Der heilige Gral (Teil 1)

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Playlist wie immer rechts im YouTube-Video, für alle die während dem Lesen gern Musik hören. Ich denke die Musik passt ziemlich gut zum Kapitel und hab sie auch während dem Schreiben gehört. ;)

„Wollen wir dann?“, fragte ich leise und bot ihr meinen Arm zum Einhaken an. Meine hübsche Begleitung nickte sachte und nahm an. Zusammen traten wir hinaus in das nächtliche Venedig. Das Erste, was ich spürte, war, dass sie ihren Griff festigte. Es war zwar Winter, aber ich war mir recht sicher, dass die Kälte nicht der Grund dafür war. Im Augenwinkel beobachtete ich, wie sie sich umsah. Ein bisschen erinnerte sie mich dabei, in ihrer leichten Nervosität, an ein kleines Tier, dass immer Angst haben musste, von irgendwas Größerem verspeist zu werden.
„Alles okay?“, fragte ich vorsichtshalber.
„Ja“, antwortete sie sogleich, ohne aber zu fragen, warum ich diese Frage gestellt hatte.
Nur fünf Gehminuten von unserem Hotel entfernt 'parkte' unsere Gondel. Als Sangreal merkte, dass ich auf den Kanal zusteuerte, blieb sie jedoch stehen. Ich sah sie fragend an.
„Nahuel meinte, wir sollten zu Fuß zur Oper gehen.“
„Ach wirklich? Hat er?“, fragte ich gespielt und hob die Augenbrauen. Das Mädchen nickte etwas unsicher.
„Die Gondel ist aber im Ticketpreis inbegriffen und was Aro uns spendiert, sollten wir nicht verschmähen, oder?“
Ihr Mund formte sich langsam zu einem hübschen Lächeln. Ich nahm das einfach mal als Zustimmung und stieg in die Gondel.
„Buonasera signore e signori!“, begrüßte uns der Gondoliere freundlich.
„Buonasera“, antwortete ich und half Sangreal beim Einstieg.
Gut, sie war nur zur Hälfte Vampir, aber ihre Anmut und ihre Grazie kamen der eines vollwertigen Vampirs gleich. Ich hatte in Mauritius gesehen, wie schnell und stark sie sein konnte. Und doch half ich ihr, wie einem unbeholfenen ängstlichen Mädchen, in diese wacklige Gondel. Ich wusste selbst, wie bescheuert das eigentlich war, sah aber im selben Moment, dass sie sich über die Aufmerksamkeit freute und erhielt Bestätigung, als sie während der Fahrt nach meiner Hand griff und ich den seidenen Stoff ihrer Handschuhe über meinen Handrücken streicheln spürte.
Bisher hatte ich den Anblick des Meeres, vor der irländischen Küste, für das Schönste gehalten. Egal, ob bei Tag oder Nacht. Inzwischen konnte ich zwar sagen, dass es wohl etwas schöneres gab, aber ich war nicht in der Lage zu sagen, was ich gerade so überwältigend schön fand. War es Venedig bei Nacht und der Vollmond, der sich im Kanal spiegelte oder war es das Mädchen neben mir, das in diesem Moment ihren Kopf auf meine Schulter legte?
Leider legte die Gondel für meinen Geschmack viel zu früh an. Ich wäre gerne noch die nächsten zwei Stunden, die die Vorstellung dauern sollte, mit Sangreal in einer Gondel durch Venedig geschippert.
Das Gran Teatro La Fenice di Venezia war das größte und bekannteste Opernhaus Venedigs und die Vorstellung, obgleich sicher einige Male aufgeführt, war brechend voll. Um eine gute Aussicht zu haben und den Gerüchten auf den Grund zu gehen, hatte Aro uns einen Platz auf einem der Balkone rechts neben der Bühne besorgt. So waren wir einige Meter über dem Geschehen.
Die Handlung entsprach den üblichen Klischees: ein Vampir, wunderschön mit schwarzem langem Haar, verliebte sich in eine sterbliche wunderschöne brünette Dame. Die Familie des Mädchens, wohl wissend, dass ihr Geliebter übernatürlichen Ursprungs war und ganz sicher nichts Gutes im Schilde führte, wollte der Liebe der beiden ein Ende setzen und das Monster mit den üblichen Mitteln ins Jenseits befördern. Um der Trennung zu entfliehen, bat das Mädchen ihren Geliebten darum, sie ebenfalls zu einer Unsterblichen zu machen, auf das die beiden gemeinsam für immer zusammen sein könnten.
Meine Begleitung starrte wie gebannt auf die singenden und tanzenden, sich liebenden Protagonisten auf der Bühne unter uns, während ich versuchte, die Vampire unter ihnen auszumachen und gespannt darauf wartete, dass sie die von den Volturi befürchtete Straftat begingen.
Die große Dramatik des Stücks ging zwar auch von dem armen Mädchen, das versuchte seine Familie davon zu überzeugen, dass ihr Schatz kein blutsaugendes Monstrum war und den mit Heugabeln, Weihwasser, Kreuzen und Pflöcken umherirrenden Verwandten aus. Der Höhepunkt war aber dann doch der ersehnte Biss, welcher für Sangreal einfach nur ein dramatisches Ereignis zu sein schien, für mich war es allerdings dann doch der Grund, weswegen wir hier eigentlich saßen.
Ich sah genau, wie sich die Zähne des Schwarzhaarigen in den Hals des Mädchens bohrten. Ich sah das rote Blut, dass aus ihren Adern quoll und in einem Rinnsal über ihre weiße Haut lief. Ich roch den süßlichen Duft, der von ihm ausging. Und mir wurde bewusst, dass ich mich seit Sangreals Blutbeutel nur von menschlicher Nahrung ernährt hatte. Meine Hände bohrten sich in die Brüstung des Balkons und der Vampir, der unten genüsslich am Hals seines Opfers saugte, hob kurz den Blick in unsere Richtung, ehe der Vorhang fiel. Für den Zuschauer blieb ungewiss, was mit dem Mädchen geschehen würde. Ob die Liebenden jetzt ein Leben zu zweit führen würden oder ob sie ein Opfer ihrer Liebe geworden waren. Für mich hingegen war ungewiss, wie viele Vampire hier tatsächlich waren, aber was mir noch viel größere Sorgen bereitete, war die Frage, ob wir vielleicht entdeckt worden sein könnten. Und da ich keine Lust darauf hatte, eine Antwort auf die harte Tour zu bekommen, nahm ich Sangreal, nach der Vorstellung, zügig an der Hand und zog sie vor die Tür. Als nächstes hörte man eine Weile nur das Klackern ihrer Schuhe auf dem Pflasterstein.
„Warum nehmen wir denn nicht die Gondel?“, fragte sie, während wir eilig zurück zum Hotel liefen.
„Das erklär ich dir, wenn wir wieder im Hotel sind.“
Doch die Erklärung folgte auf dem Fuß. Es ging so schnell und so plötzlich, dass ich nur spürte, wie Sangreals Hand aus der meinen rutschte. Anschließend nahm ich einen kurzen Luftzug wahr, ehe mein Rücken gegen die feuchte, raue Wand eines Hauses knallte. Als ich meine Augen aufschlug, blickte ich in die roten Augen eines Vampirs, dessen kalte Hand schwer auf meiner Brust lag und mich gegen das Gemäuer presste. Es war niemand, den ich zuvor in der Oper gesehen hatte, da war ich mir sicher.
„Was wollt ihr?“, zischte mein Gegenüber.
„Dasselbe könnte ich euch fragen“, antwortete ich barsch.
„Nanu?“, sagte nun ein zweiter Vampir, der sich zu dem gesellte der mich fest hielt. Er hatte blondes leicht gelocktes Haar und erinnerte mich von der Statur her an Jasper. „Ihr habt UNSERE Vorstellung besucht und nicht wir eure oder sehe ich das falsch?“
„Wenn ihr keine Zuschauer haben wollt, müsst ihr eure kleine Freakshow im verschlossenen Kämmerlein durchführen“, stichelte ich. Meine Antwort war dem Blonden wohl etwas zu provozierend, denn was ich als nächstes hörte, war das Knacken meiner eigenen Knochen, als er mir einen kurzen Schlag versetzte, der meinen Unterkiefer zum Bersten brachte. Die beiden Vampire lächelten mich mit einem fiesen Grinsen im Gesicht an. Doch so schnell, wie der Schmerz gekommen war, so schnell verheilte meine Wunde und alles, was blieb, war etwas Blut in meinem Gesicht. Die Augen des Vampirs, der mich gegen die Wand drückte, leuchteten. „Ah...“, sagte der Eine mit einem leichten Anflug von Begeisterung. „Das ist interessant.“
„Sag mal...“, begann der Blonde langsam und hob sich eine Hand fragend ans Kinn „Funktioniert das bei der Kleinen auch?“

Blood Moon - Biss in alle Ewigkeit (Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt