12(II): Voll Zorn und Eifer

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Es dauerte einen Augenblick, bis ich verstand, was eben geschehen war. Etwas hatte den schweren, hängenden Käfig vom Ast und ins Wasser des Sees gerissen. Etwas? Ich sah mich hektisch um, erkannte den unversehrten Ast und die fehlenden Ketten. Als ich zurück auf die kräuselnde Wasseroberfläche blickte, tanzten dort nur noch drei Mysta. Die anderen waren ebenfalls verschwunden. Hatten sie den Käfig versenkt?

Diese Frage durfte meine Gedanken nicht einnehmen, ich musste handeln. Xylon konnte sich nicht allein befreien. Ich rief um Hilfe und bevor ich es selbst bemerkte, machte ich einen Satz nach vorn. Das kalte Nass reichte mir bis an den Bauchnabel, ließ mich nur noch nach Luft schnappen und trotzdem watete ich tiefer in den See hinein. In Richtung der immer schwächer werdenden, kreisförmigen Wellen.

Ich schwamm nur wenige Meter, dann tauchte ich ab. Dunkelheit ummantelte mich und mit ihr betäubte mich die Kälte des Wassers. Ich sank tiefer, beinahe von allein, als wären Gewichte an meine Arme und Beine befestigt worden. Rudernd und tretend versuchte ich, mir meinen Weg zum Käfig zu bahnen, obwohl ich nur wenige Konturen in dem aufgewühlten und trüben Wasser ausmachen konnte. Eine unsichtbare Macht zog mich immer zu an die Oberfläche, als wollte sie nicht, dass ich dem ertrinkenden Xylon half. Aber würde ich damit leben können? Jemandem die Hilfe versagen, nur weil mir die Kraft fehlte.

Etwas Schwarzes schoss an meinem Gesicht vorbei, nur wenige Millimeter von meinem Auge entfernt. Ich stieß vor Schreck Luft aus und konnte auf einmal gar nichts mehr sehen. Doch ich sank endlich hinab, ohne den andauernden Auftrieb nach oben. Etwas berührte mich an Armen und Beinen, aber ich wusste nicht was oder wer. Es fühlte sich weder kalt, noch warm an. Es war einfach nur da. Und dann spürte ich das starre Metall in meiner Hand.

Sofort strampelte ich und versuchte, den schweren Käfig zu bewegen. Erfolglos. Also suchte ich in dem trüben Wasser nach der Käfigtür, um diese zu öffnen. Ebenfalls erfolglos, denn ich obgleich ich sie ertastete, konnte ich sie nicht öffnen. Verzweifelt schwamm ich wieder nach oben, tauchte auf und nahm einen tiefen Atemzug, um sogleich erneut abzutauchen. Dieses Mal zog mich weder etwas nach unten, noch nach oben. Ich bestimmte, wohin ich schwamm, aber das löste mein Problem nicht wirklich. Den Käfig bekam ich nicht an die Oberfläche und das Schloss nicht auf. Xylon würde ertrinken. In den nächsten Sekunden.

Die Mysta, die den Käfig versenkt hatten, tummelten sich nun im Wasser. Wahrscheinlich wollten sie mitansehen, wie ihr Opfer sein Zeitliches segnete, allerdings kämpfte ich weiter. Meine Hände schmerzten und das kalte Wasser lähmte mich, ließ meine Lugen zusammenschrumpfen und schmerzen. Xylon schien derweilen das Bewusstsein zu verlieren. In dem Moment, in dem er auf den Boden seines Gefängnisses sank, erschien abermals etwas Schwarzes in meinem Augenwinkel.

Ich zuckte zusammen, als hätte mich jemand mit einer Nadel gestochen und spürte, wie sich etwas über mich legte. Wie ein Mantel bedeckte es meine Haut, strich darüber und führte meine Hände zum Käfig. Weitere schwarze Gestalten tauchten auf, schlangen sich um den Käfig und meinen Körper. Was geschah hier? Waren das auch Mysta, oder holte uns soeben der Tod? Ich hatte keine Zeit für meine Ängste und ließ es geschehen. Ließ mich an die Oberfläche tragen und schnappte gierig nach Luft. Der Käfig ragte neben mir aus dem See, bewegte sich wie von selbst auf das Ufer zu und blieb dort reglos stehen.

Ein schrilles Kreischen löste mich aus meiner Starre und ich wandte mich diesem blitzschnell zu. Die Mysta, die den Wasserlilien ähnelten und den Käfig zu Fall gebracht hatten, brachen regelrecht in Panik aus. Sie flitzen über das Wasser, schrien auf und verschwanden schließlich in den Tiefen des Sees. Einen Augenblick fürchtete ich, sie würden mein Bein packen und mich mit sie ziehen, aber nichts geschah. Hastig schwamm ich ein Stück, bis ich stehen konnte und watete dann zum Käfig. Die schwarzen Wesen waren verschwunden, hatten keinen Anhaltspunkt für ihre Herkunft hinterlassen und ich konnte mir das eben Geschehene nicht erklären.

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