[Sangreal] Versprechen und Vorurteile (Teil 2)

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In dieser Nacht liefen kleine, einzelne Tränen meine hellen Wangen hinunter, während ich an die Decke starrte, auf der die Äste der Bäume, vor meinem Fenster, ihre Schatten warfen. Sie wurden vom Wind sanft hin und her gewogen. Ihre Schattenspiele hatten, gerade bedingt dadurch, dass es nur sehr leichte, kaum merkliche Bewegungen waren, eine beruhigende Wirkung auf mich. Zusätzlich hüllte der Mond das kleine Zimmer, das ich zusammen mit Nayeli bezogen hatte, in ein bläuliches Licht.

Ich erinnerte mich noch sehr genau an den Moment, an dem ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Er war in die Halle rein geplatzt gewesen. Hatte sich mit Alerio angelegt und wäre fast von ihm erdrosselt worden. Doch ich hatte sofort gesehen, dass er etwas Besonderes war. Und dass er mir ähnlicher war, als irgendjemand sonst in diesen Mauern es je gewesen war. Sogar ähnlicher als Nahuel. Nicht nur körperlich, sondern auch geistig. Wir waren einfach auf einer Ebene gewesen. Zumindest war ich immer davon ausgegangen.

Und als Aro mir dann sagte, dass ich mit ihm zusammen arbeiten müsse, hatte mein Herz einen kleinen Hüpfer gemacht. Schon damals hatte es so etwas wie Sympathie für diesen jungen, mir unbekannten Mann empfunden. Sympathie, die bald zu mehr wurde. Fatalerweise.

Ich seufzte, drehte mich zur Seite, zog meine dünne Decke noch etwas höher und wischte ein paar Tränen weg. Ich konnte es einfach nicht fassen, dass er mich für so ein falsches Biest hatte halten können. Fast noch schlimmer war es für mich, dass all die schönen Momente, die ich mit ihm erlebt hatte, nun ihren Zauber verloren hatten. Wann immer ich nun daran dachte, wie wir uns vor meinem Kamin geküsst hatten oder wie er mich gestreichelt hatte, musste ich unweigerlich daran denken, wie er sich gefühlt haben muss, als er an diese Augenblicke gedacht hatte, als er noch in dem Glauben gewesen war, dass ich ihn nur benutzt hatte. Es ließ mich fast so viel Ekel empfinden, wie ich ihn empfunden hätte, hätte ich das wirklich getan. Aber das hatte ich nicht. Es gab keinen Grund sich zu schämen. Ich hatte etwas für ihn empfunden. Ich war weder kalt noch berechnend gewesen.

Arsch..., dachte ich und drehte mich auf die andere Seite. Für mich war es absolutes Neuland verletzt zu werden. Ich war nie verliebt gewesen. Ich hatte immer alles bekommen, was ich wollte, sofern es Aro möglich gewesen war, es mir zu geben. Lange Zeit hatte ich nicht das Gefühl gehabt, dass mir etwas fehlte. Ein normales Leben, wie es andere Mädchen hatten, hatte ich für einen Halbvampir sowieso immer für unmöglich gehalten. Erst Anthonys Erscheinen und seine Erzählungen davon, wie seine Familie lebte, hatte in mir das Bedürfnis geweckt, ein anderes Leben kennenzulernen. Ich seufzte abermals.

Plötzlich vernahm ich Nayelis Wimmern. Zuerst kaum merklich, dann immer lauter, bis sie letztlich laut losweinte. Eilig streckte ich meine Hand zum Nachttisch, schaltete die kleine Lampe darauf ein und lief zu ihrem Bettchen. Sie bewegte ihren kleinen Kopf hin und her, hatte die Augen zusammengekniffen und schrie, während sie mit ihren kleinen Füßchen ihre Decke wegtrat. Ich hob sie aus dem Bettchen, nahm sie auf den Arm und wog sie sanft hin und her. Ihre kleinen Finger umfassten zwei Zipfel meines weißen T-Shirts. Sie hörte auf zu weinen und wimmerte nur noch leise. Meiner feinen Nase entging natürlich nicht, was der Grund für ihr Unwohlsein war. Ich strich ihr sanft durch ihr schwarzes Haar und flüsterte ihr beruhigende Worte zu. „Das haben wir gleich...“

Bis vor ein paar Tagen hätte ich nie gedacht, dass ich jemals Mutter werden würde und nun hatte ich schlagartig ein etwa sechs bis acht Monate altes Baby. Sie brabbelte vor sich hin, konnte sich hinsetzen und sogar etwas unbeholfen Krabbeln. Ihr tatsächliches Alter war mir jedoch unbekannt. Nahuel schätzte, dass sie keinen Monat alt war.

Ich hatte ihrer Mutter versprochen, mich um die Kleine zu kümmern. Und dieses Versprechen würde ich halten. Das hatte ich mir fest vorgenommen. Auch wenn es bedeutete, dass ich jetzt im Eiltempo lernen musste, wie man ein Baby versorgte und aufzog. Ich hatte keine neun Monate gehabt, um mich darauf vorzubereiten. Aber wenn ich so recht darüber nachdachte, dann fürchtete ich, dass ich, wenn Nayeli wirklich meine und Anthonys Tochter gewesen wäre, auch keine neun Monate gehabt hätte. Jedoch, wenn sie unser – ich betonte das Wort selbst in Gedanken – Kind gewesen wäre, dann würde ich mir nun wenigstens nicht so allein gelassen vorkommen. Dann hätte die Kleine einen Vater. Vielleicht wäre Anthony am Anfang etwas überfordert gewesen, aber ich meinte zu spüren, dass er sich trotzdem um sie gekümmert hätte. Die Cullens hätten niemals zugelassen, dass unser Nachwuchs bei den Volturi blieb.

Blood Moon - Biss in alle Ewigkeit (Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt