[Jacob] Warten auf ein Wunder

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„Wir haben alle unsere Zeitmaschinen. Unsere Erinnerungen lassen uns in die Vergangenheit reisen und in die Zukunft entführen uns die Träume.“
Das war ein Zitat, das ich mal in einem Film gehört hatte. Aber welcher Traum sollte das sein? Die Albträume, die mich plagten, wann immer ich es doch mal schaffte zu schlafen oder die Wunschträume, die mit jedem Tag mehr und mehr verblassten, während die Verzweiflung stieg. Und das nicht nur bei mir. Sondern bei allen.

Seth hatte das Kinn auf die Tischplatte gelegt und starrte seine Tasse an, während er sie im Kreis drehte. Der Kaffee darin, schwappte hin und her und würde sicher bald über den Rand laufen.
„Möchtest du auch einen Kaffee, Jake?“, fragte Bella, während sie das verbrauchte Kaffee-Pad im Müll entsorgte.
„Ja, danke“, antwortete ich, ohne den Blick von Seths drehender Kaffeetasse abzuwenden. Im Hintergrund hörte ich, wie Bella die Dose mit den Pads öffnete, eines davon in die Maschine legte, die Abdeckung schloss und anschließend auf den Startknopf drückte. Dann verstaute sie die Dose wieder im Schrank und wand sich an Seth.
„Gehst du nachher mit Mariella jagen?“
„Wohl kaum“, antwortete er müde und seufzte. Normalerweise verabscheute meine Tochter menschliche Nahrung und zog es vor, Tiere zu jagen, doch es war zu einem Ding der Unmöglichkeit geworden, Mariella und Nessie aus Carlisles Arbeitszimmer wegzubekommen. Sie waren nun beide auf menschliche Kost umgestiegen und aßen ohne zu murren alles, was man ihnen vorsetzte. Und wenn es noch so eklig schmeckte. Sie schienen nicht mal richtig Notiz von dem zu nehmen, was auf ihrem Teller lag. Hauptsache sie verhungerten nicht völlig, während sie Anis Herzmonitor anstarrten und dem immer gleichen monotonen Piepgeräusch lauschten.
„Okay“, sagte Bella. „Dann werd ich nachher für die zwei was kochen.“
„Brauchst du nicht. Kann ich machen“, meinte Seth. Früher hätte er sich als einstiger Koch gefreut, wenn Mariella seine Kreationen gegessen hätte, heute sah ich ihn nur noch bedrückt in seinem Topf rum rühren.
Im ganzen Haus war eine solche Stimmung permanent spürbar. Es war zudem ungewohnt still und regelrecht unheimlich. Da Emmett und Rose noch immer unterwegs waren, blieb auch das Geräusch des laufenden Fernsehers aus.
„Haben Alice und Jasper eigentlich inzwischen die Vampire gefunden, die sie suchen sollten?“, fragte Seth, als ob er meine Gedanken gelesen hätte.
Bella schüttelte den Kopf. Da Alice Gabe die einzige unserer Fähigkeiten war, die einigermaßen nützlich war, wenn es darum ging, Personen ausfindig zu machen, deren Aufenthaltsort man nicht kannte, hatte Carlisle sie losgeschickt, um die Nomaden zu finden. Von allen Vampiren, die Carlisle kannte, waren die Nomaden wohl mit Abstand am meisten herumgekommen und die Chance, dass sie etwas über ein mögliches Gegengift wussten, war entsprechend hoch.
Doch Seths Mittagessen stand gerade noch auf dem Herd und 'zog nach' – wie er es nannte –, da stand eine andere Gruppe Vampire in unserem Wohnzimmer und unterhielt sich angeregt mit Carlisle, Edward und Bella. Sie waren mir alles andere als unbekannt, schließlich waren sie auch gekommen, als es darum gegangen war, Renesmee zu schützen.
„Schön, dass ihr so schnell kommen konntet“, sagte Carlisle gerade, als ich das Wohnzimmer betrat. 'Schnell', wiederholte ich in Gedanken. Von Vampirspeed hatte ich mir in diesen Tagen eigentlich mehr erhofft, als sieben Tage zu warten.
„Wir sind auch sehr froh darüber, euch wiederzusehen“, sagte eine Vampirin mit dunkelbraunem Haar.
„Leider sind die Umstände unseres Wiedersehens nicht sonderlich erfreulich“, fügte einer der zwei männliche Vampire in der Gruppe hinzu.
Carlisle nickte und lächelte dabei sanft, dann wand er seinen Blick plötzlich zu mir. „Jacob“, sagte er und deutete mir mit der Hand an, dass ich zu ihm herüberkommen sollte. „Das sind die Denalis. Vielleicht erinnerst du dich noch an sie.“
Ich nickte. Nur die Namen waren mir selbstverständlich nach vierzig Jahren entfallen, doch Carlisle half mir auf die Sprünge. „Das sind Tanya, ihre Schwester Kate und deren Gefährte Garrett.“ Das Pärchen und deren offensichtliche Anführerin mit rotblondem Haar, lächelte mich an. „Und das hier sind Eleazar und Carmen.“ Auch die übrigen zwei lächelten ruhig. Sie alle hatten bernsteinfarbene Augen, was es für mich leichter machte, ihnen ihr Lächeln abzunehmen.
„Es tut mir sehr Leid, was mit deinen Kindern passiert ist“, sagte Eleazar.
„Wir haben unsere Mutter und unsere Schwester ebenfalls durch die Hand der Volturi sterben sehen und kennen den Schmerz, den du gerade durchleben musst“, fügte Tanya hinzu.
Ich antwortete nichts und beließ es bei einem Nicken, damit sie wussten, dass ihre Beileidsbekundungen bei mir ankam.
„Ist es in Ordnung für dich, wenn ich Eleazar und Carmen zu Anthony lasse?“, fragte Carlisle umsichtig. Ich empfand die Frage zwar als durchaus korrekt, aber auch überflüssig. Sie waren extra deswegen hergekommen und eventuell dazu in der Lage uns zu helfen, warum sollte ich sie also nicht lassen? Ich nickte erneut und begleitete die Vampire nach oben. Als wir die Tür zu Carlisles Arbeitszimmer öffneten, stand Nessie schlagartig von ihrem Stuhl auf und starrte uns an. Es bestand kein Zweifel daran, dass wir sie gerade aus ihrer Trance gerissen hatten. Ihre Augen glänzten und vereinzelte Tränen kullerten über ihre Wange.
„Nessie, das sind Freunde von Carlisle“, klärte ich meine Frau auf. Nessie sah die beiden noch immer etwas nervös an und schien über den plötzlichen Besuch erschrocken. Sie versuchte, ihre Tränen rasch mit dem Handrücken wegzuwischen.
„Du bist groß geworden, bebé linda“, sagte Carmen und trat näher an Renesmee heran. Mariella stellte sich neben ihre Mutter und nahm deren Hand. „Hallo“, sagte sie, ebenfalls etwas reserviert. Der Besuch schien den beiden zu missfallen. Sie wussten wahrscheinlich, dass die Vampire nur helfen wollten, doch das Leben, dass durch den höheren Geräuschpegel und die um herlaufenden Personen in den Raum eingekehrt war, war für sie ungewohnt.
Eleazar stellte sich neben Ani und musterte ihn. Im Augenwinkel sah ich, wie Renesmee ihn mit Argwohn beobachtete. „Eine interessante Variation der Gabe seiner Großmutter“, meinte der Vampir mit dem dunkelbraunen Haar.
„Was?“, fragte Nessie.
„Eleazar besitzt die Fähigkeit Talente zu erkennen“, klärte Edward sie auf.
„Ach so“, antwortete Nessie.
Eleazar schenkte ihr ein zartes Lächeln, doch in Nessies Gesicht konnte ich keine Veränderung wahrnehmen. Sie sah ihn mit einer Mischung aus Trauer, Misstrauen und vielleicht auch Wut an. „Seine Gabe konnte ihm gegen Caius aber auch nicht helfen“, sagte sie verbittert. Ich hatte den Drang, sofort zu ihr zu gehen und sie in meine Arme zu schließen, doch ich spürte, dass ihr Körperkontakt gerade nicht sonderlich wohl war.
Eleazar nickte gedankenverloren. „Das ist bedauerlich aber wahr. Seine Gabe ist, wie die meisten unserer Talente, nur eine Illusion. Ein Trugbild.“
„Eleazar“, riss Carlisle die beiden aus ihrem Gespräch. Eleazar wand sich Carlisle zu und sah ihn fragend an. „In all den Jahren deines Lebens, ist dir irgendwann mal zu Ohren gekommen, ob jemand versucht hat, ein Gegenmittel für das Vampirgift zu finden?“
Alle Personen im Raum beobachteten gespannt Eleazars Reaktion. Teilweise konnte ich leichte Hoffnungsschimmer erkennen – die aber jäh zerschlagen wurden. Eleazar schüttelte den Kopf.
„Nein, niemand“, sagte er.
„Und in deiner Zeit bei den Volturi“, fragte nun Edward. „Da konntest du dir doch sicher als Leibwache ein gutes Bild von Aro machen. Meinst du, er hätte vielleicht Interesse daran gehabt, ein solches Mittel zu entwickeln?“
Wieder schüttelte er den Kopf. „Nein, es tut mir leid, aber das bezweifle ich stark. Aro ist nur daran interessiert, starke Talente für seinen Zirkel zu gewinnen. Nicht aber Verwandlungen zu stoppen oder rückgängig zu machen.“
Nessie setzte sich wieder auf ihren Stuhl, vergrub ihr Gesicht in Anis Bettdecke und begann zu schluchzen. Ich hielt es nicht aus, mich von ihr fernzuhalten, kniete mich neben sie und strich ihr über den Rücken.
„Es tut mir wirklich sehr leid“, betonte Eleazar erneut.
„Das muss es nicht“, erklärte Carlisle. „Ihr seid den weiten Weg zu uns gekommen, um uns zu helfen. Das bedeutet uns sehr viel.“

Carlisle und Edward begleiteten die Vampire nach unten. Ich blieb oben bei Nessie und versuchte weiter sie zu beruhigen. Plötzlich spürte ich Mariellas warme Hand auf meiner Schulter. „Du solltest auch mit runtergehen und sie verabschieden. Ich kümmere mich um Mommy.“ Meine Tochter lächelte mich freundlich an. Vielleicht hatte sie recht.
Unten im Wohnzimmer war die Verabschiedung bereits in vollem Gange.
„Bitte informiert uns, sobald es etwas Neues gibt“, bat Tanya.
„Wir werden uns melden“, versprach Edward.
Plötzlich ging die Tür auf und Esme kam mit einem Brief in der Hand herein. Schlagartig starrten alle sie an. Auch ich fixierte mit einem Mal das Papier. Ich hatte keine Zweifel, was den Absender anging. Diesen Geruch verband ich mit Tod. Die Volturi.
„Der war im Briefkasten“, sagte sie nur und überreichte Carlisle das Schriftstück. Er öffnete es sorgfältig. Das Papier war sehr dick und hochwertig, ganz so, wie man es von der falschen, mörderischen Vampirsippe gewöhnt war.
„Darf ich?“, fragte ich ungeduldig und griff nach dem Brief. Carlisle ließ ihn los.
Die Zeilen, die der Blutsauger verfasst hatte, waren mit schwarzen dicken Lettern geschrieben worden:

Blood Moon - Biss in alle Ewigkeit (Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt