4(I): Atemloser Aufbruch

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„Ich helfe euch unter einer weiteren Bedingung", sagte der Pirat verschmitzt und ließ sich in seinen Fesseln baumeln.

Das Rasseln des Metalls hallte nahezu durch den gesamten Kerker, sodass ich dem Geräusch fast zusehen konnte, wie es den Weg entlanghuschte, den wir zuvor gekommen waren. Wie ein schnelles Tier, das auf in der Dunkelheit jagte. Ein Schauer rann meinen Rücken hinab und ich musste mich schütteln. Ekel stieg in mir auf, denn die Gerüche in den Zellen waren alles andere als angenehm, obgleich ich mich nie für zimperlich gehalten hatte.

Mein Herz schlug schneller in meiner Brust, die noch immer eingeschnürt war. Das Atmen fiel mir schwer, aber ich musste stark bleiben und die schlechten Gedanken, die sich um den Verbleib meines Vaters und des Landes drehten, vertreiben. Nicht jetzt, befahl ich mir. Keine Zweifel hegen und nach vorne blicken. Anders ging es momentan nicht, egal wie schlecht es aussah.

„Keine weiteren Gefallen oder Versprechen", konterte Zuma rasch, der mir den Rücken zugewandt hatte und dennoch vermuten musste, dass Unsicherheit mich plagte. „Die Freiheit, ein Schiff und deine Mannschaft sollten mehr als genug sein, um uns aus dem Land zu schaffen. Jetzt gierig zu werden, wird dir nicht gut tun, Roan."

„Egal wie oft Ihr meinen Namen sagt, es schüchtert mich nicht ein. Egal wie viel mehr Ihr von mir zu wissen glaubt, es macht mir rein gar nichts aus. Das haben schon andere versucht. Was mich allerdings stört, ist Euer kleiner Begleiter", entgegnete er und reckte den Kopf, als würde er mein verhülltes Gesicht dadurch besser sehen können. Konnte er jedoch seinem missmutigen Stöhnen zufolge nicht und ich atmete leise aus. „Als Adliger sollte er doch Kontakte zu den Amante pflegen, oder? Ich denke sogar, er hat recht viel Einfluss. Immerhin ist sein Wächter drauf und dran alles für sein Überleben zu riskieren."

„Und was sollte dir das bringen?", erkundigte ebendieser Wächter genervt und drängte mich zurück, obwohl ich keineswegs in Gefahr war.

„Er soll Orazio eine Nachricht überbringen."

Eine Nachricht an meinen Vater? Was wollte dieser Mann damit bezwecken und wieso sprach er von Orazio Amante, als würde er ihn kennen? Ich war verunsichert und konnte meinem Körper nicht verbieten, dieses Gefühl in meiner Haltung widerzuspiegeln. Zuma fiel es als Erstes auf, doch anscheinend bemerkte es auch der Pirat. Dieser neigte den Kopf und ergriff erneut das Wort: „Oder seid Ihr kein Adelssohn, sondern erlaubt Euch einen schlechten Scherz mit mir? Ich könnte es Euch nicht einmal übel nehmen, nach alle dem, was mir die Soldaten angetan haben."

Ich wollte gerade ansetzten, um zu sprechen, da schoss Zumas Hand vor mein Gesicht. Verschreckt sprang ich zurück und knallte gegen die gegenüberliegenden Gitter. Während ich versuchte, meinen Herzschlag zu normalisieren, fixierte mein Wächter weiterhin diesen Roan.

„Er gehört dem Adel an, allerdings bin ich mir sicher, dass es in seiner momentanen Lage alles andere als ratsam wäre, sich der Familie Amante zu nähern. Oder hast du vergessen, wieso er fliehen muss", erklärte Zuma genervt und spielte an seinem Kurzschwert.

„Vergessen nicht, aber er könnte Orazio dennoch eine Nachricht überbringen. Nicht persönlich, selbstredend", stocherte Roan weiter. „Ein Zettel mit zwei Worten darauf würde mir schon reichen."

Zögerlich drängte ich mich an meinem Beschützer vorbei zur Zelle und nickte dem Mann auf der anderen Seite kaum merklich zu. Zuma kratzte sich stöhnend am Hals, zückte jedoch einen vergilbten Zettel und einen Kohlestift. Beides reichte er mir, woraufhin ich weiter darauf bedacht war, unter meinem Mantel und der Kapuze verborgen zu bleiben. Bevor er den anderen Mann auffordern konnte zu sprechen, begann dieser schon.

„Schreib Vertrag und Verrat, das sollte Orazio verstehen", sagte der Pirat kurz angebunden, obwohl er zuvor recht gern und viel geredet hatte.

Bereitwillig schrieb ich beide Worte nieder und versuchte mich aus diesen eine Antwort zu basteln. Was für ein Vertrag und mit wem? Etwa zwischen meinem Vater und diesem Piraten? Wieso sollte er dann hinter Gittern sitzen? Vielleicht wegen eines Verrates, aber wer hatte wen und wofür verraten? Und würde Vater erkennen, von wem diese mehr als kurze Nachricht stammte? Wenn ich Roan glauben durfte, dann ja, aber sicher war ich mir keineswegs. Fragen konnte ich weder ihn, noch meinen Vater. Jedenfalls nicht zu diesem Zeitpunkt und ehrlich gesagt verspürte ich auch nicht den Wunsch, länger als nötig bei Roan zu bleiben.

Mein Kopf rauchte geradezu. Mit zittrigen und von der Kälte der Nacht geröteten Fingern übergab ich Zuma die Nachricht. Er würde sie weitergeben, an einen der hier stationierten Soldaten und ich überlegte noch, meinem Vater ein paar Worte zu schreiben. Doch das war zu riskant. Allein die Nachricht des Piraten könnte auf mich aufmerksam machen. Wobei, vielleicht wäre es vorteilhaft, wenn Luporas Männer oder Xylon dachten, ich sei von dem Piraten mitgenommen worden. Immerhin wäre Vater dann nicht länger verdächtig, er habe mir bei der Flucht geholfen und Ameeris somit aus der Schusslinie jeglicher Aggression unserer Feinde. Ich schluckte trocken, denn zuvor musste ich niemanden aus den angrenzenden Ländern meinen Feind nennen, aber nun schien es mir ein Leichtes dieses Wort zumindest in Gedanken auszusprechen.

„Na schön, dann wollen wir dich mal befreien." Der Mann in Schwarz seufzte, schob mich beiseite und öffnete die Zellentür mit einem der Schlüssel, die er Roan zuvor demonstrativ gezeigt hatte. Allerdings fehlten uns die Schlüssel für die Fesseln, also stach Zuma eine dünne Nadel in eines dieser Schlüssellöcher.

„Ihr habt keinen Schlüssel?", erkundigte sich der Gefangene belustigt. „Also seid ihr zwei an den Soldaten vor der Tür problemlos vorbeigekommen, habt aber nicht alle Schlüssel mitgehen lassen? Die Fesseln an meinen Handgelenken." Er rasselte damit und sprach dann weiter. „Und an meinen Fußgelenken sind alles andere als einfach zu knacken."

„Sicher sind sie das, aber kümmere du dich lieber um einen sicheren Weg von der Küste aufs offene Meer und überlass das hier mir", knurrte Zuma, der allmählich die Geduld verlor.

Ich wusste nur zu gut, dass er nervlich nicht sonderlich belastbar war und wenn ihm dann noch jemand aufgesetzt gute Ratschläge gibt, pulsierte eine Ader an seinem Hals immer sehr verdächtig. Diese Ader konnte ich zwar momentan aufgrund seiner Kleidung nicht sehen, aber ich spürte seinen auflodernden Zorn. Wie ein leises Knistern, das von ihm ausging oder waren es doch meine eigenen Nerven, die durchbrannten?

Mit einem Knacken, das in dem Gang zu den anderen Zellen nachhallte, öffnete sich die erste von Roans Fesseln. Wie ein Schatten huschte Zuma in der kleinen Zelle umher und kniete sich auf seine andere Seite. Die Fesseln schienen tatsächlich besser gesichert zu sein, jedenfalls kämpfte mein Begleiter eine Weile mit den Schlössern. Dass es vier an der Zahl waren, machte das Ganze nicht sonderlich einfacher, aber schließlich war der Pirat befreit. Er steckte sich ausgiebig, schüttelte die müden Glieder und streckte sich. Dann, urplötzlich stürmte er aus der Zelle heraus auf mich zu. Seine Hand tauchte vor meinem Gesicht auf, die Zeit stand für einen Moment still und ich wagte es nicht zu atmen. Dafür hörte ich Zuma umso besser brüllen, rutschte auf den schmierigen Pflastersteinen aus und stürzte rückwärts. 

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