„Die Geister des Waldes?", wiederholte ich Fraud, der neben mir nahe des kleinen Baches stand. Ich sah zu Boden und dann zurück zum Wasser, das plötzlich wieder glasklar und ohne diese merkwürdigen Wesen an uns vorbei floss. „Du kannst sie auch sehen?"
„Nein", lachte er leise und schob mich zurück in die Reihe, in der die anderen liefen. „Leider nicht. Aber du kannst sie immer noch sehen, richtig?"
„Was sind sie?", entgegnete ich nickend. „Sind sie gefährlich? Ich meine ... ist es gefährlich, dass ich sie sehen kann? Bin ich krank?"
„Ich denke nicht", seine Hand lang noch immer auf meinem Rücken und schob mich den ausgetretenen Weg entlang. Einige der Sträucher und Farne hatten die anderen, die vor uns liefen, bereits umgeknickt. „Es ist eine Gabe, wilde Mysta sehen zu können."
„Mysta?", hakte ich nach und mein Herz machte einen Satz.
„So nennen wir sie. So wurden sie schon immer genannt, aber viele haben sie vergessen und das ist auch gut so."
„Warum?"
„Weil", er lief nun neben mir und lächelte sanft. „Weil sie Kräfte besitzen, die wir weder kennen, noch kontrollieren sollten."
Ich schaute über meine Schulter, konnte den kleinen Bach nur noch leise hören. Die kleinen Wesen, die auf dem Wasser schweben konnten, sollten Kräfte besitzen, die einem Menschen zu Macht verhelfen könnten? Oder eben nicht, denn so wie Fraud aussah und über diese Mysta sprach, würden sie uns wohl eher schaden.
„Nun ja", sagte er und schaute hoch ins dichte Blätterdach über uns, das nur vereinzelt Sonnenstrahlen durchließ. „Es soll auch Menschen geben, die einen Pakt mit den Mysta geschlossen haben."
„Einen Pakt?"
„Ja. Wenn sich der Blick einer Mysta und der eines Menschen treffen, ist es diesem heiligen Wesen überlassen zu entscheiden. Möchte es den Menschen töten, ergreift sie Besitz von ihm und schickt ihn in den Tod. Sieht sie mehr in dem Menschen, kann die Mysta einen Pakt mit ihm schließen. Der Mensch kann einen Teil der Kräfte nutzen. Je nach dem, wie viel die Mysta ihm erlaubt."
„Und die Mysta? Was haben sie davon?"
„Einen sicheren Wirt", erklärte er weiter. „Mysta, sofern sie denn noch existieren, sind beinahe ausgerottet. Vielleicht haben die Menschen sie deshalb vergessen oder wir sollten sie vergessen. So oder so gibt es sie offiziell gar nicht. Ich kenne niemanden, der jemals einen solchen Pakt geschlossen hat."
„Aber wieso kann ich sie dann sehen?", hörte ich mich fragen, ohne es aussprechen zu wollen.
„Vermutlich sehen sie in dir jemanden, dem sie vertrauen können?", erwiderte er in einem unsicheren Tonfall. „Oder sie spielen mit dir."
Oder ich war doch verrückt, ergänzte ich ihn in Gedanken. Mir lief ein eiskalter Schauer den Rücken hinab und ich wunderte mich, dass ich Fraud mein Geheimnis anvertraute. Immerhin war er für mich ein Fremder, obgleich er mich kannte und scheinbar von meiner Gabe wusste.
Fraud führte mich weiter durch den Wald und es dauerte nicht lange, da hatten wir den Bach mit den Mysta hinter uns gelassen und zur Gruppe aufgeschlossen. Ich reckte meinen Kopf, um Roan zu erspähen, allerdings vergebens. Er musste irgendwo an der Spitze laufen, wahrscheinlich gut bewacht. Mir trauten diese Leute nur dank Fraud, der mir dicht auf den Fersen blieb.
Als sich der Wald allmählich lichtete, fielen mir sogleich die bunten Blumen auf, welche die Erde sprenkelten und bis weit in die Baumwipfel wucherten. Es musste wohl eine Sorte sein, die sich überall wohl fühlte, egal ob am dämmrigen Boden oder zwischen den Blättern eines Baumes. Die Blumen verströmten einen süßlichen Duft. In der Wärme des Tages wirkte es, als würde man in einer Bäckerei zwischen kleinen Küchlein stehen und dürfte jeden Moment in eines hineinbeißen.
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Seabound
FantasíaCalea Amante ist eine junge, starke Frau und stammt aus gutem Hause. Nicht nur das, sie ist eine Prinzessin, auch wenn ihr dieser Titel gar nicht zusagt. Was für die einen ein Segen ist, wird für sie sehr bald zum Fluch. Denn als ihr Widersacher aus...