31. Kapitel

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Es waren nun schon wieder vier Tage vergangen. Ich saß auf einer Mauer, außerhalb der Raststätte und beobachtete den knallroten Sonnenuntergang. Wir waren doch länger geblieben, als geplannt um nachdenken zu können. Jasper hatte eingewilligt uns zu begleiten. Man hatte Adriano zwar angemerkt, dass er null Bock auf Jasper hatte, aber er hatte es akzeptiert. Schließlich hatte er es auch vorgeschlagen. Wir hatten alle überlegt, wo es als nächstes hingehen sollte. Jasper hatte erklärt, dass sein Bruder ihm immer vom Norden erzählt hat. Ben wollte immer in den Norden, weg gehen und ein Abenteuer wagen. Er wollte wohl schon mehrere Male einfach gehen, zusammen mit Jasper, doch der hatte nie eingewilligt. Diesesmal war Ben ohne Vorwarnung gegangen und Jasper war der Einzige, der auch nur ein bisschen Ahnung hatte, wo Ben hingegangen sein könnte.

Adriano hatte kein Problem damit, weiter in den Norden zu gehen, hauptsache weiter weg von Zuhause. Er hatte nicht wiedersprochen, oder andere Vorschläge gemacht. Adriano war es egal gewesen.

Tja, ob es mir genauso egal war, wusste ich nicht. Ich hatte zugehört, nichts geantwortet, einfach immer eingewilligt. Natürlich war ich aufgeregt. Ich wollte mein kleines Abenteuer, meine Reise mit Adriano in das unbekannte Nichts. Aber die Angst, nie wieder nach Hause zu können, setzte mir genau so zu. Ich fragte mich immer noch, ob das hier die Richtige Idee war.

Braune Locken gesellten sich zu mir, auf die Mauer. Das rote Licht hüllte uns in Farbe und der leichte Wind, strich uns um das Gesicht. ,,Wir werden heute weiter gehen, oder?", fragte ich. Er nickte. ,,Ja. Bei Nacht sieht uns keiner", erklärte Adriano. Er hatte Recht. Uns war klar, dass unsere Eltern uns mittlerweile suchen mussten, höchstwarscheinlich mit Polizei. Wir konnten es nicht riskieren, entdeckt zu werden, also versteckten wir uns am Tag und zogen bei Nacht weiter. Das war die einfachste Lösung. Ich fühlte mich ein wenig wie auf der Flucht, so wie in all diesen berühmten Hollywoodfilmen.

Jasper trat zu uns. Er stellte jede Tasche, Adrianos, meine und seine, neben sich ab. Seinen Kopf hatte er leicht in den Nacken gelegt, damit er zu uns rauf schauen konnte. ,,Schöner Sonnenuntergang, nicht?", fragte er. Adriano nickte, ich lächelte ihm zu. Er  wollte ein Gesprächsthema finden, wofür ich ihm eigentlich ziemlich dankbar war. Das hatte er auch schon in den letzten Tagen versucht, so war es nie zu der berühmten, peinlichen Stille zwischen uns gekommen. ,,Seid ihr bereit?", fragte er. Ich sah ihn lange an. Er wusste, dass diese Reise nicht einfach für mich war. Er wusste, dass ich Angst hatte. Adriano wusste das auch, doch sie sprachen es beide nicht an. Ich wusste warum. Beide hatten Angst davor, dass sie wegen mir wieder nach Hause kehren mussten. Jasper wollte seinen Bruder finden. Er wollte nichts sehnlicher, als ihn wieder nach Hause zu bringen. Adriano wollte einfach nur ein Abenteuer. Er wollte nicht zurück nach Hause, er hatte Angst vor dem wahren Leben. Naja, meine Meinung kennt ihr ja.

Ich blickte noch einmal auf das herunter gekommene, alte Haus hinter uns. Das dreckige Lachen der unheimlichen Menschen drang bis nach draußen und irgenwie merkte ich, wie ich froh war von hier weg zu gehen. Ich hätte es keinen Tag länger zwischen diesen Menschen ausgehalten, die aussahen als ob sie dich mit ihren bloßen Blicken hypnotiesieren, verschlingen und vernichten wollten. Sie waren einfach nur angsteinflößend.

Adriano sprang von der Mauer und half mir danach ebenfalls, herunter zu kommen. Sein Motorrad stand schon bereit, wärend daneben ein weiteres Motorrad parkte. Jasper hatte zufälliger Weise ebenfalls eines, was die Reise sehr erleichterte.

Die beiden Jungs stiegen mit den Taschen auf den Rücken auf. Ich zog mir meinen ebenfalls über und trat zu Adriano. Er gab mir einen Helm, den ich überzog, nachdem ich mich hinter ihn gesetzt hatte. Wie auf ein stilles Kommando, ließen sie ihre Motoren aufheulen und fuhren von dem Parkplatz. Unsere Reise ging nun weiter. Jetzt waren wir auf dem Weg zu einem neuen Ort, den wir noch nicht kannten, richtung Norden.

Ich spührte ein kleines Lächeln auf meinen Lippen. Ich freute mich. Irgendwas erwartete uns und wir würden es finden, allein diese Vorstellung versprühte reines Glück in meinem Herzen. Ich ließ meinen Kopf an Adrianos Rücken gleiten und verstärkte meinen Griff um seinen Körper. Ich schloss langsam meine Augen und lies mich von dem Geräusch der Motoren beruhigen. Ob dieses Geräusch nun wirklich beruhigte oder nicht, war mir in dem Moment nicht so wirklich klar, aber es half mir einzuschlafen, wenigstens für eine kleine Weile.

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,,Fahr schneller, Adriano! Fahr!" Ich wurde von lautem Geschreie geweckt. Über mir lag das dunkle Zelt des Himmels, unterbrochen von kleinen, leuchtenden Sternen und einem großen Mond. Ich hob meinen Kopf und verschaffte mir einen Überblick über die Situation, was kaum möglich war. Adriano und Jasper fuhren so schnell, das Himmel und Erde zu einem verschwommenen Gemisch verliefen. Ich warf einen Blick nach hinten und bekam den Schreck meines Lebens.

Hinter uns fuhren drei weitere, dunkel gekleidete Personen auf Motorrädern her. Sie waren genau so schnell und geschickt wie die Jungs und blieben uns dicht auf den Fersen. Ich konnte mir einen Schrei nicht verkneifen. ,,Liv? Bist du wach?", brüllte Adriano. ,,Was geht hier vor sich?", schrie ich voller Panik. Er gab mir keine Erklärung, sondern nur eine simple Antwort: ,,Ich hole uns hier raus, das verspreche ich dir", schrie er gegen den Lärm. Ich zitterte, nicht nur wegen der Kälte, sondern weil die Angst mich packte. Ich grub meine Finger tiefer in die Jacke von Adriano und krallte mich an ihm fest. Krampfhaft schloss ich meine Augen, da ich nichts von dem Geschehen sehen wollte. Ich hörte die Anweisungen die Jasper und Adriano sich zu riefen, hörte den aufheulenden Motor. Durch meine Augenlider sah ich die gelben, herumschweifenden Scheinwerfer der rasenden Motorräder.

Plötzlich ertönte ein ohrenbetäubender Knall. Mein Herz blieb stehen, als ich den Schuss hörte, nur um dann wenige Sekunden später noch viel, viel stärker zu schlagen.
,,ADRIANO", schrie ich, doch meine Stimme versagte bei der Hälfte seines Namens.

Ein Quietschen, ein Schrei, ein Ruck und dann flog ich von dem Motorrad. Prustend und keuchend landete ich im Gras. Ich spuckte die nasse Erde in meinem Mund hustend aus, krallte mich verzweifelt an Gräser und Blumen, um nicht weiter zu rollen. ,,ADRIANO", keuchte ich. ,,JASPER",schrie ich ihre Namen, doch ich bekam keine Antwort. ,,HILFE, IRGENDJEMAND MUSS HELFEN", meine Stimme war nun kaum mehr, als ein hilfloses Klagen. ,,Bitte", murmelte ich noch, dann wurde die Welt um mich herum Schwarz, während über mir in aller Ruhe und voller Unschuld, der Mond seinen weißen Schein auf mich warf.

Das letzte was ich sah, war das flackernde Licht eines Scheinwerfers zwischen grünen Grashalmen.

Der Schönste Sommer Meines Lebens #SummerAward18Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt