13(II): Der Wahrheits Wille

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Mein Herz raste, fühlte sich kalt und schwer in meiner Brust an, während die Soldaten Luporas und Minerras näher rückten. Xylon stand in Frauds und meine Rücken, doch es sah nicht gut aus. Sie hatten uns fast jeden erdenklichen Fluchtweg abgeschnitten, bis auf einen und der würde weiter hinauf in die Baumkronen führen. Allerdings war ich mir sicher, dass das keine Lösung darstellte. Weiter hoch würde bedeuten, die Soldaten müssten nur darauf warten, dass wir hungrig oder müde werden. Lange würden wir es in luftiger Höhe, zwischen dünnen Ästen und losem Blattwerk nicht aushalten. Zumal die Kinder und ich es wahrscheinlich nicht einmal hinauf schaffen würden.

Also verharrten wir, jeder in seinem kleinen, geradezu persönlichen und unsichtbaren Kreis. Keine Regung auf Seiten des Feindes und doch würden sie bald den ersten Schritt wagen. Denn sie besaßen hier ganz offensichtlich die Oberhand und würden ihre Kraft und Erfahrung gerne gegen uns einsetzten. Oder besser gesagt: Gegen mich. Denn ich kam nicht umhin, Xylon zu verdächtigen, das alles geplant zu haben. Vielleicht nicht von Anfang an, weil er nicht damit gerechnet haben konnte, dass ich mich auf Piraten einlasse, aber er hatte schnell gehandelt. Und in Anbetracht dessen, was ihm zur Verfügung stand, einen beachtenswerten Plan geschmiedet und in kurzer Zeit umgesetzt.

Ich atmete hörbar aus, versuchte damit meine Anspannung zu verlieren, doch es klappte nicht. Jede Bewegung erzeugte beim Gegner eine ähnliche Reaktion. Zuckte ich, zuckte auch einer der Soldaten. Machte ich einen Schritt nach links, folgten sie mir. Ich strengte meinen Kopf an, wollte, dass mein Gehirn eine Lösung fand, aber es blieb still. Mir eingestehend, dass ich verloren hatte, hob ich die Arme und ging auf Xylon zu.

„Nicht!", stoppte mich Fraud und sogleich klirrten die Waffen, welche die Soldaten bei sich führten. Zuerst zog der Rothaarige sich zurück, dann ergriff er meinen Arm und beugte sich zu mir. „Du darfst nicht mit ihnen gehen", flüsterte er. „Das war es doch, weshalb du geflohen bist. Weil du frei sein wolltest und nicht von irgendeinem Kerl zu seiner Braut gemacht werden."

„Was schlägst du vor? Wollt ihr für mich, eine einzige Person kämpfen und euer aller Leben in Gefahr bringen?", hakte ich skeptisch nach. „Was ist mit den Kindern und Frauen im Dorf? Glaubst du nicht, dass Luporas und Minerras Soldaten euch überlegen sind? Sie werden vor nichts und niemandem Halt machen. So schön mein Traum von Freiheit auch war", begann ich wispernd und löste seine Hand von mir. „Werde ich eure Leben nicht für mich opfern. Ich war frei, für den Moment und habe einige Fehler gemacht. Das rächt sich jetzt wohl."

Fraud ließ mich ziehen und ich stellte mich erhobenen Hauptes vor Xylon, der mich überraschend sanft an den Oberarmen packt, um mich vor sich her zu schieben. Seine Hände fühlten sich kühl an, doch je länger er sie auf meiner Haut ließ, desto wärmer wurden sie. Die anderen Soldaten umringten uns als eine Art Schutzschild und so gut behütet, kletterten wir die Bäume hinab. Unten erwartete uns der Rest der Gruppe, die wenig erfreut über ihren Sieg wirkte, eher erleichtert. Einer von den Männern kam auf Xylon zu und überreichte diesem sein Kurzschwert, welches er kurzerhand an seinem Gürtel befestigte.

Wir liefen in den Wald hinein und die Bewohner Primins folgten uns, blieben aber auf Distanz. Sie würden diese Männer nicht angreifen, obgleich sie diese Umgebung besser kannten, doch ihre Unerfahrenheit im Kampf gegen Menschen würde sie den Sieg kosten. Ich schaute mich um, während Xylon mich weiter voran trieb. Der Wald lichtete sich noch nicht, aber die Bäume wuchsen so hoch, dass der Zwischenraum zum Boden recht viel Sichtfreiheit gab.

„Werden sie Euch dieses Mal nicht helfen?", fragte mich Xylon aus dem Nichts und kam dichter zu mir.

„Sie können es nicht mit euch aufnehmen", erwiderte ich.

„Nein", entgegnete er rasch. „Ich meinte nicht die Bewohner, sondern diese ... Wesen."

Konnte es sein? Interessierte sich der Vers Minerra plötzlich für das Übernatürliche, das nicht mal ich mir erklären konnte? Von allen Ländern war Minerra das wahrscheinlich Fortschrittlichste und das schloss ein, dass sie weder an die Errungenschaften des Alte Volkes, noch an Wesen wie Mysta glaubten. Aber Xylon zeigte Neugier. Ihm schien es offensichtlich zu missfallen, dass er sich etwas nicht erklären konnte.

„Ich befürchte nicht", murmelte ich, nachdem ich mich genauer umgesehen hatte. „Ich kann sie nicht kontrollieren, nur sehen", erklärte ich weiter und überlegte, ob ich ihm überhaupt so viel von mir preisgeben sollte. „Sie machen, was sie wollen und das, wie ihnen beliebt. Ich verstehe es selbst kaum."

„Nun ja", sagte er und legte eine Hand an meine Taille, um mich neben sich zu ziehen. Ich japste auf, aber das störte ihn wenig. „Das bedeutet also, dass Ihr jeglichen Schutz verloren habt?"

Seine Frage klang unsicher und diese Unsicherheit übertrug sich sogleich auf mich. Ich blickte über meine Schulter, suchte nach dem, was seine Aufmerksamkeit erhascht und ihn sowie die gesamte Gruppe Halt machen ließ. Es knackte im undurchsichtigen Gestrüpp wenige Meter von uns, das ab und an den Boden des Dschungels bedeckte. Die Männer zückten ihre Waffen, aber Xylon hielt sie mit einer Handbewegung davon ab, in das Unterholz zu stürmen.

Nun rieselten einzelne Blätter von den hohen Bäumen auf uns herab und ein Kribbeln breitete sich in meinem Bauch aus. Es stieg meinen Körper hinauf, ließ einen elektrischen Impuls von meinem Nacken aus durch meine Muskeln schießen, bis es in meinen Zehen- und Fingerspitzen in Hitze verpuffte.

„Verdammt!", hörte ich einen der Soldaten rufen und kurz darauf lag er auch schon am Boden. Allerdings gab es keine Spur vom Angreifer.

Xylon nahm mich näher zu sich, legte einen Arm quer über meinen Körper, sodass mein Rücken nun gegen seinen Bauch drückte. Die freie Hand legte er an sein Kurzschwert. Es kehrte etwas Ruhe ein, aber die Männer blieben allesamt in Alarmbereitschaft. Das Kribbeln in meinem Inneren machte sich abermals bemerkbar. Ich konnte kaum stillstehen, musste es aber, weil Xylon mich nicht losließ.

„Ruhig jetzt", ermahnte er mich leise und presste mich enger an sich, was mir ganz und gar nicht gefiel. Am liebsten hätte ich ihm meinen Ellenbogen in den Bauch gerammt, aber meine Furcht vor dem, was im Unterholz auf uns lauerte, ließ mich erstarren.

Etwas durchschnitt in einem scharfen Ton die Luft. Ein Mann fiel um. Ein weiteres, schneidendes Geräusch viel zu nah bei mir. Ich zuckte instinktiv zusammen, wollte mich auf den Boden werfen und den Geschossen ausweichen, jedoch hielt Xylon mich fest in seinen Armen und damit über dem Boden. Statt Schutz zu suchen, nahm er demonstrativ sein Kurzschwert auf und hielt es an meine Kehle.

„Das würde ich lassen", tönte es dunkel aus einem der Schatten. Mein Herz raste unaufhörlich, wollte aus meiner Brust springen und meine Lungen mit sich nehmen. Diese Stimme kannte ich nur zu gut und Freude durchflutete mich.

„Was willst du tun, Schattenkrieger?", konterte Xylon in die Schatten hinein. „Wie schnell magst du sein? Würden deine Wurfmesser mich treffen, hätte ich noch genügend Zeit, um ihr die Kehle durchzuschneiden."

„Und dann hätten wir beide verloren", schallte es nun von oben auf uns herab. „Was würde Valor Meliahein wohl sagen, sollte er erfahren, dass Ihr die Erbin Ameeris und einer Helix umgebracht habt, um Euer Leben zu retten?"

Ich spürte an meinem Rücken, wie Xylon lachte, auch wenn sein Lachen stumm bleib. Nahm er die Situation nicht ernst? Fühlte er sich so sicher? Sein Arm, der mich an ihn drückte, lockerte sich etwas und ebenso tat es die Klinge, die meine Haut aufzuritzen drohte. Dann spürte ich seinen warmen Atem an meiner Wange. „Geh", raunte er so leise, dass ich glaubte, ich bildete mir es nur ein. „Damit begleiche ich meine Schulden." Ich regte mich nicht aus Angst, er könnte mich verletzen, doch zu meiner Überraschung stieß er mich plötzlich und mit einem Ruck von sich. Ich stolperte, konnte mein Gleichgewicht aber finden und strauchelte in die hohen Sträucher.

 Ich stolperte, konnte mein Gleichgewicht aber finden und strauchelte in die hohen Sträucher

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