9th chapter

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Alle starren Louis an.

Sogar ich, da ich nicht glauben kann, dass er das gerade wirklich gesagt hat.

Die Rebellen sind diejenigen, die unser ganzes Staatssystem zum Einsturz bringen, weil sie sich einfach nicht einfügen wollen. Sie passen nicht in die restliche Gesellschaft hinein und wollen es auch nicht. Natürlich sind sie eine Bedrohung für uns!

Als er merkt, was er gesagt hat, verfärbt sich Louis' Gesicht zu einer dunkleren Farbe.

„Natürlich", beginnt er und räuspert sich nervös, „natürlich sollte der Staat trotzdem dagegen vorgehen."

Die Anspannung im Raum löst sich und die Stimmung hebt sich merklich.

„Da hast du recht, mein Junge", stimmt Dad ihm sogar zu, „momentan tun die Rebellen noch nichts, aber wir müssen dafür sorgen, dass sie nicht zu übermütig werden. Wir lassen uns nicht von ihnen auf der Nase herumtanzen! Nicht auszudenken, was passieren könnte, wenn sie sich unter uns mischen würden!"

Dann sieht er noch einmal zu Louis und zu dessen Arm. Da er nur ein T-Shirt trägt, ist der Verband, den er auch heute trägt, gut zu sehen.

„Was hast du denn an deinem Arm gemacht?", fragt er besorgt und eine Falte bildet sich auf seiner Stirn.

Erschrocken fährt mein Seelenpartner zusammen, greift sich an den Arm und zuckt mit den Schultern. „Nichts, wirklich ... das ist eine Kleinigkeit."

Mein Vater lächelt ihn an.

„So ein bescheidener junger Mann, meine Herren", wendet er sich seinen Gästen zu. „Männer wie ihn brauchen wir in unserer Gesellschaft, keine Rebellen."

Er sieht wieder zu Louis und ich fühle mich mittlerweile ein wenig entspannter.

Dad scheint ihn zu mögen, ein Problem weniger also.

„Was arbeitest du denn, Louis?"

Der Angesprochene sieht zu Boden und verschränkt die Arme hinter dem Rücken, bevor er mit einem Schmunzeln wieder aufsieht.

„Dies und das", erklärt er. „Ich bin sehr kreativ."

„Geheimnisvoll wohl auch, wie?", lacht mein Vater. „Ich bin mir sicher, dass jeder dich gerne anstellen würde. Bei wem arbeitest du denn im Moment?"

Mit weit aufgerissenen Augen starrt Louis ihn an und sieht dann hilfesuchend zu mir.

Ihm ist die ganze Befragung wohl doch unangenehmer, als ich erwartet hätte und ich beschließe, ihn aus der misslichen Lage zu befreien.

„Das reicht langsam, Dad", sage ich bestimmt und er sieht überrascht aus. Scheinbar hat er fast vergessen, dass ich auch noch im Raum bin. „Wenn du schon alle Geheimnisse aus ihm herausquetschst, gibt es für mich ja gar keine Rätsel mehr, zu lösen."

Ich zwinkere ihm zu und einer der Herren im Anzug lacht polternd los.

„Das Mädchen weiß, was es will", meint er und ich lächle unbestimmt, greife nach Louis' Arm und ziehe ihn hinaus aus dem Wohnzimmer und den Flur entlang, bis wir in meinem Zimmer angekommen sind.

Mit einem Mal beginne ich mich zu schämen.

Er meinte, dass er in seinem eigenen Haus lebt, während ich ein schäbiges Zimmer, dessen Wände mit Blumenwandtattoos, die ich nicht mehr abbekommen habe, bestückt sind, bewohne. Es ist dasselbe grässliche Zimmer, wie auch schon vor zehn Jahren und dieselbe verfluchte Bettdecke wahrscheinlich auch.

Warum habe ich letzte Woche nicht die neutrale, weiße Bettwäsche genommen, sondern die, auf der ein riesiger Pferdekopf prangt und für welche ich schon lange zu alt bin?!

Unauffällig setze ich mich direkt auf diesen und versuche, ihn damit größtenteils zu überdecken, aber ich habe das dumme Gefühl, dass ich die Aufmerksamkeit des Dunkelhaarigen dadurch erst recht darauf gelenkt habe.

„Es ist ...", fange ich unsicher an. „Ich wollte ausziehen, wenn ich mich in meinem Job ein wenig eingelebt habe."

Eine kleine Notlüge, denn übers Ausziehen habe ich mir bisher noch keine Gedanken gemacht, aber ich möchte nicht ganz so kindlich dastehen.

Er zieht einen Mundwinkel zu einem schiefen Lächeln nach oben.

„Gemütlich ist es hier", meint er und ich bin mir fast sicher, dass es sich auch bei ihm um eine Notlüge handelt.

„Nein", widerspreche ich also, „es ist schrecklich. Aber besser als nichts."

Er stößt eine Mischung aus Schnauben und Lachen aus. „Du hast mich gerade aus einer ziemlich unangenehmen Situation gerettet, daher ist für mich wahrscheinlich fast alles gemütlich."

Nachdenklich sieht er sich um und ich schließe entsetzt die Augen, als sein Blick an dem halb abgekratzten Wandtattoo hängenbleibt.

„Du musst deinem Vater ziemlich viel über mich erzählt haben", sagt er dann und ich könnte vor Scham im Boden versinken.

Oh Gott, peinlicher konnte es doch kaum werden!

„Und wohl nur Gutes, wie es scheint."

Nachdenklich mustert er mich.

„Warum?", fragt er dann plötzlich und ich blinzele verwirrt.

„Warum?", wiederhole ich erstaunt, da ich die Frage nicht ganz verstehe.

„Warum nicht?", setze ich dann beleidigt hinterher, weil ich nicht sicher bin, ob seine Aussage ein versteckter Seitenhieb war.

„Ich meine", erklärt er, „ich habe dich in den letzten Tagen nicht immer freundlich behandelt. Daher wundert es mich, dass dein Vater mir gegenüber so positiv eingestellt war."

Verlegen zucke ich mit den Schultern. „Na ja, ich bin eben nicht so der Typ, der Schlechtes über jemanden erzählt. Und es freut meine Eltern, dass ich dich schon so früh gefunden habe."

„Wirklich?", wundert er sich und ich sehe verlegen auf meine Füße.

„Meine Mutter hat sich schon immer viele Enkelkinder gewünscht und ich glaube, sie hatte Angst, dass ich dich erst so spät finden würde, dass es ohnehin schon zu spät für Kinder ist ..."

Seine Haltung verkrampft sich kaum merklich, aber ich sehe ihn überrascht an.

Bin ich ihm zu weit gegangen, damit, dass ich jetzt schon über Kinderplanung geredet habe?

Ich fühle mich mit einem Mal unglaublich dumm. Wie komisch muss ich denn auf ihn wirken?

„Mira", räuspert er sich und fährt mit vorsichtiger Stimme fort, „ich ... ich möchte aber keine Kinder haben."

Wir sehen uns beide erschrocken an.

Ich hatte schon immer davon geträumt, einmal selbst Kinder zu bekommen und sie heranwachsen, zu sehen!

Wie kann das Schicksal ihn für mich ausgewählt haben, wenn wir doch so verschieden sind?!

„Wir", stottere ich unsicher, „wir haben ja noch lange Zeit, darüber in aller Ruhe nachzudenken."

Er nickt, doch danach herrscht eine beklommene Stille im Raum.

Die Dinge, die sie nicht sehen || l.t. ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt