Ich mahlte mit den Zähnen, erschauderte beim Knirschen und versuchte die Augen zu öffnen, konnte aber nicht. Sie schmerzten und ich rieb mir mit meiner Hand über das Gesicht, spürte kleine Körnchen, die über meine Haut schrammten. Sand. Ich war voller Sand.
Als ich meine Augen und meinen Mund vom Dreck befreit hatte, fühlte ich die Wellen meine Füße und Oberschenkel umspülen. Ich saß noch immer halb im Wasser, war völlig verwirrt und krabbelte weiter den Strand hinauf. Noch immer schmeckte ich das Salz auf meiner Zunge. Wie viel Wasser hatte ich geschluckt?
„Wo ...", hustete ich und stützte mich mit den Händen auf dem Boden ab. Benommen schaute ich mich um, die nasse Kleidung zog mir nach unten und meine Haare klebten mir klamm im Gesicht. „Ist hier jemand?" Meine Frage verklang, war nicht einmal laut genug, dass ich sie hören konnte. Ich brauchte frisches Süßwasser, musste meinen Hals klären und mein Gesicht waschen. „Zuma?", rief ich mehr oder weniger zum Meer hinaus.
Meine Erinnerungen kamen langsam zu mir zurück. Wir waren angegriffen worden. Auf dem Meer. Von Luporas und Minerras Flotte. Ich tastete meinen Körper ab, suchte nach Verletzungen und wartete darauf, dass eine Berührung einen stechenden Schmerz erzeugte. Nichts. Mir fehlte augenscheinlich nichts, aber das war nur ein kleiner Trost. Denn ich hatte keine Ahnung, wo ich mich hier befand. Auf einer Insel oder doch auf dem Festland? Und wenn ich am Festland gestrandet war, in welchem Land?
Das Meer vor meinen Füßen wirkte so ruhig und friedlich. Kein Vergleich zu gestern, während des Angriffes. Ich zog die Beine vor die Brust und umklammerte sie, einfach um nicht loszuschreien. Hinter mir wuchsen große, üppige Bäume bis an den Strand heran. Ein Dschungel, der nur wenig von sich preisgab. Was sollte ich tun? Hier im Sand bleiben und auf Hilfe warten? Nein, hier würde mich sicher niemand suchen und schon gar nicht finden. Es schien nicht so, als lebten in der Nähe Menschen. Rechts und links von mir breitete sich einzig der lange Sandstrand aus.
Ich stand auf und klopfte die feinen Sandkörner von dem Kleid, das Juna mir gegeben hatte. So sehr ich mir wünschte, dass Zuma den Untergang des Piratenschiffes wohlbehalten überstanden hatte, so sehr wünschte ich mir das auch für Juna. Ihr ging es vielleicht ganz ähnlich wie mir.
Im Sand fiel es mir schwer zu laufen. Jeder Schritt wurde gedämpft und es fühlte sich an, als würde die Sonne am blauen Himmel zusätzlich versuchen, mir das Leben noch schwerer zu gestalten. Ich zweifelte zwar daran, dass das ab diesem Moment – nachdem ich meine Heimat verlassen hatte, vor meiner Zwangshochzeit geflohen war, mich einem Piraten angeschlossen hatte und von meinen Verfolgern versenkt worden war – noch schlimmer werden konnte, aber ich wollte mich nicht in Sicherheit wiegen.
Plötzlich entdeckte ich etwas im Wasser. Ein Körper trieb auf der Oberfläche, wurde von den Wellen vor und zurück gerissen. Ich schluckte schwer, erkannte aber rasch, dass es nicht Zuma sein konnte. Dafür war diese Person, oder diese Leiche zu groß. Dennoch musste ich prüfen, ob er oder sie noch lebte.
Ich watete nur wenige Meter ins Wasser, da stockte mir der Atem und mein Herz blieb stehen. Das dort im Wasser war nicht irgendjemand, sondern Roan. Seine langen, schwarzen Haare verrieten ihn und ich pflügte durchs Wasser, packte ihn an den Armen und schleifte den leblosen Körper an den Strand.
„Bitte sei nicht tot. Bitte sei nicht tot", wiederholte ich leise und bettete ihn im warmen Sand.
Ich lehnte mich über seine Brust, um zu sehen, ob er noch atmete. Tatsächlich hob und senkte sich seine Brust ganz leicht. Nicht tot, schoss es mir durch den Kopf und ich fiel rückwärts auf mein Hiterteil. Er lebte, wenigstens einer, der es auch geschafft hatte.
