Kapitel 22

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Die Fahrt verlief schneller, als mir lieb war. Das Auto hielt in der Einfahrt des Hauses, in dem ich in der Vergangenheit oft zu Besuch war. Gemischte Gefühle stiegen in mir auf, als ich sah, wie die dunkelbraun lackierte Haustür aufschwang und eine mir gut bekannte, dickliche Frau in sommerlichen Sandalen auf uns zugewatschelt kam. Sakuyas Mutter. „Misa! Willkommen!" Sie erdrückte mich beinahe in einer Umarmung. Nachdem wir uns ausgiebig begrüßt hatten und Kuro sich vorgestellt hatte, wurden wir sofort hereingebeten. Das Gästezimmer kannte ich noch aus meiner Kindheit, ich habe oft bei meinem besten Freund Sakuya übernachtet. Es war noch alles wie damals, ein großes Bett in der Mitte, ein Kleiderschrank, ein Balkon und ein angrenzendes Badezimmer. Es gab auch einen kleinen Schreibtisch in der Ecke neben der Tür zum Balkon. Es waren nicht viele Möbel, aber mehr brauchte ich auch nicht. „Das sieht gemütlich aus." Kuro, der mir gefolgt war, ließ sich erschöpft auf das Bett plumpsen. „Aahhh. Schau nicht so genervt, ich muss doch die Matratze testen." Er hielt meinem Blick jedoch nicht lange stand, woraufhin er sich augenrollend erhob und ich mir ein Grinsen verkneifen musste. „Würdest du bitte meinen Koffer holen?" fragte ich. Wofür hatte ich denn einen Servamp. Kuro sah nicht sehr motiviert aus, nickte aber und schob sich an mir vorbei zur Tür hinaus.

Der Gedanke daran hier zu bleiben gefiel mir nicht besonders, aber immerhin hatte ich Kuro. Ich versuchte mich mit dem Gedanken zu trösten, dass wir jederzeit Lilly und Misono verständigen können. Im besten Fall wird unser Aufenthalt bei Sakuya nur von kurzer Dauer sein. Ein letztes Mal ließ ich meinen Blick durch den Raum schweifen, bevor ich mich umwandte, um Kuro draußen mit meinen Sachen zu helfen. Mitten in der Bewegung stieß ich beinahe mit einem riesigen Karton zusammen, der sich mir entgegen durch die Tür schob. „Achtung! Klappbett kommt!" Schnell sprang ich zur Seite, als der schrankhohe Karton sich über den Teppich bewegte und schwankend neben dem Bett zum Stillstand kam. „Puh. Ach, du bists, Misa! Sorry, ich habe dich fast zerquetscht, hinter diesem fetten Ding kann ich kaum was sehen." Nachdem ich mich vom ersten Schreck erholt hatte, kam schon der zweite. Sakuya, der hinter dem Karton aufgetaucht ist, grinste mich an. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, oder wie ich mich verhalten sollte. Verwirrt starrte ich erst ihn, dann den Karton an.

„Das ist ein Klappbett für Kuro. Du hattest doch sicher nicht vor, mit ihm in einem Bett zu schlafen. Oder?" Erklärte Sakuya, der meinen Blick bemerkt hatte. Ich gab noch immer keine Reaktion. Warum grinste er so? Hatte er unseren ‚Waldspaziergang' denn schon vergessen? Inzwischen ist er näher an mich herangetreten. Sein Grinsen ist verschwunden. „Aber nicht, weil es dir etwas ausmachen würde, neben einem gutaussehenden Jungen zu schlafen. Du willst nichts mit diesem Loser anfangen, stimmt's? Nein, du hast einen viel besseren Geschmack." Ich konnte seine Mine nicht deuten. Alles woran ich denken konnte war, dass er mir den Weg zur Tür versperrte. „Ach, Misa." Liebevoll sprach er meinen Namen aus. „Lass mich dir meine Liebe zeigen."

*Kuros Sicht*

Ich hatte gehofft, dass Misa mir folgen würde, um mir beim Tragen zu helfen. Aber warum machte ich mir überhaupt diese Hoffnung, ich war schließlich nur ihr Servamp. Ächzend stemmte ich den Koffer die Treppen hoch zum Gästezimmer. Sakuyas Mutter scheint ziemlich nett zu sein, völlig anders als ihr Sohn. Vielleicht wird der kurze Aufenthalt hier nicht so schlimm wie erwartet. Zähneknirschend stellte ich die schwere Tasche auf dem Boden ab, um die Tür des Gästezimmers zu öffnen, die irgendein Depp verschlossen hatte. Schwer atmend stieß ich die Tür auf und packte wieder den Griff des Koffers, um ihn hinter mir herzuziehen, doch was ich hinter der Tür erblickte, ließ mich sofort erstarren. Misa lag unter Sakuya auf dem großen Bett, in einen sehr innigen Kuss vertieft.

Als der Koffer aus meinen Händen auf den Boden knallte, zuckten beide erschrocken zusammen und sahen mich an. „Kur..." Misa wollte etwas sagen, doch dieser Bastard steckte ihr sofort wieder seine Zunge in den Hals. Ich drehte mich auf dem Absatz um und stürmte die Treppen hinunter, an Sakuyas Mutter vorbei und zur Haustür hinaus, ohne mich um die Kekse zu kümmern, die ihr dabei aus der Hand gefallen sind. Mit Höchstgeschwindigkeit rannte ich immer weiter, bis ich an der Stelle im Wald angekommen war, an der ich Sakuya vor nicht allzu langer Zeit zusammengeschlagen hatte. Was für ein schönes Gefühl das war. Ich musste meiner gesamten Wut freien Lauf lassen, bis ich nach einer Weile inmitten der nun zerstückelten Bäume zusammenbrach. Mein Gesicht war feucht und klebrig von den Tränen und alles was ich noch spürte, war Enttäuschung und Zerrissenheit. Aber was hatte ich erwartet? Ich bin nur ihr Servamp. Ein fauler, vergammelter Vampir. Natürlich hatte sie etwas Besseres verdient. Ich möchte sie glücklich sehen. Und wenn dieser Bastard sie glücklich macht, dann muss es wohl so sein.

Zittrig stieß ich die Luft aus, als sich eine Hand auf meine Schulter legte. Erschrocken wirbelte ich herum und ließ meine Faust nach hinten schwingen. Mit Gesellschaft hatte ich nicht gerechnet. „Hey, Kur..Ouffff!" Mein Blick fiel auf einen sich krümmenden Lilly unter mir. „Sorry." Murmelte ich und wandte mich schuldbewusst ab. Ich stieß einen tiefen Atemzug aus, bis ich glaubte, meine Gefühle im Griff zu haben. „Was machst du hier?" Lilly hatte sich inzwischen aufgerichtet und klopfte etwas Laub von seinem Mantel. „Ich habe durch eine Vision mitbekommen, dass ihr dringend eine neue Unterkunft braucht. Eigentlich hatten Misono und ich beschlossen zu warten, bis ihr euch meldet, aber nachdem ich dann gesehen habe, was auf euch zukommt, wollte ich euch so schnell wie möglich abholen kommen... Ist denn alles in Ordnung?" Besorgt erwiderte er meinen verdatterten Blick. In meinem inneren Auge spielte sich abermals die Szene ab, die mich so sehr aus der Fassung gebracht hatte. Misa... „Was sollte nicht in Ordnung sein?" Die Sorge, die in meiner Stimme mitschwang, blieb ihm nicht verborgen. Er musterte mich von oben bis unten. „Wo ist dein Eve?" Als Antwort bekam er nur einen verbitterten Blick meinerseits. Sofort packte er meine Hand. „Du musst zu ihr, sie ist in Gefahr!"

Unterwegs malte ich mir die schlimmsten Szenen aus, die mich erwarten könnten. Warum zum Teufel hatte ich sie alleine gelassen? Hatte ich ernsthaft geglaubt, sie würde sich freiwillig mit Sakuya abgeben? Wie konnte ich nur so blöd sein!

Das Adrenalin in meinem Körper schien zu sprudeln, als ich Seite an Seite mit dem Schmetterling die Stufen zu Sakuyas Haus heraufstürzte. Blind vor Sorge um Misa und Wut über mich selbst trat ich die Tür ein. „Kuro, mein Junge! Bist du schon wieder zurück? Ich habe neue Kekse geback..." Ich ignorierte die freundliche Stimme. Für einen Keksempfang hatte ich sonst immer Zeit, ganz egal in welcher Situation, aber.... Jetzt nicht. Ich konnte Lillys Grinsen schon fast spüren. Er schien darüber amüsiert zu sein, dass Misa mir mehr bedeutete als Kekse, denn das ist bei mir noch nie der Fall gewesen.

Ich wusste nicht genau, was ich erwarten sollte, als ich die Tür zum Gästezimmer aufstieß. Aber niemals hätte ich mit so viel Blut gerechnet.


Servamp - Another TaleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt