18(II): Zukünftige Vergangenheiten

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Ich spürte, dass Roan und Zuma von etwas sprachen, dessen ich mir nicht bewusst war. Vielmehr noch, es fühlte sich so an, als wäre es etwas Bedeutsames, das nicht allein zu der Vergangenheit des Piraten zählte, sondern weitgreifende Folgen haben könnte.

Zuma schnaubte und lehnte sich zurück, was offenbar das Zeichen für Roan war, seine Geschichte zu beginnen. Nun war ich mir nicht mehr so sicher, ob ich diese hören wollte, vor allem auch deshalb, weil mein Wächter involviert schien. Kannten sie sich etwa von früher? Immerhin wusste Zuma von Roans Gefangenschaft im Kerker Niiros, also verband sie etwas. Die Frage war nur was.

Doch der Pirat zögerte noch immer, wollte scheinbar nicht weitersprechen und uns – und mich aufklären. Ich rückte näher an ihn heran und Zuma folgte mir. Der Kreis, in dem wir saßen, wurde kleiner und kleiner, bis der Captain endlich Luft holte.

„Dein Vater, Calea, hat mich angeheuert", begann er und ich zuckte zusammen. „Vor etwa zwei Jahren."

„Warum sollte er sich mit einem Piraten verbünden?", hakte ich richtiger Weise nach, denn der Adel würde solch eine Handlung normalerweise weder in Anbetracht ziehen noch durchführen.

„Weil er keine andere Möglichkeit hatte, oder zumindest glaubte er, keine andere Möglichkeit zu besitzen, um seinem Land zu helfen", erläuterte Roan und rieb sich den Arm. „Es war eine Verzweiflungstat."

„Vor zwei Jahren", murmelte ich und schluckte schwer. „Das war die Zeit nach dem schweren Winter", er nickte. „Wenn Vater einen Piraten als Verbündeten wollte, warum hat er gerade dich ausgewählt?"

Roan lachte und hielt eine Hand auf seine Wunde, denn die Erschütterungen des tiefen, beinahe schmerzlichen Lachens, schienen dieser nicht gut zu tun. Mein Magen zog sich derweilen zusammen, denn er war alles andere als erfreut darüber, dass er für meinen Vater gearbeitet hatte und mir nun davon erzählte.

„Ich war wohl gerade gut genug für ihn oder einfach vor Ort gewesen", erwiderte er, ohne mich anzusehen. „Für deinen Vater habe ich viele Handelsschiffe aus Felior und Minerra überfallen. Und versenkt. Zu viele, wie es den Anschein hat, denn kurz nach unserer Vereinbarung warf mich dein Vater in den Kerker, aus dem ihr mich dann befreitet", ein Knurren entfloh seiner Kehle und er legte sein Gesicht in seine Hände, die Ellenbogen auf seine Beine gestützt. „Er hat mich benutzt und sich meiner entledigt, als ich ihm Probelem bereitete. Als ich zu viele Schiffe Minerras ausraubte und seine Taten öffentlich zu werden schienen. Nachdem Minerra Verbindungen zwischen meinen Raubzügen und Ameeris aufdeckte. Oder aufzudecken schien ... Denn eine einzige Piratenmannschaft würde niemals so viele Schiffe überfallen. Ich war der Sündenbock und meine Gefangennahme und hinausgezögerte Hinrichtung waren nötig, um die Wogen mit Minerra zu glätten."

Ich schwieg, überwältigt von der Tat meines Vaters. Er war verzweifelt. Erst, als er ein ganzes Land am Leben erhalten und zu drastischen, verpönten Maßnahmen greifen musste. Und dann, als sein Plan aufzufliegen schien und er jemandem die Schuld zuweisen musste. Dieser jemand war derselbe, der unser Land in den Schatten mit Nahrung versorgt hatte. Roan. Ein Pirat und der geheime Retter meines Landes, vielleicht sogar unseres Lebens. Eine warme Träne rann meine Wange hinab und ich wischte mir rasch mit dem Ärmel übers Gesicht.

„Dein Vater hat mich verraten", fügte Roan nach einer Weile des gegenseitigen Schweigens an. „Keine Ahnung, ob er unfähig und dumm, oder schlau und gerissen ist. Aber ich kann und will ihm nie wieder entgegentreten. Falls dem so sei, wüsste ich nicht, was ich täte. Wozu ich in meinem Zorn in der Lage wäre."

„Du drohst ihrem Vater?", wollte Zuma wissen und versuchte, sich aufzurichten. Allerdings blieb er schwach und sank zurück auf seinen Schlafplatz. „Sag schon, Pirat? Dir hätte vor zwei Jahren klar sein müssen, auf was du dich einlässt, also gibt Orazio Amante nicht die Schuld an alle dem."

„Du kannst bei dieser Angelegenheit nicht mitreden, glücklicher Schattenkrieger. Deine Aufgabe war von Beginn an eine besser als meine", Roans Blick wanderte, während er sprach, zu mir. „Wir hatten beide einen seltsamen, einen schweren Start, aber dein Ende wird ein glücklicheres sein, als meines."

Der Captain stand auf und humpelte trotz sichtbarer Schmerzen zur Treppe, die aufs Deck führte. Er wandte sich nicht um. Wollte er es nicht, oder konnte er es nicht? Ich schluckte schwer, knetete meine kalten Hände und ordnete meine Gedanken. Was bedeutete seine Vergangenheit nun für mich? Und warum glaubte er, dass seine Zukunft keine Gute sein würde? Das alles, nachdem er meine Zukunftspläne wissen wollte.

„Denk nicht zu viel über seine Worte nach", mahnte mich Zuma, doch ich konnte seiner Bitte nicht nachkommen.

Roan hatte mein Land gerettet und mich mehr als einmal vor dem Tod bewahrt. Außerdem schien er etwas über die Helices zu wissen. Ich musste bei ihm bleiben, davon abgesehen hatte ich auch gar keine andere Möglichkeit, denn wir saßen alle auf demselben Schiff fest. Zu allem Überfluss segelten wir Richtung Felior, dem Land, dessen Schiffe Roan ebenfalls fast zwei Jahre lang ausgeraubt hatte. Wahrscheinlich würden sie ihn nicht freundlich aufnehmen, wenn wir an Lang gingen.

Ich erschauderte und die vielen Hindernisse, die vor uns lagen und zum Teil durch mich und meinen Vater verschuldet waren, bereiteten mir Bauchschmerzen. Dazu kamen noch die vielen Verletzten und die gefangenen Soldaten Luporas und Minerras. Wo hatte ich mich nach meiner Flucht nur hineinmanövriert? Allmählich schien es sicher, dass ich jedes Land gegen mich aufbringen würde, sollte man mir die Zeit dafür geben.

Dennoch wollte und konnte ich nicht darauf warten, dass wir Feliors Gebiete erreichten und vielleicht angegriffen oder aber freundlich empfangen wurden. Immerhin blieb ich die Thronfolgerin Ameeris. Damit war ich als Adlige und Trägerin der Helix Engelskuss von großem Wert für dieses Land, mit dem wir offiziell nicht verfeindet waren. Ich atmete auf und spürte, wie sich meine Brust hob und senkte. Wie sie gegen den Druck, der auf ihr lastete, kämpfte. Ich konnte, nein ich durfte jetzt nicht in meinen Gedanken verzweifeln und darauf hoffen, dass mir jemand zur Hilfe kam. Dass mir jemand den richtigen Weg aus diesem Schlamassel zeigte. Roan hatte Recht. Ich musste meinen Weg, meinen Traum selbst finden und ihn dann verfolgen. Meine Flucht vor der Zwangsheirat mit Luporas Thronfolger war ein Anfang, ob gut oder schlecht würde sich noch zeigen müssen.

Etwas ermutigt, schritt auch ich die knarrenden und von der Feuchte des Meeres rutschigen Stufen hinauf aufs Oberdeck. Dort knieten bereits die gefangenen Soldaten, wie ich erkannte und sogleich stoppte ich vor der obersten Stufe. Jeder von ihnen hatte die Hände gefesselt hinter dem Rücken und wurde von Roans Männern bewacht, während der Captain sich vor einen von ihnen stellte.

Ich zögerte nicht länger, nahm die letzte Stufe und ging langsam auf die Männer zu. Denn auch ich wollte Antworten.

 Denn auch ich wollte Antworten

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