Verbündete (Teil 1: Augen die niemals lügen)

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Mit einigen geübten Handgriffen zog ich den seidenen Stoff durch die Schlaufe und zog anschließend den Knoten meiner Krawatte an meinem Kragen fest. Wenn etwas gab, was Alice mir beigebracht hatte, dann wie man sich als Gentleman zu kleiden hatte – und wie man eine Krawatte richtig band.

Ich trat ein paar Schritte zurück, um mich im Spiegel zu betrachten. Die Krawatte hatte fast den selben dunklen Grünton, wie meine Augen. Ja, so würde ich sicher nicht negativ auffallen, sagte ich mir und nickte dem Spiegelbild zu, ehe ich aus dem Badezimmer trat und durch den stockfinsteren Keller lief, um in mein Zimmer zurückzugehen.

Als ich es jedoch betrat, musste ich feststellen, dass ich nicht allein hier war. Da mein Blick eher auf den Boden gerichtet gewesen war, war es selbstverständlich zunächst einmal der grüne, zart glänzende Satinstoff gewesen, der meine Aufmerksamkeit erweckt hatte. Genau der selbe Grünton wie der meiner Krawatte – und damit der meiner Augenfarbe. Aber ich blieb natürlich nicht am Saum kleben, sondern ließ meinen Blick langsam nach oben wandern. Der weich fließende Stoff schmeichelte ihrer perfekten Silhouette. Sie hatte mir ihren entzückenden Rücken zugewandt und ich kam nicht umhin, ein paar Sekunden länger an gewissen Stellen zu verweilen, als eigentlich notwendig. An der Stelle an der das rückenfreie, bodenlange Kleid ihre alabasterfarbene Haut freigab, begannen die leicht gekräuselten Haarspitzen ihrer Hochsteckfrisur. Das dunkle Braun harmonierte so schön mit der Farbe des Kleides und der ihrer Haut, dass man meinen könnte, sie sei direkt aus einem Gemälde getreten. Sie war so schön – und ich so angewurzelt.

Als sie sich mit einer sanften, geschmeidigen Bewegung umdrehte, riss sie mich aus meiner Trance und ich griff erschrocken nach der Kommode, die neben dem Türrahmen stand, damit es so aussah, als hätte ich die ganze Zeit nichts anderes im Sinn gehabt. Sie kam näher und ich stellte mich vor das Möbelstück, riss die Schublade auf und begann darin herum zu wühlen. „Bist du noch nicht fertig?“, fragte sie mit einer Stimme, die nur zu einer solch schönen jungen Frau passen konnte.

„Nein, ich äh...“, antwortete ich, wusste aber nicht, wie ich den Satz beenden sollte und griff nach einer silbernen Rolex, die sonst immer in den Untiefen meiner Klamotten lag und die ich wahrscheinlich irgendwann, in den letzten dreißig Jahren, zum Geburtstag bekommen hatte.

Ich drehte mich zu Sangreal um, ohne sie anzusehen und wollte die Uhr anlegen.

„Warte“, sagte sie. Sie griff nach meinem Handgelenk und nahm mir dieses Vorhaben ab.

„Hat Alice dir die Haare gemacht?“, fragte ich, um die aufkeimende Stille zu brechen.

„Rosalie“, antwortete Sangreal. „Das Kleid hab ich aber mit Alice ausgesucht.“

Jetzt war mir auch klar, warum ich keine von meinen Krawatten hatte nehmen dürfen...

„Alice hat ein Händchen für so was“, kommentierte ich.

„Das stimmt“, sagte sie.

„So.“ Das war dann wohl das Zeichen für mich, dass sie die Uhr nun befestigt hatte. Doch sie ließ mich nicht sofort los. Ihre zarten Finger, die die selbe Temperatur, wie meine hatten, strichen zunächst über die Innenseiten meiner Handfläche, ehe sie ihre Hand komplett auf meine legte. Aneinander gelegt, war es noch deutlicher, was für eine kleine, zarte Hand sie doch hatte. Ich musste daran denken, dass sie mich noch vor wenigen Wochen gerettet und einem Volturi den Kopf im wahrsten Sinne des Worte verdreht hatte und musste schmunzeln. Sie musterte zunächst noch unsere beiden Hände, dann hob sie den Blick und sah mich an.

Es waren ihre Augen gewesen, die mir, bevor wir uns wirklich kannten, bewusst gemacht hatten, wie ähnlich wir uns waren. Sie war ein Halbvampir, genau wie ich und doch hatten sie sich rot gefärbt, weil sie menschliches Blut trank. So sehr mich das damals allerdings fasziniert hatte , es kam mir jetzt töricht vor, war ihre wirkliche Augenfarbe doch soviel schöner. Nun da sie die letzten Wochen über auf Tierblut umgestiegen war, sah man schon mehr als deutlich, in welche Richtung die Farbe einschlug: silbergrau.

Blood Moon - Biss in alle Ewigkeit (Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt