Missionen

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„Na?“, sagte Sam provozierend, als ich mich an den Tisch in der Kantine setzte. „Ist deine Mission 'Blutdurst' gescheitert?“
Ich schenkte ihm nur einen müden Seitenblick.
„Das war wirklich eine Schnapsidee“, kommentierte seine Zwillingsschwester.
Ich rümpfte die Nase. „Ich weiß.“
„Na ja...“, schlug Jason, ein junger Halbvampir mit schwarzem Haar ein anderes Thema an. „Und was machen wir heute?“
Was darauf folgte waren lautes Gegacker und Gelächter darüber, was man heute unternehmen sollte. Mir war es hier unten bereits jetzt schon zuwider. Ich fragte mich, wie lange die hier unten schon lebten und wie sie es hier aushielten. Wenn man hier jahrelang herumhing, musste einem dann nicht auch mal selbst die Sporthalle aus dem Hals raus hängen? Oder das immerzu fade Essen in der Kantine? Oder die Filme und Bücher in den Regalen?
„Na, Anthony“, sprach Sam wieder mich an. „Wie sieht's aus? Kommst du mit?“
Ich überlegte kurz, konnte aber beim besten Willen nicht sagen, dass ich auch nur ein Wort von dem gehört hatte, was um mich herum eben gesagt wurde. „Wohin?“
„Na, in die Sporthalle.“
Ich schüttelte den Kopf. „Heute nicht.“
Sam zuckte mit den Schultern. „Okay. Man sieht sich. Kommt Leute.“
Dann stand Sams ganze Clique auf und verließ die Kantine in Richtung Sporthalle. Als ich sie so rausgehen sah, stellte ich fest, dass ich bisher viel zu wenig hinterfragt hatte. Ich war jetzt eine Woche hier und wusste noch so gut wie gar nichts über diesen Ort. Ich wusste, dass die Halbvampire hier unten waren und die Vampire dort oben. Mehr nicht.
Aber warum? Und wie lange schon? Wenn ich so das Verhalten von Samuels Trupp beobachtete, konnten sie geistig nicht älter als sechzehn sein. Gut möglich, dass sie körperlich nur ein paar Jahre alt waren.
Ich blieb noch eine Weile auf meinem Platz und beobachtete die Personen, die die Kantine betraten und wieder verließen. Sie waren alle ausnahmslos jung und schön. Kein Zweifel, dass bei jedem von ihnen etwas Vampir mit schwang. Etwa drei Tische von mir entfernt, saß fast zwei Stunden lang ein Pärchen, dass mir irgendwann ins Auge stach. Allerdings machten sie nicht mit wilden Küssen auf sich aufmerksam, im Gegenteil, sie machten mir etwas bewusst, was mir vorher nicht aufgefallen war. Ich hatte in der ganzen Zeit, die ich hier war, kein einziges verliebtes Pärchen oder auch nur kleine Andeutungen mitbekommen. Auch das Pärchen in der Kantine saß da wie zwei Schulkameraden. Gut möglich, dass sie das auch waren, aber was war mit den Anderen? Ich konnte mir nicht vorstellen, dass bei der Dichte an jungen hübschen Personen keine Spannungen entstanden.
Langsam machte mich das Nachdenken verrückt. Ich stand auf, um mir noch einen Kaffee zu holen. Vorn am Automaten, wartete ich darauf, dass die Maschine den Becher freigab, als ich hörte, wie die etwas fülligere Menschenfrau hinter dem Tresen zu sprechen begann. Bisher hatte ich sie nur übliche Floskeln sagen hören. So was wie 'Guten Morgen' oder 'Darf's noch mehr sein?'.
„Na wie geht’s uns beiden denn heute?“, fragte sie sanft und freundlich. Sie sah nicht nur so aus, sondern sie hörte sich auch so an, wie die typischen dicklicheren freundlichen Muster-Mütter oder Omas.
Als ich aber sah, mit wem sie sich unterhielt, wäre mir beinahe mein Kaffeebecher, den ich eben in die Hand genommen hatte, aus der Hand gerutscht. Vor ihr stand ein junges Mädchen mit kinnlangen schwarzen Locken, deren Babybauch man nicht übersehen konnte.
„Gut“, antwortete sie lächelnd. „Es ist jetzt sicher bald so weit.“
„Das freut mich“, sagte die Kantinenfrau. „Dann wünsche ich guten Appetit mit deiner Sonderportion.“
Das Mädchen lachte. „Danke, Martha.“
Ich nippte kurz an meinem Becher und beobachtete, wie sie sich, in der hintere Ecke der Kantine, auf eine mit rotem Stoff bezogene Bank setzte. Sie aß gemächlich ihren Teller leer und nahm gelegentlich einen Schluck Wasser. Es waren die sanften, kleinen Bewegungen, die so fließend ineinander übergingen und ihre Schönheit, die sie als Vampir kennzeichneten. Das Leben in ihrem Bauch jedoch und die zwei schlagenden Herzen, deuten auf das Menschliche in ihr hin. Das Mädchen schien mit ihrer Welt zufrieden zu sein. Zumindest machte es auf mich den Anschein. Immer wieder strich sie sich über den Bauch. Ihr lag durchwegs ein kleines, zartes Lächeln auf den Lippen. Ich konnte keine Frustration über ihre Lage in ihrem Gesicht erkennen. Oder aber sie verbarg sie sehr gut.
Als sie mit ihrer Mahlzeit fertig war, kam die Kantinenfrau und nahm ihr Tablett mit. Sie musste nicht, wie wir anderen, zum Geschirrwagen gehen und ihr dreckiges Geschirr abgeben. Wenn ich mit ihr reden wollte, dann war jetzt die letzte Möglichkeit dazu. Ich erhob mich, machte mich unsichtbar und flitzte anschließend zur Tür, wo ich mich wieder sichtbar machte. Während sie sich verabschiedetet, tat ich so, als wolle ich gerade zufällig im selben Moment die Kantine verlassen und zog ihr zuvorkommend die Tür auf.
Sie nickte mir zum Dank zu und trat hindurch. Ich hatte eigentlich gedacht, dass sie gleich weiterlaufen würde, aber sie wartete, bis ich die Tür hinter mir geschlossen hatte.
„Gibt es neue Anweisungen für mich?“, fragte sie unterwürfig.
Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte. „Bitte?“, hakte ich nach.
Das Mädchen hielt sich den Bauch und trat langsam näher. Sie musterte mich einen Moment, dann hob sie sich die Hand vor den Mund. „Oh, Verzeihung. Ich hatte dich für einen Vampir gehalten, wegen den... wegen den...“
„... wegen den Augen, ich weiß“, beendete ich lachend ihren Satz, froh darüber, einen Anfang für ein Gespräch mit ihr gefunden zu haben. „Schon in Ordnung. Wann ist es denn so weit, wenn man fragen darf?“
Das Mädchen mit den schwarzen Locken strich sich lächelnd über den Bauch. „Schon sehr bald, denke ich.“ Sie sprach sehr langsam, jedoch klar und deutlich. Ihre Stimme war freundlich, fast mehr wie ein Flüstern, jedoch aufrichtig. Sie wollte gerade wieder gehen, da ergriff ich rasch das Wort. „Soll ich dich zu deinem Zimmer begleiten? Ich meine, in freudiger Erwartung, sollte man doch so schwere Türen nicht allein öffnen und nicht allein durch die Gänge streifen.“
Sie kicherte. „Das ist lieb“, sagte sie. „Aber wir wissen doch beide, dass das nicht geht.“
„Nicht?“, fragte ich lächelnd. Ich versuchte die Balance zwischen Unwissenheit und meinem Schauspiel zu halten. Sie durfte nicht merken, dass ich eigentlich keinen blassen Schimmer hatte, was hier vor sich ging. Auch wenn mir mein Bauchgefühl sagte, dass Samuels Clique nicht viel mehr wusste als ich.
„Aber ja“, sagte sie leise. „Mädchen haben ihren Bereich, Jungen haben ihren Bereich. Das hat man uns doch allen beigebracht.“
„Oh“, sagte ich. „Verzeihung. Ich bin noch nicht so lange hier.“
„Dann weißt du es jetzt ja“, stellte sie fest. „Na dann... ich muss jetzt weiter. Einen schönen Tag.“
Und dann ging sie davon. Ich überlegte einen Moment, dann machte ich mich unsichtbar und folgte ihr. Einen kleinen Anflug von Nervosität konnte ich schon in mir aufkeimen spüren. Ich konnte jedoch nicht sagen, ob das daran lag, dass ich nach so kurzer Zeit schon wieder etwas Verbotenes tat oder daran, dass ich mir vorkam, als ginge ich in der Schule auf die Mädchentoilette.
Einige dunkle Gänge weiter kamen wir irgendwann zu einer kleinen Treppe mit fünf Stufen. Auf der leicht erhobenen Etage befand sich eine Tür, hinter der wieder Wände mit Stahltüren lagen. Wenn ich es nicht besser wüsste, hätte ich gesagt, dass wir im Kreis gelaufen waren, denn hier sah es genauso aus wie in der unteren Männerebene. Die Türen waren ebenfalls mit 600er Zahlen beschriftet und das schwangere Mädchen verschwand in der 678.
Dieser Ort wurde mir immer suspekter. Ich ging weiter an den Türen vorbei. Jede von ihnen nur durch eine individuelle Nummer von den anderen unterscheidbar. Nirgendwo lag auch nur der kleinste Krümel auf dem Boden. Hinter manchen Türen konnte ich vereinzelt Stimmen hören, aber ich hörte nichts heraus, was von Bedeutung hätte sein können.
Ich wollte gerade wieder gehen, da vernahm ich eine sich öffnende Tür und drehte mich um. Vor Überraschung hätte ich beinahe meinen Schutzschild außer Acht gelassen: Vor mir stand das brünette Mädchen mit den roten Augen. Mit ihrem goldenen Schlüssel schloss sie die Tür hinter sich sorgsam ab. Ehe sie jedoch weiter ging, horchte sie einen Moment. Kurz trafen sich unsere Blicke und sie rührte sich nicht. Mein Herz schlug schneller. Ich war mir sicher, dass sie ahnte, dass sie nicht allein hier war. Ob sie wusste, dass sie mir direkt in die Augen sah? Ich überlegte, ob ich mich ihr zeigen sollte, entschied mich dann jedoch dagegen. Rasch drehte ich mich um und verließ den Mädchenbereich. Wie ein gehetztes Tier flüchtete ich fast vor dem was eben passiert war. Eilig steckte ich den Schlüssel ins Schloss meiner Zimmertür und erst als ich ihn drehen wollte, stellte ich fest, dass sie bereits offen war. Verwundert riss ich die grüne Tür auf und betrat das Zimmer. In dem Moment, in dem ich Nahuel dort stehen sah, wurde ich wieder sichtbar. Er musterte mich von oben bis unten. Sein Blick wurde fragend, fast entsetzt.
„Was ist los? Was ist passiert?“, fragte er, wahrscheinlich alarmiert von meiner heftigen Atmung und dem verwunderten Blick.
Ich schluckte. „Nichts.“
„Schließ bitte die Tür“, bat er.
Ich schloss die schwere Tür und noch ehe ich mich wieder umdrehen konnte, ergriff er erneut das Wort. „Hast du in den letzten Tagen begriffen, dass das hier kein Ort für dich ist?“
Ich überlegte einen Moment. „Ich habe zumindest begriffen, dass es hier nicht mit rechten Dingen zu geht.“
Nahuel stützte die Hände an dem kleinen Tisch in unserem Zimmer ab und seufzte. Ich trat näher. „Was ist das für ein Ort? Ich meine, was geht hier vor? Woher kommen all diese Halbvampire? Die Kantine? Die Sportanlage? Was soll das alles?“
Er drehte seinen Kopf wieder zu mir. „Es ist besser für dich, wenn du einfach gehst, solange du noch kannst.“
Ich verdrehte kurz die Augen. „Ich denke, es ist besser für mich, wenn du den Mund aufmachst und mir meine Fragen beantwortest.“
„Nein, Anthony!“, fuhr Nahuel mich nun fast an.
„Warum?“, fuhr ich zurück.
„Weil dir die Antworten nichts bringen werden. Außer neue Fragen. Du hilfst diesen Lebewesen hier am meisten... wenn du gehst.“
„Aber-“
Weiter kam ich nicht, da öffnete sich plötzlich die Tür hinter uns. Im Türrahmen stand ein junger Vampir. Er wirkte fast wie ein Kind, kaum Fünfzehn, mit roten Augen und braunem Haar.
„Alec“, sagte Nahuel.
Alec nickte. „Aro wünscht euch zu sprechen. Beide.“
Mein Blick wanderte von dem Jungen zu Nahuel und auch er sah mich an, so als wollte er sagen 'zu spät'.

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Blood Moon - Biss in alle Ewigkeit (Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt