[Mariella] Blutmond (Teil 2)

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Mein kleiner Bruder drehte sich zu mir um, nahm mein Gesicht in seine Hände und gab mir einen sanften Kuss auf die Stirn und dann ging er. Und ich blieb allein zurück... nur noch das dumpfe Gefühl, ihn nie wieder zu sehen, blieb zurück.

Und genau jenes Gefühl war es auch, das mich dann dazu trieb, so schnell zu laufen wie noch nie zuvor. Zurück zu meiner Familie, in der Hoffnung, Hilfe zu bekommen. 

Glücklicherweise stand die Verandatür offen, als ich ankam, andernfalls wäre ich vielleicht sogar durch die geschlossene Glastür gebrettert. Als ich dann im Wohnzimmer stand, sah ich meine versammelte Familie vor mir und jedes einzelne vorhandene Augenpaar starrte mich an.
„Was ist los, Mariella?“, fragte Carlisle sanft wie eh und je.
„Ani“, begann ich und sein Name ließ alle noch aufmerksamer drein blicken. „Er will nach Volterra.“
„Was?“, fragte Alice ungläubig.
„Er sagte, er wolle Gleiches mit Gleichem vergelten“, gab ich die Worte meines Bruders wieder.

„Das hört sich nicht gut an“, sagte Bella leise.
„Nein“, stimmte Edward ihr zu. „Was könnte er vorhaben, Carlisle?“
Carlisle überlegte kurz, dann flüsterte er nur einen Namen: „Athenodora.“
„Was?“, zischte Edward.
„Sie ist wahrscheinlich das Einzige, das Caius etwas bedeutet. Die Frage ist nur, ob Anthony sich dessen bewusst ist.“

„Er hat sie und Athenodora kennengelernt. Ich habe die Erinnerung in seinen Gedanken gehört.“
„Dann wird sie wahrscheinlich sein Ziel sein.“
„Wie? Was?“ Plötzlich schaltete sich Dad ins Gespräch ein. „Wovon redet ihr? Wer ist das?“
„Athenodora ist Caius Gefährtin“, klärte Bella ihn auf. „Carlisle vermutet, dass Ani sie angreifen will.“
„Wenn er, wie Mariella erzählte, wirklich davon sprach, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, dann nehme ich stark an, dass er Caius denselben Schmerz zufügen möchte, den Caius uns zufügte, in dem er Will tötete. Und das geht nur über seine Partnerin.“

„Das ist Wahnsinn!“, sagte Rosalie.
„Das ist dumm!“, meinte Daddy.
„Das sind deine Gene“, kommentierte Edward sarkastisch und die umliegenden Augenpaare fuhren in seine Richtung, während Dad ihn düster an funkelte.
„Immer mit dem Kopf durch die Wand“, sagte Bella.
Und plötzlich drängelte meine Mum sich in die Mitte. „Was stehen wir hier noch rum?!“, schrie sie uns fast an. „Wir müssen ihn aufhalten!“
Ihr Blick wanderte von einem zum nächsten und blieb dann an Dads Gesicht haften.
„Du...“, sagte sie und ging nun langsam auf ihn zu, während die anderen Platz machten. „Wenn ich in Gefahr gewesen wäre und du davon erfahren hättest, wärst du der Erste, der sich verwandelt und durch das geschlossene Fenster gesprungen wäre.“
„Nessie“, flüsterte Dad sanft und sah zu ihr hinab, wie sie da mit rotem verweintem Gesicht vor ihm stand.
„Du hast mal zu mir gesagt... die Prägung würde unsere Kinder einschließen und dass du ihnen deswegen nichts tun könntest.“
Dad nickte, doch ich konnte in seinem Blick sehen, dass er Angst vor dem hatte, was nun kommen würde.

„Du tust aber auch nichts, um sie zu beschützen. Erinnerst du dich an den Tag, an dem unsere Kinder geboren wurden? Ich wäre für sie gestorben. Ich wäre fast nicht in der Lage gewesen, Ani auf die Welt zu helfen. Und ich habe dich darum gebeten, das für mich zu tun. Und du hast mir damals gesagt, dass ich dich nicht darum bitten solle, mich umzubringen. Du hattest starke Zweifel daran, ob du es schaffen würdest, ihm ins Leben zu helfen. Aber letzten Endes, haben wir beide überlebt. Unser Kind und ich. Wir hatten das Glück ein unsterbliches Leben im Kreise einer sorgenden Familie zu haben, zusammen mit drei wundervollen Kindern. Und jetzt ist eines davon tot und ein weiteres rennt dem Tod wahrscheinlich jetzt im Augenblick in die Arme.“
„Was redest du denn da?“, fragte Dad ungläubig. „Ich liebe meine Kinder!“
„Warum zeigst du es dann nicht? Alles... alles, was er je wollte, war etwas Anerkennung... und Liebe... von dir.“ Ihre Stimme war kurz davor zu versagen. „Was ist daran denn zuviel verlangt?“
„Nessie...“, flüsterte er.
„Weißt du...“, setzte sie wieder an. „Ich hab ihm so oft im Vertrauen gesagt, dass du ihn so sehr liebst und dass du es ihm irgendwann zeigen wirst. Aber dieses Irgendwann kam nie.“
Dad sagte nichts mehr. So wie er den Blick senkte, versanken wir in einer unangenehmen Stille. Ich nahm Seths Hand und drückte sie, dann ging ich vor die Tür und mein Liebster folgte mir auf dem Fuß.
„Ich kann dich wohl nicht davon abbringen, ihm zu folgen?“
Ich schüttelte den Kopf, ohne mich umzudrehen.
„Na dann...“, seufzte er und dann hörte ich ein reißendes Geräusch. Das Nächste, was ich spürte, war Seths feuchte Wolfsnase, die mich sanft anstupste. Er kauerte sich leicht auf den Boden, so dass ich aufsteigen konnte und dann sprintete er mit einem gewaltigen Satz nach vorn. Wir fegten durch die Wälder und Wiesen Irlands. Mir war es inzwischen ganz gleich, ob unsere Familie es uns gleich tat. Je mehr Zeit wir durch bloße Worte verstreichen ließen, umso geringer wurde unsere Chance, meinen Bruder lebend aus Volterra zu holen. Und ich wollte diese Chance auf keinen Fall verstreichen lassen.
Seth trug mich auf seinem Rücken in Windeseile so nah wie möglich an den Flughafen heran. Ich wartete nicht mal, bis er sich zurückverwandelt und bekleidet hatte. Ich rannte ohne ihn weiter, bis meine Schuhe über die glatten Fliesen in der Halle des Flughafens rutschten und ich vor dem nächsten freien Schalter zum Stehen kam.
„Guten Abend, was kann ich für Sie tun?“, fragte die Frau hinter dem Schalter, die eine dunkelblaue Uniform trug und ihre Haare fein säuberlich hochgesteckt hatte.
Plötzlich spürte ich Seths Hand mit ihrer, für mich angenehmen Temperatur.
„Wann geht der nächste Flieger nach Pisa?“, sagte ich und schob ihr meinen gefälschten Pass zu. Auf diesem war ich gerade einmal 21.
„Einen Augenblick, bitte“.
Als die Dame sich umdrehte, drückte Seth meine Hand und sah mich eindringlich an.
„Wollen wir nicht auf die anderen warten? Die fliegen sicher mit dem Privatflieger.“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, das dauert mir zu lange. Jede Sekunde, die wir warten, ist eine Sekunde zu viel. Mir ist es egal, wie wir nach Volterra kommen. Ich würde auch zwischen den Gepäckstücken sitzen!“
„Oh nein, das müssen Sie bei uns nicht, Miss Cullen. Wir hätten da noch zwei Plätze. First Class, allerdings nicht direkt nebeneinander.
„Das ist uns egal. Wann startet die Maschine?“, fragte ich nervös und legte die Hände auf den Schalter.
„Ihr Flug geht in einer Viertelstunde. Ich muss Sie daher bitten, sofort einzuchecken.“
„Das müssen Sie mir nicht zweimal sagen“, antwortete ich.
„Das ist schön“, sagte sie weiterhin freundlich. Ihre ruhige Art mochte sonst toll sein, aber in diesem Moment, machte sie mich damit wahnsinnig. „Haben Sie Gepäck?“
„Nein“, sagte Seth.
„Können wir dann?“, fragte ich ungeduldig.
Sie nickte und druckte die Tickets aus. Am liebsten hätte ich das Gerät direkt gepackt und die Tickets einfach raus gezogen, damit es schneller ging. Bis wir das Papier in der Hand hatten und ich in meinem ledernen Sitz im Flugzeug saß, war ich bereits tausend Tode gestorben. Zumindest fühlte ich mich so. Denn während wir hier Zeit vertrödelten, konnte mein Bruder direkt Richtung Italien fliegen. Er brauchte dazu keine Hilfe und ich wusste aus Erfahrung um seine enorme Geschwindigkeit und seine Ausdauer. Besonders jetzt, da er ein so deutliches Ziel vor Augen hatte.

Blood Moon - Biss in alle Ewigkeit (Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt