[Mariella] Blutmond (Teil 1)

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„Alles wieder gut?“, fragte Seth, als er mir das Glas aus der Hand nahm. Seine dunklen Augen sahen mich besorgt an. Und auch die vielen Augenpaare meiner Familie musterten mich.

„Ich denke... schon“, log ich. Ein paar Gesichtern konnte ich die Erleichterung ansehen, aber es gab auch welche, die ich nicht belügen konnte. Allen voran Seth.

„Soll ich dich ins Bett bringen?“, fragte er. Ich nickte. Er stand vorsichtig vom Boden auf, legte einen Arm an meinen Rücken, den anderen unter meine Kniekehlen und hob mich von unserer Wohnzimmercouch. Ich legte mein Gesicht an seine Brust und schloss die Augen. Ich wollte versuchen, nur seinen Herzschlag zu hören, während er mich durch das Haus zu unserer Suite trug. Ich wollte so gern verdrängen, was eben geschehen war. Aber mein ungutes Gefühl ließ mich nicht mehr los.

Es war ganz plötzlich gekommen. Ich war gerade mit Seth in der Küche gestanden. Es war zuerst wie ein kalter Schauer gewesen. Mein ganzer Körper war mit einem Mal von den Zehenspitzen bis hinauf zur Stirn erkaltet. Und dann... dann kam der Schmerz.

„Mariella? Was ist?!!“, hatte Seth gerufen, als ich plötzlich zu schwanken begann und mir den Bauch hob. Später war ich auf dem Sofa aufgewacht, umringt von meiner Familie. Ich hatte es als normalen Schwindelanfall abgetan. Das war zwar auch ungewöhnlich, weil in unserer Familie so was eigentlich nicht vorkam, aber den wahren Grund konnte ich ihnen nicht sagen. Ich wollte sie nicht belasten.

„Was ist es?“, fragte Seth und riss mich aus meinen Erinnerungen. Wir waren schon in unserer Suite angekommen. Er hatte sich zu mir aufs Bett gelegt, mich an sich gezogen und fuhr mit seinen warmen Fingern durch mein Haar.

„Seth...“, begann ich und merkte, wie meine Stimme dann zu zittern anfing. „Ich glaube, Ani und Will ist etwas zugestoßen.“

Seth sagte nichts. Er sah mich an, streichelte mich weiter und schwieg. Was sollte er auch sagen? Dass es nur Einbildung gewesen war? Wohl kaum. Er kannte die Verbindung zwischen ihm und mir. Und er kannte auch die Verbindung zwischen meinen Brüdern und mir. Seth wusste, dass ich nicht falsch liegen konnte. Dass ich Recht hatte. Diese Verbindung log nie.

„Sollen wir es den anderen sagen?“

Ich zog die Nase hoch, während meine Tränen weiter leise meine Wangen hinunterliefen.

„Ich will Mom nicht belasten.“

„Ich denke, dafür ist es zu spät“, antwortet Seth. Ich sah zu ihm hinauf. „Sie werden auch gespürt haben, dass etwas nicht in Ordnung ist. Vielleicht nicht so deutlich wie du, aber irgendwie schon.“

„Was werden sie machen, wenn sie davon erfahren?“, fragte ich. Ich konnte keine Prognosen machen, dafür kannte ich meine Familie zu wenig. Ich wusste, wie sie alle im Alltag waren, wie sie die letzten dreißig Jahre gewesen waren. Aber Seth kannte die Zeit davor. Die Zeit, in der sie auch kämpfen mussten. Für das Leben meiner Großmutter und meiner Mutter.

„Nach Volterra gehen“, antwortete Seth ohne einen Anflug von Zweifel. „Das ist die einzige Möglichkeit.“

Der Gedanke machte mir Angst. Ich verband nichts Gutes mit diesem Ort. Ich hatte Angst, meine Familie zu verlieren. Also schwieg ich. Vorerst. In der naiven Hoffnung, mich doch geirrt zu haben.

Es war noch nicht lange her, da war Will nach Italien aufgebrochen, um unseren Bruder zurück nach Hause zu holen. Er war direkt von La Push nach Italien geflogen, um keine Zeit zu verlieren, schließlich erwartete Leah Nachwuchs. Aber er hatte mich angerufen und mir versprochen, in drei Tagen mit Anthony nach Hause zu kommen. Und von da an hatte ich immerzu gewartet wie ein Hund, der auf die Rückkehr seines Herrn wartete. In fester Überzeugung, dass er zurückkommen würde. Und wenn es klingelte, egal ob es der Postbote war oder ein Vertreter, war ich sofort an die Tür gesprungen.

Blood Moon - Biss in alle Ewigkeit (Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt