4(II): Atemloser Aufbruch

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Unter meinen Fingernägeln und auf meiner Haut hatte sich der grünliche Schmierfilm des Bodens gesammelt, während ich vor dem gerade erst befreiten Piraten fliehen wollte. Es waren nur Sekunden vergangen, doch nun ragte er über mir, eine Hand nach mir ausgestreckt und ich wollte nur noch Eines: schreien. Aber ich hielt den Mund, um meine wahre Identität weiterhin geheim zu halten, schluckte den panischen Schrei herunter und duckte mich hilflos.

Nur durch den Fall war ich Roan ausgewichen und konnte verhindern, dass er mein Gesicht entblößte. Aber die Tatsache, dass ich nun auf dem Boden kauernd vor ihm saß, machte es nicht sonderlich besser. Der Mann über mir wollte mir die Kapuze vom Kopf ziehen. Mein Herz raste und ich suchte instinktiv nach einem Ausweg, einer kleinen Lücke, die er in seiner Bewegung offenlegte und die mir zur Flucht vor seiner Hand nutzen könnte. Doch ich saß wie versteinert da, starrte in die fast schwarzen Augen vor mir und konnte meinen eigenen Körper nicht mehr kontrollieren, obwohl meine Gedanken so klar schienen.

„Was zur Hölle?!", rief Zuma, der aus der Zelle preschte und Roan umwarf. Mit beiden Händen hielt er den größeren Piraten auf dem Boden.

„Schon gut, schon gut", lachte Roan und sah zu mir, wie ich auf dem Hinterteil robbend aus der Gefahrenzone krabbelte. „Ich will nur wissen, wer er ist."

„Das hat dich nichts anzugehen und ich werde mich nicht noch einmal wiederholen", bellte Zuma und an seinen Händen stachen die Fingerknöchel weiß hervor. „Du sollst uns nur aus Ameeris schaffen."

„Aber dazu sollte ich zumindest wissen, wen ich auf mein Schiff lasse", widersprach der Mann.

„Auf dein Schiff?", hakte Zuma skeptisch nach und ließ von dem anderen ab. „Bis jetzt ist es noch das Schiff, das verlassen am Küstenbogen nördlich von hier gestrandet war. Und", er richtete sich auf und stellte im gleichen Zuge einen Fuß auf Roans Brust, „das Gleiche gilt für deine Mannschaft. Im Moment ist sie vogelfrei. Solltest du noch weitere Albernheiten versuchen, hängen sie schneller am Galgen, als dir lieb ist."

Ich schluckte schwer, obwohl ich wusste, zu was mein Wächter ausgebildet worden war und aus welchen Kreisen er stammte. Als Waisenkind wurde er von den besten Soldaten des Landes aufgenommen und sie lehrten ihn hohe Kampfkunst eines Assassinen. Nur, um mir zur Seite zu stehen, statt einem anderen Adligen nach dem Leben zu trachten. Jedes Detail seiner Vergangenheit kannte ich nicht. Ich hatte ihn gefragt, er jedoch geschwiegen. Vielleicht lief mir deshalb in diesem Augenblick ein kalter Schauer den Rücken hinab, während Zuma meine einzige Chance auf Freiheit auf den Boden drückte.

Auf einmal streckte Roan alle Glieder von sich, als Zeichen, dass er aufgeben wollte. Knurrend und fluchend nahm Zuma seinen Fuß von diesem und half mir achtsam auf. Sein Blick galt mir, aber gleichzeitig würde er seine Augen nicht von dem anderen Mann lassen. Also vertraute hier keiner dem anderen, dachte ich beunruhigt und bekam Bauschmerzen bei dem Gedanken, die nächsten Wochen in Gesellschaft dieses Mannes und seiner Mannschaft verbringen zu müssen. Vor allem, wenn er weiterhin nach meiner Identität forschen würde. Die Prinzessin der Familie Amante würde sicherlich nicht einmal ein Pirat entführen wollen. Schon gar nicht mit dem Rattenschwanz, den ich hinter mir herzog. Ein Land, das auf meinen Schultern lasten würde und der Thronfolger Luporas, der mich unbedingt heiraten wollte. Selbstverständlich gab es da auch noch die Helix, die in meinem Nacken ruhte und die damit verbundene Waffe, welche die Welt auslöschen könnte. Zumindest wenn ich den Legenden der Alten Achtung schenken konnte, aber ich wollte kein Risiko eingehen.

„Alles in Ordnung", wisperte Zuma mir zu. Seine Stimme zitterte nicht, aber ich bemerkte, dass mein Wächter mindestens genauso überrascht war, wie ich selbst.

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