Vampire weinen nicht

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Jeder Tag im Leben ist einzigartig. Ganz gleich, wie viele wir davon erleben. Ganz gleich, wie oft wir aus dem Schlaf erwachen, die Sonne am Horizont aufgeht, wenn wir die Augen aufschlagen, können wir nie genau sagen, was der Tag für uns parat hält. Ob es vielleicht einer der Schönsten in unserem Leben werden wird – oder ob uns ein einziges Desaster erwartet.

Ich für meinen Teil, war mir an diesem Morgen ziemlich sicher, dass es vielleicht besser war, einfach im Bett liegen zu bleiben, anstatt der Welt entgegenzutreten. Ich wollte mir einfach die Decke über den Kopf ziehen und weiterschlafen, wollte mich nicht der Welt stellen und vor allem nicht meinem Vater begegnen. Aber ich war Jemand, der es nicht lange in geschlossenen Räumen aushielt.

Auf dem Rücken liegen, verschränkte ich die Arme vor der Brust und betrachtete für einen Moment meine Zimmerdecke, sah Muster und Bilder im Putz, die gar nicht da waren, dann drehte ich mich frustriert auf die Seite. Zuerst starrte ich nur an die Zimmertür, dann wanderte mein Blick zu meinem Nachttisch, auf dem das kleine Döschen mit den Kontaktlinsen lag.

Ruckartig erhob ich mich und ging rasch zum nächsten Spiegel. Meine Augen waren noch immer feuerrot und kamen durch mein dunkles Haar, dass mir ins Gesicht fiel und meine helle Haut, extrem zur Geltung. Ein unangenehmes Kribbeln durchfuhr meinen Körper. Im ersten Moment, hätte ich noch gedacht, es war das mir bis dato unbekannte Gefühl von Frost, doch ich merkte schnell, dass dieses Unwohlsein von den gestrigen Ereignissen herrührte.

Ich ging zurück zum Nachttisch, nahm die Dose und begab mich mit ihr ins Bad, wo ich mich sofort unter die Dusche stellte, in dem verzweifelten Versuch, meine Taten im wahrsten Sinne des Wortes reinzuwaschen. Dass das Wasser dazu nicht in der Lage war, wusste ich selbst. Ich stellte mich direkt unter den Wasserstrahl, ließ das warme Wasser von oben auf mich herabrieseln und schloss die Augen, so wie ich es immer tat, um mich zu beruhigen.

Vor meinem inneren Auge, sah ich Bilder...

Ich weiß nicht warum, aber in diesem Moment, erinnerte ich mich an ein ganz bestimmtes Ereignis aus der Vergangenheit...

Es war der Tag, an dem Will zum ersten Mal in den Kindergarten durfte. Wir waren zu dieser Zeit gerade in Cleveland, Ohio, unweit von jenem Ort, an dem Carlisle vor fast 150 Jahren sein Leben in den Vereinigten Staaten begann. Will war gerade drei Jahre alt und verhielt sich auch so. Mariella und ich waren natürlich ebenfalls drei, sahen jedoch eher aus wie Fünf oder Sechs und waren geistig noch ein Stück weiter.

Mit Menschen zusammen zu sein, bevor wir vollkommen ausgewachsen waren, war eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit für Halbvampire. Zumindest hatte meine Mutter nie einen Kindergarten von Innen gesehen. Ursprünglich hatte man das für uns auch so beibehalten wollen, aber da Will sich fast ganz normal entwickelte, setzte sich Leah dafür ein, dass ihr Schützling eine möglichst normale Kindheit haben konnte. Sie redete so lang auf meine Familie ein, bis sie sich dazu breitschlagen ließen, Will im Kindergarten anzumelden. Da er immer wieder Gefahr laufen konnte, sich zu verwandeln, wenn ein anderes Kind ihm das Sandkastenförmchen klaute, begann Leah mit ein wenig 'Unterstützung' in eben jenem Kindergarten eine Ausbildung, in dem auch Will war und passte so rund um die Uhr auf ihn auf. Ich weiß noch, dass Mariella und ich an diesem Tag ebenfalls im Auto gesessen hatten, aber meine Mutter und mein Vater fuhren danach mit uns zum einkaufen. Nachdem Will und Leah ausgestiegen waren und meine Mutter sich von ihnen ausgiebig verabschiedet hatte, hatte ich den Kindergarten nur noch sporadisch gesehen.

William entwickelte sich ausgezeichnet. Kein Mensch wäre jemals darauf gekommen, dass er nicht menschlich sein konnte. Er war ein sehr umgängliches Kind, das aber gelegentlich auch ordentlich Temperament besaß. Wenn er etwas haben wollte, begann er schonmal sich auf dem Boden zu rollen und zu quängeln. Mir war Niemand bekannt, der sich ihm entziehen hätte können. Für die ganze Welt war er ein niedlicher, kleiner Junge mit wunderschönen grünen Augen und bronzenem Haar. Verwandeln tat er sich in Leahs Obhut nie, wodurch er nach und nach zu seinem normalen Wachstum angelangte, welches minimal schneller war, als das eines normalen Menschen. Das fiel aber Niemandem sonderlich auf. Meistens wurde es auf Esmes gute Küche geschoben.

Blood Moon - Biss in alle Ewigkeit (Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt