Verbündete (Teil 4: [Jacob] Ewig wie die Sonne)

10.8K 255 27
                                    

„Gewürze! Feine Gewürze!“
„Töpfe! Wunderschöne Handarbeit!
„Kaufen Sie! Kaufen Sie!“
„Seide! Echte ägyptische Seide!“

Ich kniff die Augen kurz zusammen. Der Lautstärkepegel auf diesem Basar war für meine sensiblen Ohren ein regelrechtes Massaker. Hinzu kam das gigantische Wirrwarr an verschiedenen Gerüchen. Die trockene Erde, der Sand, Katzenkot in den Gassen. Es waren so viele und ich konnte sie alle wahrnehmen und herausfiltern. In solchen Momenten wünschte ich mir meine menschlichen, beschränkten Sinne zurück. Da war es dann nur noch undefinierbarer Gestank und furchtbares Getöse. Momentan war es eher eine Reizüberflutung.
Plötzlich packte jemand meinen Oberarm. Ich musste mich in Zaum halten, um die Person nicht reflexartig von mir zu schlagen.
„Junger Mann!“, begrüßte mich ein besonders enthusiastischer Verkäufer. „Sie sehen aus wie jemand, der etwas von guter Qualität und Kunst versteht.“ Er grinste mich an und entblößte ein paar relativ mitgenommene Zähne.
„Ah ja?“, fragte ich.
„Aber natürlich.“ Sein Akzent war weit stärker ausgeprägt als der der ägyptischen Vampire, aber er hatte ja auch keine Jahrhunderte gehabt, um an seiner Aussprache zu feilen.
„Schauen Sie hier, mein Herr. Feinste Webkunst“, fuhr er fort und strich mit seinen dunklen Hände über einen dunkelroten Teppich mit Stickereien. „Sie haben doch sicher ein wunderschönes Zimmer in ihrem Zuhause, wo sich dieser Teppich vorzüglich in das Gesamtbild einfügt.“
„Ähm... nein. Tut mir leid, aber ich habs wirklich eilig.“ Ich hob beschwichtigend die Hände und ließ ihn stehen.
„Wie Sie wünschen. Kommen Sie wieder, wenn Sie es sich anders überlegen, mein Herr!“, rief er mir noch hinterher.

Hier waren die Leute fast noch aufdringlicher, als sie es in Delhi gewesen waren. Ägypten war aber glücklicherweise unsere letzte Station, ehe wir nach Hause zurückkehren würden. Ich hoffte, dass Renesmee schon dort war und ich sie endlich wieder in meine Arme schließen konnte. Ich vermisste sie so sehr, dass es schon fast körperlich weh tat. Und das obwohl wir uns in Indien gar nicht so lange aufgehalten hatten. Denn obwohl die 175 Jahre alte Vampirin, die wir dort aufgesucht hatten, eine Nomadin gewesen war, war sie relativ einfach zu finden gewesen. Sie ernährte sich von Tierblut und die Menschen wussten um das Mädchen mit den goldenen Augen. Abhaya, wie sie sich nannte, hatte sich auch nicht lange überreden lassen, sich nach Irland zu begeben, während wir weiter nach Ägypten gezogen waren. Sie war für ihre vegetarische Ernährungsweise von ihrem Schöpfer verstoßen worden und hatte niemanden mehr in ihrer einstigen Heimat.
Wie Edward uns erzählt hatte, war dies aber nicht der einzige Grund gewesen. Abhaya besaß ein Talent, dass das Leben als Blutsauger äußerst beschwerlich machte: sie litt mit, wenn es jemandem schlecht ging. Es war fast ironisch, dass wir Mitleid mit ihr hatten, weil sie Mitleid mit anderen hatte. Unser Wunsch die Volturi zu besiegen, wurde binnen weniger Sekunden auch zu ihrem.

Die Sonne war bereits im Begriff unterzugehen und es war Zeit, meinen Ausflug zu beenden. Ich lief eilig weiter durch die Menschenmasse, vorbei an drei Dutzend weiteren Ständen, bis mir im Augenwinkel ein Gegenstand auffiel, der das Sonnenlicht besonders intensiv reflektierte. Es war nur ein kleiner Stand, eingequetscht zwischen einem der vielen Töpferstände zur Linken und einem für Obst und Gemüse auf der Rechten. Hinter dem kleinen Tisch saß eine vermummte Frau, als ich mich ihrem Ständchen näherte, konnte ich sehen, dass sie in etwa meinem optischen Alter entsprach. Ich nahm den Gegenstand, der mir aufgefallen war in die Hand. Es war ein schlichter, silberfarbener Ring in den oben in der Mitte ein einziger hellgelber Edelstein eingelassen war. Bei genauerem Betrachten, sah er aus, wie eine kleine Sonne.
„Was ist das für ein Stein?“, fragte ich die Frau.
„Ein Citrin“, antwortete sie akzentfrei. „Der Sonnenstein, der ewiges Leben verheißt.“
„Aha...“, murmelte ich und drehte den Ring leicht hin und her, damit sich das Licht an ihm brach.
„Aber ich denke, das ist bereits in deinem Besitz“, meinte die Frau anschließend und ließ mich aufhorchen.
„Wie bitte?“, fragte ich etwas verwundert.
Zur Antwort beugte sie sich etwas hervor, so dass ich ihre Augen besser sehen konnte. Sie hatten die Farbe von Bernstein. Die Tatsache, dass mir gegenüber unerwarteter Weise im sonnigen Kairo am helllichten Tag ein Vampir saß, ließ mich kurz stutzen.
Edward und Bella hatten sich um diese Tageszeit zurückgezogen, um nicht weiter aufzufallen, bis wir in den Abendstunden den ägyptischen Zirkel aufsuchen konnten. Und um vor Langeweile nicht einzugehen, hatte ich beschlossen, allein über den Basar zu schlendern. Die einheimischen Blutsauger schienen jedoch recht gut mit ihrem Klima klarzukommen. Obwohl sie komplett in schwarze Stoffe gehüllt war, konnte ich an ihren Augen sehen, dass sie unter ihren Tüchern lächelte.
„Benjamin hat mir von diesem Zirkel erzählt, der mit Gestaltwandlern zusammenlebt.“ Der Geräuschpegel um uns herum, erlaubte es uns, offen zu reden. Ringsherum interessierte sich niemand für unser Gespräch. „Mein Name ist Alexandria.“
„Interessant, wo du doch hier in Kairo lebst“, witzelte ich.
Sie lächelte weiter und verdrehte zu meiner Verwunderung nicht mal die Augen. „Und du bist?“
„Jacob“, antwortete ich. „Ich würde dir ja jetzt das Händchen schütteln, aber wir wollen ja nicht, dass du deinem Schmuck mit der Glitzerei die Show stiehlst.“
„Sehr rücksichtsvoll von dir“, antwortete sie gelassen, dann warf sie einen Blick zum Himmel.
„Die Sonne wird bald hinter den Häusern verschwinden. Wenn du möchtest, kannst du warten, bis ich meinen Stand abgebaut habe, dann können wir gemeinsam zu unserem Anwesen gehen.“
„Alles klar“, sagte ich und legte den Ring zurück zwischen die Anderen.
Wenige Minuten später begann Alexandria langsam ihre Schmuckstücke zusammenzupacken und dann machten wir uns gemeinsam auf, um meine Schwiegereltern abzuholen, die sich im Hotel niedergelassen hatten.


„Alexandria. Immer wieder für eine Überraschung gut“, begrüßte uns Amun, als wir ihren Palast betraten. Ich konnte deutlich den sarkastischen Unterton heraushören. Er hatte schon reiß aus genommen, als es um Renesmee gegangen war. Er ahnte wahrscheinlich, was wir wollten und hätte uns sicherlich am liebsten vor den Toren stehen gelassen. Dennoch umarmte er Edward scheinheilig und begann erst zu sprechen, nachdem er sich von ihm gelöst hatte.
„Mein Freund, es ist mir natürlich nicht entgangen, was deinem Zirkel in den letzten Monaten widerfahren ist. Wir bedauern euren Verlust zutiefst.“
„Danke“, antwortete Edward und lächelte ein äußerst aufgesetztes, kurzes Lächeln. Natürlich wusste er noch sicherer als ich, was als nächstes kam, schließlich konnte er in Amuns Gedanken lesen, wie in einem offenen Buch.
„Unseren Neuzugang habt ihr ja bereits kennengelernt. Wir sind froh, dass sie unseren Zirkel mit ihrer Anmut und ihrer freundlichen Art bereichert und sie fühlt sich bei uns sehr wohl. Es wäre bedauerlich, wenn sie ihre neue Familie direkt wieder verlieren würde, oder nicht?“
„Gewiss“, antwortete Edward und hob beschwichtigend die Hand. „Aber man muss ja nicht direkt davon ausgehen, dass wir verlieren.“
„Wir haben starke Verbündete“, fügte Bella hinzu.
„Natürlich“, antwortete Amun freundlich. „Ihr habt eure Wolfsfreunde, deinen Schutzschild und ein paar Andere nette Gaben. Dennoch, könnt ihr mir den Sieg garantieren?“
„N-“, begannen Edward und Bella wie aus einem Munde, wurden jedoch unterbrochen.
„Amun!“
Benjamin und Tia kamen aus einem der Seiteneingänge zu uns. „Du verlangst das Unmögliche.“
„Ich bin nur um die Sicherheit unserer Familie besorgt“, protestierte Amun.
„Mit den Cullens verbindet uns eine sehr tiefe Freundschaft. Ist dir ihre Sicherheit egal?“
„Es ist ihre eigene Entscheidung, die Volturi herauszufordern“, argumentierte Amun mit einem derart arroganten Unterton, dass ich mich gezwungen sah, nun auch etwas dazu zu sagen.
„Es war aber sicherlich nicht unsere Entscheidung, dass mein Sohn durch ihre Hand sterben musste!“
Amun war gerade in Begriff etwas zu sagen, doch Benjamin unterbrach ihn mit einer Handbewegung. „Genug.“ Er warf ihm noch einen durchdringenden Blick zu, dann deutete er uns an, ihm zu folgen. Offensichtlich war hier die Rangordnung seit dem letzten Mal geändert worden.
Edward, Bella, Tia, Benjamin und ich berieten uns in einem Raum, der ein paar Gehminuten von Amuns Bereich entfernt lag. Als wir ihn betraten ging ohne, dass jemand einen Schalter betätigte, plötzlich das Licht an. Zuerst dachte ich, es seien Sensoren gewesen, doch Benjamin klärte uns auf. „Ich habe meine Fähigkeiten in den letzten vier Jahrzehnten trainiert.“
„Sehr beeindruckend“, sagte Edward.
Wir nahmen in einer Sitzecke nahe eines Kamins Platz. Benjamin warf Tia, die neben ihm saß, einen Seitenblick zu, woraufhin diese lächelte. Mit einer kurzen Handbewegung schwebte plötzlich eine weiße, geschlossene Rose aus der Vase empor, die auf dem niedrigen Tischchen vor uns stand. Benjamin ließ die Blume in Bellas Richtung schweben. Es war keine Telekinese, sondern die Manipulation der Luft. Bellas zarte, weiße Finger legten sich um die Pflanze. „Dankeschön“, sagte sie.
Nun lächelte Benjamin Bella an und ich war mir ziemlich sicher, dass gleich etwas passieren würde. Der ägyptische Vampir hob seine zu einer Faust geballten Hand und hielt einen Augenblick inne, ehe er die Finger langsam öffnete. Synchron zu seiner Bewegung begann die Rose langsam zu blühen, bis sie ganz geöffnet war.
„Wow“, sagte Bella. Besser hätte ich es auch nicht sagen können, aber ich war gerade zu erstaunt, daher sagte ich nichts.
„Ich kann die Elemente bis zu einem gewissen Grad mit reiner Gedankenkraft steuern und habe darüber hinaus gelernt, sie in allen erdenklichen Formen zu beherrschen. Das erlaubt es mir, Metall zu kontrollieren, weil sich darin Erde befindet oder Pflanzen zu lenken, weil sie zu einem Großteil aus Wasser bestehen.“
„Was ebenso auch für andere Lebewesen gilt“, fügte Edward hinzu.
Benjamin wartete, ehe er antwortete: „Korrekt.“
„Moment“, warf ich ein. „Heißt das, du kannst auch Menschen lenken?“
„Es macht die Jagd überaus einfach“, sagte Benjamin.
„Okay, das ist natürlich cool!“
„Du findest es wahrscheinlich nicht mehr so toll, wenn er dich dazu bringt, nackt über den Basar zu springen“, stichelte Edward.
„Vielleicht ist es dir entgangen, aber ich bin es inzwischen gewohnt, in den unmöglichsten Situationen irgendwo nackt herumzustehen. Ich kann es mir leisten.“
„Hört auf!“, schrie Bella fast. „Wir haben wichtigeres zu tun!“
Es fühlte sich tatsächlich an, wie in alten Zeiten.
„Richtig“, sagte Edward und war mit einem Mal wieder ganz ernst. „Benjamin, ich weiß, dass wir viel von euch verlangen und würden es auch verstehen, wenn ihr ablehnt.“
Benjamin lächelte erneut. „Vor vierzig Jahren standen wir euch als Zeugen zur Seite gestanden. Aber schon damals wäre ich für Recht und Wahrheit in den Kampf gezogen. Dieses Mal ist es genauso.“
„Wir werden euch das nie vergessen“, sagte Bella.
„Ich bezweifle, dass irgendjemand den Tag vergessen wird, an dem wir die Volturi vom Thron stürzen“, antwortete der Ägypter.

