5th chapter

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„Und, wie hat es dir geschmeckt?", frage ich vorsichtig und sehe von ihm zu dem nun leeren Teller auf dem Tisch vor ihm.

„Sehr gut", meint er und lächelt mich scheu an. „Ein guter Tipp von dir, wirklich!"

Ich erwidere das Lächeln und sehe zu Boden.

Als ich meinen Blick wieder nach vorne richte, werde ich stutzig, denn der Platz mir gegenüber ist leer. Der Schreck fährt mir eiskalt durch den Körper. Wo zum Teufel ist er?!

Doch ich finde ihn kurz darauf, er ist zur Garderobe gegangen und hat seine Jacke geholt.

„Ich bin schon mal draußen", nuschelt er mir zu, streift sie sich über und schlüpft hastig aus der Tür hinaus.

Ein wenig verdattert starre ich ihm hinterher. Was sollte das denn bitte?

Verwirrt blinzelnd sehe ich wieder auf die leeren Teller und wünsche mir plötzlich, ich hätte doch den Apfelstrudel genommen. Es ist ein wenig viel Neues für mich, so wie es im Moment scheint, denn plötzlich sacke ich zusammen wie ein Luftballon, aus dem man die Luft hinauslässt und bin den Tränen nahe.

Wieso ist Louis so, wie er ist? Einige Minuten zuvor war ich noch voller Freude über Louis' Worte gewesen, jetzt jedoch verstehe ich die Welt nicht mehr. Was ist bloß los mit ihm?

Ich rede mir ein, dass er einfach nur Zeit braucht. Er ist mit der ganzen Situation wahrscheinlich genauso überfordert wie ich und braucht einfach ein wenig Zeit.

Mit neu gewonnenem Mut richte ich mich auf und halte direkt auf die Glastür zu, die hinausführt, bis sich hinter mir jemand räuspert.

„Entschuldigen Sie, Miss", höre ich die leicht verärgerte Stimme des Kellners, „aber auch Sie müssen bei uns zahlen."

In der ganzen Aufregung hatte ich das völlig vergessen!

Mit heißem Kopf krame ich nach meiner Geldbörse und drücke dem jungen Mann wahllos einen Schein in die Hand. Dass es viel zu viel Geld ist, beachte ich gar nicht, sondern verabschiede mich mit einem 'Das passt schon' und stolpere zur Tür hinaus.

Draußen stapfe ich wütend auf Louis zu.

„Was sollte das denn?", werfe ich ihm vor und starre in sein erschrockenes Gesicht. „Wieso bist du einfach so rausgegangen?!"

Betreten weicht er meinem Blick aus.

„Ich brauchte frische Luft", meint er leise.

„Und das erlaubt dir, ohne zu bezahlen, ganz einfach hinaus zu spazieren?"

Er wird kreidebleich.

„Das ...", stottert er entsetzt, „daran ... habe ich gar nicht mehr gedacht! Oh nein, das tut mir leid ..."

Mein Ärger ebbt langsam ab und macht Schuldgefühlen platz, da ich ihn so grob angefahren habe. Er ist schließlich auch zum ersten Mal in dieser Lage und wahrscheinlich ganz einfach nervös.

„Schon okay", sage ich deshalb in beschwichtigendem Tonfall und zwinge mich zu einem Lächeln. „Tun wir einfach so, wie wenn ich dich zu einem Kaffee eingeladen hätte."

Er scheint erleichtert und nickt dankbar.

Um vom Thema abzulenken, hake ich mich bei ihm ein und gehe bestimmt in eine Richtung.

Wohin die Straße führt, weiß ich selbst nicht, aber da sie von hübschen, alten Häusern gesäumt ist, ist sie eine schöne Umgebung für einen kleinen Spaziergang.

„Jetzt aber mal zu dir", meine ich nach einer kurzen Stille. „Ich weiß so gut wie nichts über dich!"

Er verzieht kaum merklich das Gesicht, fasst sich jedoch so schnell wieder, dass ich mir sage, ich hätte es mir nur eingebildet.

„Nach einer einzigen Stunde ist das ja auch ein bisschen viel erwartet", lächelt er dann und sieht sich mit großem Interesse die Fassade eines besonders schicken Hauses an.

„Was willst du denn über mich wissen?", fragt er dann weiter.

Ich zucke mit den Schultern.

„Ich weiß nicht genau", gebe ich zu. „Wo du wohnst? Was du machst? Wer deine Familie und Freunde sind?"

Zögerlich räuspert er sich. „Also gut."

Ich schenke ihm ein aufmunterndes Lächeln und er beginnt letztendlich: „Ich wohne ... gemütlich."

Ich hebe die Hände, worauf er stoppt.

Langsam schließe ich die Augen.

„Was ... machst du?", fragt er verwirrt.

„Ich versuche, es mir vorzustellen", erkläre ich ihm, lasse die Augen geschlossen und male mir ein kleines Haus aus Ziegelsteinen mit einem schwarzen Dach und einem sauber angelegten Vorgarten aus. Es ist einstöckig und wirkt freundlich. Vor der Tür befindet sich eine Fußmatte, auf der in Großbuchstaben 'Herzlich Willkommen' geschrieben steht.

„Okay", wispere ich, „weiter!"

„Meine beste Freundin heißt Ada", fährt er wie befohlen fort.

Ich frage mich, wie Ada wohl aussieht. Ist sie groß oder klein, was für eine Farbe hat ihr Haar? Ist es hell oder dunkel? Eher mausgrau oder pechschwarz, stahlgrau oder fast weiß? Wie ist ihr Charakter? Ist sie fröhlich und offen oder eher schweigsam? Wird sie mich mögen oder verabscheuen?

„Ich muss sie unbedingt mal kennenlernen!"

Er nickt und zieht einen Mundwinkel zu einem schiefen Lächeln nach oben. „Das wirst du bestimmt irgendwann."

Ich nicke ebenfalls. „Und deine Familie?"

„Ich habe eine Schwester", erklärt er, „und wohne nicht mehr bei meinen Eltern."

„Und was machst du?", will ich wissen.

„Oh, ich mache vieles", erwidert er ausweichend und ich lache.

„Du weißt schon, was ich meine!"

Er seufzt.

„Natürlich weiß ich das", gibt er zu. „Aber sind es nicht langsam genug Infos für einen Tag? Wir müssen ja auch noch etwas haben, worüber wir uns in den nächsten Tagen unterhalten können."

Ich hoffe zwar, dass wir in den folgenden Tagen noch einige andere Gesprächsthemen als die eigene Persönlichkeit finden werden, aber ich zwinge mich dazu, ihn mit meinen Fragen nicht zu überfallen. Wir haben ja schließlich Zeit und vielleicht braucht er davon einfach ein wenig mehr.

„Nur eine Frage noch", bitte ich und er hebt eine Augenbraue. „Was hast du an deinem Arm gemacht?"

Ich nicke zu dem Verband. Sein Blick folgt dem meinen. Dann sieht er mich an, öffnet den Mund, sagt jedoch nichts.

„Nicht weiter von Bedeutung", antwortet er dann.

Die Dinge, die sie nicht sehen || l.t. ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt