spiel für meinen Nintendo." Jetzt ist es raus. Hoffentlich glaubte sie jetzt nicht, ich würde meine Eves für Geld ausnutzen. Doch als ich nervös auf ihre Antwort wartete, begann sie zu lachen. „Und das hat dir so viel Kopfzerbrechen bereitet?" kicherte sie. Ich nickte. „Hmm. Wann hast du eigentlich Geburtstag?" wollte sie wissen. Warum stellte sie mir eine so komplizierte Frage? „Das weiß ich nicht mehr..." Ich lebte nun schon so lange. Warum sollte mir mein Geburtstag wichtig sein? Menschen feierten ihn doch, um sich daran zu erinnern, dass sie schon wieder ein Jahr überlebt hatten, oder? Zumindest dachte ich das. Ich empfand das Leben als extrem anstrengend. Warum sollte ich es dann feiern wollen?
„Wenn ich es dir kaufe, darf ich es dann selbst auch mal spielen?" lachte Misa. „Mit meinem Nintendo? Auf keinen Fa... eh, ja, klar.." stotterte ich herum.
Mühsam schleppte ich mich neben Misa her, den langen Weg bis zur Eingangstür von Misonos Villa entlang. Ich hoffte, er hatte eine Cola kühl gestellt. Bevor wir klingeln konnten, öffnete uns Misono die Tür. „ Wo ist Lilly?" fragte er. „Dir auch hallo." Grummelte ich. War Lilly etwa noch nicht hier? Ich hatte gedacht, er würde vor uns hier ankommen. Er musste zwar noch aufräumen und sich um die Leiche kümmern, aber er ist noch lange nicht so faul und langsam wie ich.
Es wird doch nichts passiert sein?
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