Noch am selben Abend verabschiedeten sich Benjamin und Tia von ihrem Zirkel. Nur sie würden uns nach Irland begleiten. Wie erwartet, blieb Amun mit seiner Gefährtin und ihrem Neuzugang zurück.
Letztere verabschiedete sich im Gegensatz zu ihren beiden Zirkelkollegen sogar von mir. Als sie mir die Hand reichte, spürte ich, wie sie mir gleichzeitig etwas hinein legte. Erwartungsvoll warf ich einen Blick auf meine Handfläche. Es war der Ring mit dem Sonnenstein. „Vielleicht brauchst du ihn doch“, sagte sie.
Ich konnte meinen Blick kaum von dem Schmuckstück in meiner Hand abwenden. Renesmee hatte mich gern als ihre aufgehende Sonne bezeichnet, was wäre also passender als dieser Stein? Ich sah ihn als Symbol ihrer Liebe zu mir und würde ihn ihr auch als solches schenken, denn ich war mir sicher, dass der Ring nicht nötig war, um uns ewiges Leben zu sichern. Einen weiteren Verlust in unserer Familie würde ich sicher nicht zulassen. Mit oder ohne Citrin.


Das war Teil 4 des 13. Kapitels. Ich wünsche euch allen ein schönes Weihnachtsfest, da ich nicht denke, dass ich mit Teil 5 noch davor fertig werde. Ich bin mir natürlich bewusst, dass die Wartezeiten auf meine Kapitel recht lang sind und würde euch gern häufiger Updates geben. Leider kann ich jedoch als Hobbyautorin nur in meiner Freizeit schreiben und die ist knapp bemessen. Ich hoffe ihr verzeiht mir die Wartezeiten und bleibt trotzdem am Ball. Ich würde mich aber sehr freuen, wenn der eine oder andere die "Durststrecke" für einen ausführlicheren Kommentar nutzt. Das ist für mich vergleichbarmit einem Päckchen unter dem Weihnachtsbaum. :)
Ah und ein Foto des Rings mit dem Sonnenstein findet ihr am rechten Rand hier neben dem Kapitel. Den gibt es natürlich wirklich. ;)

Blood Moon - Biss in alle Ewigkeit (Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt