22(II): Rastlose oder rachsüchtige Zwänge

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Mit dröhnendem Kopf erwachte ich in einem kleinen Raum, der keine wirklichen Wände hatte, sondern nur von schweren Vorhängen abgeschlossen wurde. Ich drehte mich auf den Rücken und presste meine Hand gegen meine Stirn. Was war gestern Abend geschehen? Ich erinnerte mich nur noch daran, dass ich mit den Mädchen und Frauen Feliors getanzt hatte. In den Bildern meiner Gedankenwelt tauchten auch Roan und Zuma auf, die sich mal wieder angefeindet hatten. Hatte sie? Meine Erinnerungen glichen einem Puzzle, das ich mit diesen Kopfschmerzen unmöglich zusammensetzen konnte. Also versuchte ich, noch ein bisschen zu schlafen.

Gegen späten Mittag wachte ich wieder auf und statt dem Pochen in meinem Kopf rumorte nun mein Magen. Entweder würde ich mich gleich erbrechen oder ich hatte einfach nur Hunger. Sicher war ich mir da nicht und obwohl ich mein Glück ungern herausforderte, krabbelte ich aus meinem Bett und trat aus dem Raum hinaus ins Freie.

Einige Meter schaffte ich es durch die engen Gassen hindurch bis zum Strand. Die Stelzenhäuser reichten noch weit aufs Meer hinaus und ich fragte mich, wo ich etwas Essen herbekam. Nachdem ich ein paar Minuten gelaufen war, stand ich vor einer kleinen Apfelplantage und schaute mich um. Da niemand zu sehen war, entschied ich mich, einen Apfel zu stibitzen und biss rasch hinein. Er schmeckte nach Sonne und Meer.

Anscheinend war es tatsächlich Hunger, der meinen Magen aufgemischt hatte, denn nach einem weiteren Apfel beruhigte er sich. Meine Gedanken wiederum kreisten immer noch wild umher. Langsam dämmerte es mir, als ich mich daran erinnerte, wie mir eine der jungen Frauen etwas zu trinken gereicht hatte. Der fruchtige Geschmack der Äpfel weckte diese Erinnerung und ich fasste mir an den Kopf. Sie hatten mir einen viel zu starken Wein gegeben.

Ich wollte mich am liebsten irgendwo verkriechen, weil ich nicht wusste, was ich gestern Abend getan hatte. Wie ich mich benommen hatte und vor allem, wer mich dabei beobachtet hatte. Hoffentlich hatte mich Cyril nicht gesehen.

„Na Prinzessin", riss mich Roans Stimme zurück in die Realität und ich schnellte herum. Seine langen, schwarzen Strähnen waren zu einem Zopf geflochten und die Ärmel seines Oberteils hochgekrempelt, während mich seine Augen musterten. „Wie geht es dir, nach dem gestrigen Abend?"

Mein Wunsch, dass sich der Boden auftat, mich verschluckte und somit vor dieser Peinlichkeit rettete, ging nicht in Erfüllung. Unruhig verlagerte ich mein Gewicht von links nach rechts, doch Roan wollte scheinbar eine Antwort haben.

„Gut", erwiderte ich und wollte gehen, aber er stellte sich mir in den Weg. Da entdeckte ich eine rötlich schimmernde Wunde in seinem Gesicht, die nicht von meinen Flammen auf See stammte. Meine Chance, das Thema zu wechseln. „Woher hast du die Schramme?", erkundigte ich mich schnell und deutete auf seine Wange.

„Ach das", winkte er ab. „Ich bin gestürzt, weil ich gestern wohl etwas zu viel des guten Weins getrunken hatte." Verstohlen grinste er mich an und schlug mir leicht mit dem Handrücken gegen den Oberarm.

Ich atmete durch und ging dann weiter durch die Gasse, in der er mich mehr oder weniger abgefangen hatte. Mein Herz schlug etwas schneller, weil ich nicht bemerkte, ob er mich verfolgte. Was ich allerdings schon merkte, war Zumas Präsenz – wenn auch nur sehr schwach –, die mir auf den Fersen war. Es beruhigte mich, dass er mich bewachte, obwohl uns hier in Felior eigentlich keine Gefahren erwarten sollten, doch ich wollte das Dorf verlassen und auf die Klippen klettern, um dort zu trainieren. Immerhin musste ich immer noch lernen, die Flammen meiner Helix zu kontrollieren und ein Ort, an dem es nichts außer Gestein zu finden gab, schien mir dafür ideal.

Zu Hause in Ameeris bin ich auch immer durch die felsigen Landschaften geklettert. Vor allem die alten Ruinen hatten es mir damals angetan, aber mein Körper erinnerte sich daran, wie man auf dem steinigen Untergrund Halt fand. Nach einigen Metern schmerzten zwar meine Finger, doch ich kletterte weiter die recht flachen Felswände hinauf, die mir den Aufstieg sichtlich erleichterten.

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