Kapitel 29

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Lillys Sicht:

Mit großen, ungläubigen Augen starrte Misa zu mir hoch. Ich sah ihr an, dass sie jetzt dringend eine Erklärung brauchte. Doch in dem Moment, in dem ich zu sprechen ansetzte, donnerte es an der Tür. „Misa, warum brauchst du so lange? Ich muss auch mal! Bist du ins Klo gefallen oder was?" Ich zuckte zusammen, als ich die Stimme meines Bruders erkannte. Sakuya durfte auf keinen Fall herausfinden, was ich mit Misa besprechen wollte. Misa brauchte einen Moment, bis sie antworten konnte. „J-ja... ich bin ja schon soweit."

Mit einem Blick signalisierte sie mir, später noch einmal mit mir reden zu wollen, bevor sie das Schloss drehte und der falsche Kuro hereinplatzte. Ich betete, dass er nicht den kleinen pinken Schmetterling bemerkte, der sich in Misas Kapuze verkroch. Bei der bestmöglichen Gelegenheit flatterte ich zurück zu Misonos Platz. Mein Eve schien mein Verschwinden nicht bemerkt zu haben, jedenfalls hoffte ich das.

Der Rückflug nach Japan verlief relativ ruhig. Misa ließ sich nicht anmerken, was sie eben von mir erfahren hatte, und das war gut so. Doch ich musste es irgendwie trotzdem schaffen, meinen Eve darauf aufmerksam zu machen, dass mit Kuro etwas nicht stimmte. „Ich finde, wir sollten uns bei Mikuni entschuldigen. Ihr wisst schon.. wegen seinem Auto und alldem. Findest du nicht auch, Kuro?" Schlug ich vor, nachdem wir aus dem Flugzeug ausgestiegen und durch die Wartehalle gegangen sind.

Misa schien zu verstehen, worauf ich hinauswollte. Sie nickte und sah zu dem falschen Kuro auf. „Du hast den armen Mikuni ziemlich gestresst, Kuro. Was hast du ihm nochmal gesagt...?" Verdattert blickte Misono zu uns. „Hat Kuro denn überhaupt etwas ges.. mmh!" Ich hielt ihm die Hand vor den Mund und sah Sakuya auffordernd an. Er konnte nicht wissen, was vor seinem Körpertausch geschehen ist.

„Ich.. äh. Ja, das war etwas unhöflich, denke ich." Sakuya errötete. Er schien nicht recht zu wissen, was er sagen sollte. „Und wie wirst du dich bei Mikuni entschuldigen?" bohrte ich nach. Ich ging sicher, dass Misono dem Gespräch folgte. „Ich muss wohl sagen, dass mir die Sache leid tut. Mit seinem Auto und so, dass ich..." „Dass du?" Sakuya stockte. „Dass ich... hm. Es zerkratzt habe? Habe ich das?" Misa und ich brachen in Gelächter aus.

Misono war verwirrt, während der falsche Kuro vor Scham beinahe im Boden versank. „Was ist hier eigentlich los? Kuro hat doch überhaupt nichts getan! Mit dem Auto ist nichts passiert, wir hatten es nur ausgeliehen. Bist du etwa so verpennt, dass du das vergessen hast, Kuro?" Sakuya setzte an, etwas zu erwidern, warf mir dann aber nur einen giftigen Blick zu. Er wusste, dass ich ihn durchschaut hatte. Was würde er tun, wenn ich jetzt die Wahrheit über ihn aufdeckte? Wenn er wüsste, dass Misa bescheid weiß? Würde er sie aufgeben und versuchen, zu fliehen? Aber was wäre ihm ein Leben in Kuros Körper wert, wenn er es nicht mit Misa verbringen konnte?

Misono verdrehte genervt die Augen. „Ich habe jetzt genug von diesen Albernheiten. Lilly, lass uns endlich nach Hause gehen. Das Thema ‚Zyu' ist abgehakt, wir müssen uns um Tsubaki kümmern!" Ich stimmte grinsend zu und warf Sakuya noch einen triumphierenden Blick zu, ehe ich mein Handy hervorzog, um ein Taxi zu rufen.

Misas Sicht:

Aufgebracht wandte sich Sakuya ab. „Bis das Taxi kommt, hole ich mir noch einen Duty-Free-Kaffee. Misa, kommst du kurz mit?" „Nein, ich würde lieber hier auf dich warten.." Ohne auf meine Antwort einzugehen, packte er mich am Arm und zog mich hinter sich her. Hilfesuchend blickte ich Lilly an, der uns jedoch mit seinem Handy den Rücken zugewandt hatte. Wusste Sakuya, dass Lilly mir die Wahrheit erzählt hatte? Was würde er jetzt tun? Ist er sauer auf mich, weil ich ihn getötet hatte? Vielleicht ist er wieder ins Leben zurückgekehrt, um sich an mir zu rächen.

Ich versteifte mich regelrecht, als Kuro... nein, Sakuya, schließlich um die Ecke zum Stehen kam. Überraschenderweise befanden wir uns wirklich vor einem Starbucks. Sakuya ließ meine Hand los und trat an den Tresen, um zu bestellen. Erleichtert atmete ich aus und bemerkte erst jetzt, dass ich bis vorhin die Luft angehalten hatte.

Ich musste über mich selbst lachen. Sobald ich mit Sakuya zusammen war, wurde ich furchtbar paranoid. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass er, mein bester Freund, der Mörder meiner Tante war. Aber er glaubt, dass ich ihn für Kuro halte. Es ist alles gut. Er holte sich nur einen Kaffee und ließ ihn mit seinem Namen beschriften.

Dachte ich.

Mein erleichtertes Lächeln gefror mir im Gesicht, als Sakuya sich mir wieder zuwandte. Sein Blick war unvorstellbar nervös und liebevoll zugleich. Ich wusste sofort, dass etwas nicht stimmte, und als sich mein Blick langsam auf den beschrifteten Becher in seiner Hand richtete, wusste ich, warum. Bitte nicht schon wieder.

„Ich liebe dich."

„Der ist für dich," lächelte er. Ich sah ihm erneut fasziniert in die Augen, bevor ich den Blick wieder auf den Becher sinken ließ. Von Sakuya war ich diesen Blick gewohnt... aber ihn aus Kuros Augen zu sehen, brachte mich beinahe zum Schmelzen. Es tat mir weh zu wissen, dass es nicht der echte Kuro war, der mich auf diese Weise ansah. Und in diesem Augenblick wurde mir klar, dass ich echte Gefühle für meinen Servamp empfand. Nicht für Sakuya.

„N-nein, danke." Hauchte ich. Auf eine ironische Art hat Sakuya das exakte Gegenteil dessen erreicht, was er eigentlich wollte. Ich fühlte mich nun noch stärker zu Kuro hingezogen.

Errötend wandte ich mich von ihm ab, bereit, wieder zu den anderen zu gehen. Auch wenn ich wirklich Gefühle für meinen Servamp hegen sollte, durfte ich mich nicht auf den falschen Kuro einlassen. Auch wenn es mir unheimlich schwer fiel.

Ich betete, dass Lilly wusste, wie ich den echten Kuro zurückhaben konnte. Noch nie zuvor hatte ich so verzweifelt auf etwas gehofft.

Kuros Sicht:

Eine Weile lang rollte ich verschlafen in meiner kleinen Kugel herum, die Lilly sicher in seiner Jackentasche verstaut hatte. Aber so gemütlich es hier drinnen auch war, ich wollte dringend in meinen richtigen Körper zurück. Als wir in der Wartehalle des Flughafens in Japan ankamen, bekam ich mit, wie sich Sakuya und Misa ein paar Meter zu einem Starbucks entfernten.

Wollte er sich etwa einen Kaffee bestellen? Konnte mein Körper süchtig danach werden? Ich mochte keinen Kaffee! Was zur Hölle stellt Sakuya mit meinem Körper an? Vom Rande der Tasche beobachtete ich die beiden genervt, während Lilly mit dem Taxiunternehmen telefonierte. Mir wollten gerade wieder die Augen zufallen, da riss ich sie entsetzt wieder auf. Auf dem kleinen Becher, den mein falsches Ich Misa hinhielt, standen drei sehr wichtige Worte, die ich von meiner Entfernung aus sehr genau entziffern konnte. Entweder träumte ich gerade, oder dieser Bastard versucht schon wieder, sich bei meinem Eve einzuschleimen!

„Lilly!" rief ich, in der Hoffnung, die Aufmerksamkeit meines Bruders zu erlangen. Doch er schien in sein Telefonat vertieft zu sein. „LILLY!!!" schrie ich, lauter diesmal. Lilly sollte etwas unternehmen! Er musste einschreiten, bevor Misa unbewusst Sakuyas Liebe erwidert. Dieser Bastard würde sie mit Sicherheit ausnutzen. Das hatte sie nicht verdient. Lilly gab mir ein Zeichen, zu warten.

Ich verdrehte die Augen und beobachtete weiterhin das Geschehen. Ich wollte auf keinen Fall, dass Misa mit Sakuya zusammenkommt! Gebannt beobachtete ich, wie sie sich schließlich abwandte. Ich hätte erleichtert darüber sein sollen, doch aus irgendeinem Grund spürte ich einen heftigen Stich im Herzen. Mir wurde klar, dass ich innerlich gehofft hatte, sie würde den Becher annehmen.

Misa wusste nicht, dass ich nicht mehr in meinem Körper war, oder?

Bedeutet das... sie mag mich nicht?


Servamp - Another TaleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt