Roan war wirklich nicht in der Verfassung, um durch diesen dichten Wald zu flüchten. Dennoch musste ich ihn befreien, damit er Zuma und die anderen finden könnte. Er war momentan meine beste Wahl, solange ich mir unsicher war, welches Ziel Fraud verfolgte. Bisher hatte er mir nur helfen wollen, aber Menschen taten nie etwas, ohne eine Gegenleistung zu erwarten und ich fürchtete mich vor seinem Wissen über meine Gabe – wie er sie nannte –die Mysta zu sehen.
Zuerst müsste ich Roan helfen, damit er mir half. Denn er war sichtlich unzufrieden mit seiner erneuten Gefangenschaft, obwohl die Bewohner Primins ihn nicht wie einen Straftäter behandelten. Sie hatten ihn weder gefesselt, noch eingesperrt, beäugten ihn jedoch pausenlos. Trotzdem sah ich ihm bereits jetzt an, dass er die neugewonnene Freiheit vermisste und ich fühlte mich hier ebenso fehl am Platze. Das war die eine Sache, dir ich nicht verstand. Warum fühlte ich mich hier so fremd, obwohl ich auf dieser Insel, bei diesen Menschen aufgewachsen bin? Alles hatte ich nicht vergessen, aber Fraud wirkte so anders auf mich. Wie jemand, den ich niemals kennengelernt und nun offensichtlich ganz vergessen hatte.
Meine Verwirrung müsste mich eigentlich verrücktspielen lassen, aber ich glich der Ruhe selbst. Ich durfte mich frei in dem kleinen Dorf, das keinen Namen trug, bewegen und die Bewohner grüßten mich freundlich. Einige ihrer Gesichter kamen mir bekannt vor und ich spürte regelrecht, was für ein Wesen sie besaßen, aber ich konnte ihnen keine Namen zuordnen. Anders als bei Fraud Perior.
Ich seufzte und sah zu der kleinen Hütte, in der Roan saß. Sie hing gute zehn Meter über dem Boden zwischen drei dicken Ästen. Von dort aus dürfte eine Flucht schwierig werden, außerdem konnte ich nicht voraussagen, ob die Bewohner ihn verfolgen würden. Ob sie in ihm eine Gefahr für sich sehen würden.
Ich verbannte also meine Spekulationen und entschloss mich dazu, endlich etwas zu unternehmen. Das bedeutete auch, dass ich mit Fraud sprechen müsste. Genauer, ich müsste ihm einige Fragen stellen. Über mich, über sich und diese Insel. Und unsere gemeinsame Vergangenheit, berichtigte ich mich in Gedanken, während ich schon über eine der wackeligen Hängebrücken lief. Eine Hand fuhr über das raue Seil, das als Stabilisator fungierte und mit der freien Hand versuchte ich, die Balance zu halten.
Hörbar erleichtert wieder festen Boden unter den Füßen zu haben, suchte ich die Plattform, welche von fünf massiven Bäumen gehalten wurde. Sie schien den zentralen Punkt des Dorfes auszumachen, denn hier hatten sich bereits einige Bewohner versammelt und redeten aufgeregt miteinander.
Einer von ihnen sah mich und rief einen Namen in eine andere Richtung. Ich folgte seinem Blick und erstarrte instinktiv, als ich Fraud entdeckte, der sich von einem Ast baumeln ließ. Mühelos ließ er sich fallen, landete auf einem weiteren Ast, einige Meter unter dem ersten und schließlich auf der Plattform. Mit ein paar großen Schritten kam er auf mich zu, blieb vor mir stehen und machte sich etwas kleiner.
„Wohin des Weges, Calea?", fragte er mich schmunzelnd. „Möchtest du noch mehr von unserem Dorf sehen?"
„Nicht wirklich", gab ich nüchtern von mir und schlag die Arme um meinen Körper. „Ich würde mich viel lieber mit dir unterhalten", das Lächeln auf seinen Lippen schwand, doch seine Neugier blieb und ich sprach weiter. „Über unsere Vergangenheit. Wenn ich mich schon nicht erinnern kann, möchte ich alles wissen, was du weißt. Was wir erlebt haben, wie wir uns kennengelernt haben und-."
„Schon verstanden", unterbrach er mich sanft und nahm meine Hand in seine. „Ich werde dir alles erzählen, was du wissen möchtest. Unter einer Bedingung", sagte er und zwinkerte mir zu. „Wir suchen uns ein ruhigeres Fleckchen."
Ich nickte bestätigend, woraufhin er sofort loslief. Die Entfernung zu den anderen Menschen verunsicherte mich zwar und auch mein Herz schien sich nicht mehr beruhigen zu wollen, aber ich musste ihm folgen. Ansonsten würde ich nie über meine Vergangenheit aufgeklärt werden und würde auch nie verstehen können, was für eine Person er war.
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Seabound
FantasyCalea Amante ist eine junge, starke Frau und stammt aus gutem Hause. Nicht nur das, sie ist eine Prinzessin, auch wenn ihr dieser Titel gar nicht zusagt. Was für die einen ein Segen ist, wird für sie sehr bald zum Fluch. Denn als ihr Widersacher aus...