Da ich ihn sicher an Land gebracht hatte, überlegte ich kurz, ob ich ihn nicht zurücklassen und Zuma suchen sollte. Was, wenn Roan mir etwas antun würde? Er konnte zwar nicht wissen, dass ich der Grund dafür war, dass er und seine Mannschaft angegriffen wurden, aber er könnte es vermuten. Und vielleicht würde ihm eine Vermutung ausreichen, um sich auf mich zu stürzen. Ich biss mir auf die Unterlippe und bemerkte, wie durstig ich war. Wenn ich nicht bald ein wenig Süßwasser fand, würde ich nicht wegen Roan, sondern wegen Dehydrierung sterben.
„Verdammt", stöhnte der Mann neben mir und fasste sie an den Kopf. Zwischen den Fingern hindurch spähend trafen sich unsere Blicke. „Du lebst also auch noch, was?"
Er klang nicht sonderlich erfreut darüber, dass ich hier war. Ich wand meinen Blick ab und sah zum Dschungel, der noch immer undurchdringlich wirkte. Eventuell gab es in seinem Inneren eine Quelle oder einen Bach, der uns mit etwas Wasser versorgen würde. Aber ich konnte es nicht riskieren, allein hinein zu gehen. Wer konnte schon voraussagen, welche Raubtiere dort auf mich lauern würden und ich besaß keinerlei Waffen.
„Ich bin überrascht gerade dich zu sehen", sagte Roan und setzte sich auf. Dabei nahm er seine Haare zusammen und wrang sie einmal kräftig aus. „Hätte nicht gedacht, dass du es an die Küste schaffst."
„Wo sind wir hier?", erkundigte ich mich und ignorierte seinen Kommentar.
„Hm ... Irgendwo nordöstlich von Niiro. Wir wollten eigentlich die Strecke nehmen, die uns am schnellsten an Lupora vorbei nach Felior bringt. Hat aber nicht wirklich geklappt, denn Luporas Schiffe kamen uns zuvor."
Sein Blick richtete sich geradewegs aufs offene Meer. Von den Überresten des Schiffes war nichts zu sehen und bis jetzt hatte ich – zu meiner Erleichterung – noch keine Toten gefunden. Allerdings auch niemanden, der noch lebte und von den Wellen angespült worden war. Ich kam nicht umhin, mich nochmals zum dichten Wald umzudrehen. Was, wenn es dort doch ein Dorf gab? Was, wenn uns die Bewohner sogar helfen würden? Aber was, wenn nicht? Wenn sie feindlich gesinnt wären und uns lieber den Kopf abschlugen, statt uns etwas Wasser zu geben?
„Tja", machte Roan und stand stöhnend auf, als hätte er sich verletzt oder könnte seine Glieder noch nicht richtig bewegen. „Ich muss meine Leute finden. Ich habe sie schon ein Mal im Stich gelassen."
Er mied mich, lief auf einmal in die andere Richtung, den Strand hinunter. Ich folgte ihm stumm, einfach weil ich Angst davor hatte, allein zu sein. Für ihn schien ich in diesem Augenblick nicht länger zu existieren und das könnte für mich von Vorteil sein. Ich erinnerte mich an Zuma, wie er sich in den Schatten versteckt hielt und auf die perfekte Gelegenheit zum Angriff wartete. Meine Wenigkeit würde zwar nicht auf einen Angriff aus sein, aber ich würde jede Gelegenheit ergreifen, von diesem Stück Land zu verschwinden. Im besten Falle mit Zuma, aber alleine würde ich ihn mit Großer Wahrscheinlichkeit nicht finden.
Roan wandte sich mir zu, wirkte nicht sonderlich überrascht, dass ich ihm folgte, aber auch nicht wirklich erfreut. Seinen Seufzer zog er extra lang, ehe er weiter lief. Ich wusste ja, dass ich nicht sonderlich viel zustande bringen konnte, doch eine allzu große Last würde ich ihm auch nicht sein. Er kannte mich genauso wenig wie ich ihn, also warum verhielt er sich dann so? Zumal ich sein Leben gerettet hatte, aber das machte es wohl nur quitt.
Wir liefen durch einige Dünen, die nur sporadisch von länglichen Pflanzenbüscheln bewuchert wurden, als Roan plötzlich stehen blieb, zu mir zurückkam und mich mit seinem Gewicht zu Boden warf. Ich mit meinem Gesicht seitlich im Sand und er auf mir, drückte mich noch weiter in den nachgebenden Untergrund.
„Was-."
„Scht!", unterbrach er mich und presste seinen salzig riechenden Körper dichter an meinen.
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Seabound
FantasyCalea Amante ist eine junge, starke Frau und stammt aus gutem Hause. Nicht nur das, sie ist eine Prinzessin, auch wenn ihr dieser Titel gar nicht zusagt. Was für die einen ein Segen ist, wird für sie sehr bald zum Fluch. Denn als ihr Widersacher aus...