Kuros Sicht:
Lilly prüfte noch einmal, wie so oft, ob ich noch in seiner Manteltasche steckte, bevor er C3s Hauptquartier verließ. „Ich finde es ja sehr nett, dass du dich so um mich kümmerst, aber weißt du inzwischen, wie ich in meinen Körper zurückkehren kann?" jammerte ich. Lilly nickte, während er durch das Unterholz des Waldes stapfte. „Ja. Ich muss deinen Körper töten, sodass Sakuyas Seele ihn verlässt und du dort wieder Platz hast. Bis jetzt habe ich einfach noch keinen passenden Moment dafür gefunden... ehrlich gesagt habe ich es noch nicht übers Herz gebracht, deinem Körper etwas anzutun, Brüderchen. Aber keine Sorge. Das kriegen wir hin."
Ich schwieg in meiner kleinen Kugel. In dieser ganzen Situation mit Tsubaki kam ich mir jetzt etwas egoistisch vor, mein Anliegen in den Vordergrund zu rücken. „Lass dir Zeit." murrte ich. Lilly hatte inzwischen den Wald verlassen und die Hausdächer der Stadt bestiegen, um sich Umwege zu sparen. „Kuro, ich schwöre dir, wir bekommen das hin. Du wirst bestimmt bald genug wieder in deinem Körper sein, um Tsubaki ein letztes Mal ins Gesicht treten zu können," lachte Lilly aufmunternd. Ich lächelte.
Gerade wollte ich mich zum Schlafen umdrehen, doch da bemerkte ich etwas aus dem Augenwinkel aufblitzen. „LILLY!" brüllte ich. Erschrocken wandte sich mein Bruder um, doch es war zu spät. Ein Typ mit grauem Pullover hielt Lilly im Würgegriff gepackt, während sich ein anderer mit einer Art Schwert näherte. Dank seines albernen Zaubererkostüms wusste ich sofort, um wen es sich handelte. Belukia. Zwei Abkömmlinge von Tsubaki. „Naaaa, wen haben wir denn da? Waaaas für ein Zufall. All Of Love traut sich, das Dach des Hotels zu betreten, in dem Tubakyun wohnt."
Tsubaki wohnte in so einem luxuriösen Hotel? „K-kann er sich das überhaupt leisten? Der ist doch immer pleite... außer er klaut Geld von seinen Abkömmlingen," presste Lilly mühsam hervor. Belukia zog eine Augenbraue hoch und sah den Typen mit dem grauen Pullover fragend an. Der zuckte die Achseln. „Kann sein. Na und? Wir leisten uns doch eh kaum was." meinte er. Empört rammte Belukia sein Schwert in den Boden. „Na, hör mal! Tsubakyun klaut Geld von mir und du weißt davon? Und sagst mir nichts??"
Beschwichtigend trat der Typ einen Schritt zurück. Sein Griff um Lilly lockerte sich etwas. „Tut mir leid, du hast recht. Aber weißt du, er hat mir etwas von dem Geld angeboten und..." Belukias Mine wurde immer beängstigender. „Hör mal, wir haben einen Auftrag." begann der Typ erneut. „Bring es einfach schnell hinter dich und töte All Of Love. Dann..."
„Nein!" knurrte der Pseudo-Zauberkünstler. „Nein?" „Tsubaki kann mich mal! Und du auch! Erst frisst du immer meinen Joghurt weg, klaust meine letzte Milchschnitte und jetzt bedienst du dich an meinem Bankkonto! Kein Wunder, dass die Tankstelle meine Karte nicht mehr angenommen hat! Gibt es hier echt keinen Einzigen, dem man vertrauen kann?? Und sowas nennt sich Familie! Jetzt bist du fällig, du Betrüger!"
Mit Wucht stach er zu, sein Schwert streifte nur knapp an Lillys Gesicht vorbei. Fluchend warf der Graue-Pulli-Typ Lilly zu Boden, um sich zu verteidigen. Lilly knallte auf den Bauch, hörbar wurde ihm die Luft aus den Lungen gepresst. Mit einem Blick geradeaus bemerkte er, wie meine kleine Kugel aus seiner Manteltasche rollte, direkt auf die Kante des Daches zu. „Lilly!" schrie ich panisch. Er streckte seine Hand nach mir aus, doch es war zu spät. Während ich fiel, machte ich mich bereit, mit dem harten Asphalt der Straße zu kollidieren...
doch ich landete unerwartet weich in der Kapuze eines Mannes, der sich gerade auf einem Balkon des Hotels eine Zigarette genehmigte.
Tsubakis Kapuze.
Tsubakis Sicht:
Ich sah hinauf in die Wolken, während ich meine Zigarette ausdrückte. „Sieht nach Regen aus." Murmelte ich. Ich überlegte, ob ich meine Kapuze aufsetzten sollte und griff danach, zögerte jedoch. Hatte ich da nicht gerade ein entsetztes Keuchen hinter mir gehört? Vorsichtig warf ich einen Blick über die Schulter. Keiner zu sehen. Achselzuckend ließ ich meine Kapuze los, in diesem Moment glaubte ich, ein erleichtertes Seufzen zu hören. Rasch wirbelte ich herum, doch außer mir befand sich absolut niemand auf diesem Balkon. Werde ich jetzt verrückt? Ich kicherte leicht. „Verrückter als ich schon bin? Das ist unmöglich."
Ich verließ den Balkon, schnappte meinen Zimmerschlüssel und ging hinaus zum Aufzug, um das Hotel zu verlassen. Lange Zeit hatte ich nachgedacht, jetzt wusste ich genau, was mein nächster Schritt sein würde. Ich muss diesen zweiten Tsubaki auslöschen, bevor er überhaupt zum Leben erwachen kann. Wenn C3 es tatsächlich schaffen würden, eine „gute" Version von mir zu erschaffen, wäre ich machtlos gegen ihn, ebenso wie er machtlos gegen mich ist. Wir würden über die gleichen Stärken und Schwächen verfügen. Wir würden ewig miteinander kämpfen, bis einem von uns die Luft ausgeht. Und da das zweite Ich ein überaus robuster Roboter sein wird, werde ich wohl derjenige sein, der am Ende das Opfer spielt. Nein danke, darauf habe ich absolut keine Lust.
Ich konnte bloß hoffen, dass ich nicht zu spät dran bin, denn falls dieser Roboter schon in Betrieb ist, dann... „Ouff!" Hektisch hatte ich die Kreuzung überquert und wollte gerade den Weg zum Wald einschlagen, da knallte ich gegen etwas Großes. Ich landete unsanft auf dem Boden und konnte gerade noch meine Brille festhalten. „Hoppla, das tut mir echt leid..." sprach die Person vor mir. Ich blickte auf. Als sich unsere Blicke trafen, stockte uns beinahe gleichzeitig der Atem.
Es war, als würde ich ein einen Spiegel blicken. Vor mir stand ein Mann, der niemand anderes als mein Roboterklon sein konnte, und sah verblüfft auf mich herab. Ich brauchte einige Sekunden, bis ich meine Stimme wiedergefunden hatte. „Haha.. ich war gerade auf dem Weg zu dir." Um dich zurück auf den Schrottplatz zu befördern, fügte ich in Gedanken hinzu. Der falsche Tsubaki setzte eine freundliche Mine auf. „Was für ein Zufall. Ich war ebenfalls gerade dabei, dich zu suchen." Noch immer verwirrt ergriff ich die Hand, die er nach mir ausstreckte. Mit einem Ruck zog er mich auf die Beine zu sich heran, meinen Arm fest umklammert. Zu fest. Sein Lächeln wurde spöttisch, als ich zusammenzuckte. „Um dich in die Hölle zu befördern, Tsubaki." Verdammt, der Kerl war wie ein Schraubstock. C3 hatten sich wirklich Mühe gegeben. „Noch vor allen anderen Sündern wirst du ganz vorne in der Reihe zum Höllentor stehen. Und dann..." „Richte dem Teufel bitte aus, dass ich auch nicht mehr weit bin." Vollendete ich seinen Satz.
Der Roboter-Tsubaki wirkte überrascht. Ich lachte auf. „Du bist ich, ich weiß genau, wie du tickst." Diese Situation fühlte sich unglaublich surreal an. Meine Kopie grinste finster. „Dann weißt du wohl auch, dass mir so etwas große Freude bereitet!" Langsam und qualvoll bog er meinen Arm durch. Ich konnte deutlich spüren, wie er brach. Ich stieß einen schrillen Schmerzensschrei aus, woraufhin er mir seine Hand auf den Mund presste. „Pass auf, dass du deine Abkömmlinge nicht herlockst. Oder bist du etwa auf Verstärkung angewiesen, du armseliger Trottel? Ich bin nur deine billige Kopie, nicht wahr?"
Wenn er versuchte, mich zu provozieren, gelang ihm das. Mit meiner gesunden Hand holte ich zum Schlag aus, was er natürlich kommen sah. Er packte sie noch in der Luft. „Ts, ts. Ich kenne dich besser, als du denkst." Er drückte zu, erneut konnte ich das ekelerregende Brechen meiner Knochen hören. „Du kennst mich in- und auswendig. Aber nicht so gut wie ich dich. C3 haben mir eine weitaus größere Stärke verliehen, als du dir vorstellen kannst."
Seine Augen glänzten irre im Schein der Straßenlaterne, als er mir näher kam und zum ersten Mal in meinem Leben konnte ich mit dem Begriff „Todesangst" etwas anfangen. Ich trat einen Schritt zurück.
Wenn er mich so gut kannte, musste ich etwas unternehmen, was er nie von mir erwarten würde... was ich selbst niemals von mir erwartet hätte. Doch mir blieb keine andere Wahl. Dieser Kerl ist nicht einfach nur die perfekte Kopie eines Vampirs. Das ist eine professionelle Killermaschine.
Ich drehte mich auf dem Absatz um und floh, so schnell ich konnte.